Reaktionen auf das Integrationsgesetz „Anreize wirken besser als Sanktionen“

Arbeitsmarktexperten begrüßen die Eckpunkte für ein Integrationsgesetz, auf das sich die Koalitionsspitzen geeinigt haben. Doch die Experten sehen auch einige Kritikpunkte – wie die geplanten „Ein-Euro-Jobs“.

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Die Kurse mit Sprach- und Kulturunterricht sollen zu einem Eckpfeiler der Integration in Deutschland werden. Quelle: dpa

Berlin Arbeitsmarktexperten halten eine Integrationspolitik nach dem Prinzip „Fördern und ‎Fordern“, wie sie die Spitzen der schwarz-roten Koalition nun in Eckpunkten formuliert haben, für richtig. An einigen Stellen ist das Konzept aber aus ihrer Sicht nicht schlüssig, etwa bei der geplanten Pflicht zur Teilnahme an Integrationskursen. „Unsere empirischen Befunde sprechen dafür, dass die Motivation der Flüchtlinge, die deutsche Sprache zu erlernen, außergewöhnlich hoch ist“, sagte Herbert Brücker, Migrationsexperte beim Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem Handelsblatt.

Es fehle aber noch an ausreichenden und qualitativ hochwertigen Kursangebot. Brücker hält es deshalb für sinnvoll, das Gesetz durch einen Rechtsanspruch auf Sprach- und Integrationskurse zu ergänzen. Auch sollten diese möglichst arbeitsnah gestaltet, mit berufsvorbereitenden Maßnahmen und Praktika kombiniert und auch berufsbegleitend angeboten werden.

Die Eckpunkte für das Integrationsgesetz waren ein Ergebnis der siebenstündigen Verhandlungen der Partei- und Fraktionsspitzen in der Nacht zu Donnerstag. So plant die Regierung etwa, auch anerkannten Flüchtlingen ein dauerhaftes Bleiberecht zu verwehren, wenn sie nicht hinreichende Anstrengungen zur Integration nachweisen, etwa zum Erwerb der deutschen Sprache. Vereinbart wurden auch Wohnsitzauflagen für anerkannte Asylbewerber, um deren Verteilung besser zu steuern und Ghettobildungen vorzubeugen.

Auf der anderen Seite will Schwarz-Rot die Arbeitsaufnahme von Flüchtlingen erleichtern und ihre Integration stärker fördert. Auszubildende sollen ein Aufenthaltsrecht für die Dauer der Ausbildung sowie nach einem erfolgreichen Abschluss auch für Arbeitsplatzsuche und weitere Beschäftigung erhalten. Für drei Jahre soll bei Asylbewerbern und Geduldeten die sogenannte Vorrangprüfung entfallen, bei der geprüft wird, ob ein einheimischer Arbeitnehmer für den Job zur Verfügung steht. Zudem will Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber schaffen.

Grundsätzlich sei nichts dagegen einzuwenden, dass die Bundesregierung nun Sanktionen für Asylbewerber einführen will, die sich Integrationsangeboten verweigern – so wie das bei anerkannten Asylberechtigen im Hartz-IV-System schon möglich sei, sagte IAB-Experte Brücker. Bedeutung und Wirksamkeit von Sanktionen würden aber überschätzt, weil die meisten Flüchtlinge motiviert seien und positive Anreize viel besser wirkten als Strafmaßnahmen. Die Regierung sollte deshalb lieber darüber nachdenken, gut integrierten Flüchtlingen vorzeitig ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht einzuräumen.


Subventionierte Jobs in der Kritik

Skeptisch sieht Brücker auch die Wohnsitzauflage für Schutzberechtigte, deren Details Innen- und Arbeitsministerium erst noch erarbeiten sollen. Die gegenwärtige Verteilung der Flüchtlinge über den „Königsteiner Schlüssel“ sei nicht effizient. „Flüchtlinge finden Jobs überwiegend in prosperierenden Ballungsräumen mit diversifizierten Arbeitsmärkten. Wir sollten die Arbeitsmobilität deshalb eher fördern, als durch eine Wohnsitzauflage behindern“, sagt der IAB-Experte. Ein Ausweg wäre, dass die Wohnsitzauflage nur für Flüchtlinge gilt, die Sozialleistungen beziehen, nicht aber für solche, die Arbeit oder ein Jobangebot haben.

Besonders kritisch sind die Arbeitsmarktexperten bei den bis zu 100.000 „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge, die Arbeitsministerin Andrea Nahles plant. Alle Formen öffentlich geförderter Beschäftigung seien wegen des geringen Erfolgs mit Recht aus dem Programm genommen worden, sagte Ökonom Holger Schäfer vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) dem Handelsblatt. Sie seien geeignet für Menschen mit sozialen oder gesundheitlichen Problemen, die sehr lange nicht gearbeitet hätten, nicht aber für motivierte Flüchtlinge. Das Geld sollte lieber in die Qualifizierung von Flüchtlingen oder die Beschleunigung der Asylverfahren investiert werden.

Vor der Einigung auf die Eckpunkte hatte es lange Streit über das Integrationsgesetz gegeben. Während Sozialpolitiker sich für eine weitere Öffnung des Arbeitsmarkts stark gemacht hatten, fürchteten Innenpolitiker, damit erst neue Anreize für Flüchtlinge zu setzen, nach Deutschland zu kommen. Mit dem jetzt erzielten Kompromiss können aber sowohl die Innenexperten der Union als auch der SPD leben: „Es ein Erfolg, dass es in Deutschland jetzt erstmals in der Geschichte ein Integrationsgesetz geben wird“, sagte die Vizevorsitzende der SPD-Fraktion, Eva Högl, dem Handelsblatt.

Mit verschiedenen Bausteinen wie Orientierungskursen, Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt und einem Bleiberecht bei Ausbildung werde die Regierung die Integration voranbringen. „Das ist ein Geben und Nehmen: Wir gewähren Schutz, aber natürlich müssen sich die Menschen auch an unsere Regeln halten“.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer, erklärte, die Union habe bei den Vereinbarungen im Koalitionsausschuss deutlich gemacht, dass ein nachdrückliches Fordern die Voraussetzung für ein erfolgreiches Fördern sei. „Die Bindung einer längerfristigen Aufenthaltsperspektive für anerkannte Flüchtlinge an erbrachte Integrationsleistungen ist ein wichtiger Anreiz für die Migranten, die verschiedenen Angebote auch wahrzunehmen. Nur wer die eigene Integration auch selbst will, wird einen positiven Beitrag in Deutschland leisten können.“

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