Reaktionen zur Handelsblatt-Umfrage „Merkel hat ihren Zenit überschritten“

Die Bundesbürger tun sich immer schwerer mit ihrer Kanzlerin, zeigt eine Umfrage des Handelsblatts. Parteienforscher sehen den Befund als Beleg dafür, dass der Herbst von Merkels Kanzlerschaft angebrochen ist.

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Berlin So ernst war die Lage wohl selten für die Kanzlerin: Gelingt es Angela Merkel nicht, den Weg zu Koalitionsverhandlungen mit der SPD einzuschlagen und am Ende ein Regierungsbündnis zu schmieden, ihre Kanzlerschaft wäre wohl beendet. Das glaubt zumindest der einstige Vordenker der CDU, Kurt Biedenkopf. Im Falle von Neuwahlen werde Merkel nicht mehr antreten. „Das würde sie sich nicht antun“, sagte der ehemalige Generalsekretär der CDU und langjährige sächsische Ministerpräsident im Interview mit dem Handelsblatt.

Dass die Lage für Merkel alles andere als ideal ist, zeigt auch eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap für das Handelsblatt. Während die Kanzlerin alles versucht, die Gespräche mit den Sozialdemokraten zu einem Erfolg zu führen, erwarten die Bundesbürger ein vorzeitiges Ende ihrer Kanzlerschaft. Gut die Hälfte (56 Prozent) der Befragten geht davon aus, dass Merkel ihr Amt vor dem Ende der Legislaturperiode 2021 aufgibt. Bemerkenswert ist auch: Immerhin 48 Prozent der Unionsanhänger glauben ebenfalls nicht, dass Merkel 2021 noch Bundeskanzlerin sein wird, 46 Prozent der Befragten rechnen dagegen weiter mit ihr.

Für die FDP kommt der Befund nicht überraschend. „Dass sich nach zwölf Jahren die Nachfolgefrage stellt, ist natürlich. Sich damit auseinanderzusetzen, ist Aufgabe der CDU“, sagte die Generalsekretärin der Liberalen, Nicola Beer, dem Handelsblatt. „Offensichtlich traut eine Mehrheit der Deutschen Frau Merkel den Modernisierungsschub, den Deutschland jetzt braucht, nicht zu“, sagte auch der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer dem Handelsblatt. „Die Öffentlichkeit sieht die Verdienste der Bundeskanzlerin, aber sie stellt auch die Frage nach der Zukunft.“

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek glaubt allerdings nicht, dass die CDU in absehbarer zu einem personellen Neuanfang bereit ist. „Dieses Land braucht neue Ideen, etwa wie wir Klimaschutz und Digitalisierung voranbringen. Kaum vorstellbar, dass der CDU nach zwölf Jahren Kanzlerschaft mit Merkel ein Neuaufbruch gelingt“, sagte Janecek dem Handelsblatt. „Ihr Dilemma ist: Ohne Merkel ist sie erst recht kopf- und führungslos.“

In Berlin macht das Wort von der „Kanzlerinnendämmerung“ indes schon länger die Runde. „Kanzlerin Merkel war auf dem Zenit ihrer Macht und ihres Ansehens im Spätsommer 2015, als sie für Geflüchtete die Mutter Theresa gab“, sagte der Dresdner Parteienforscher Werner Patzelt dem Handelsblatt. Die Risiken und Folgewirkungen dieser Rolle habe sie nicht richtig eingeschätzt. „Sie entfremdete große Teile der eigentlich mit der CDU sympathisierenden Wählerschaft und mästete die AfD.“ Das Wahlergebnis vom vergangenen September mit dem schlechtesten Wahlergebnis seit 1949 sei die „bittere Quittung dafür“.

Der Berliner Politik-Professor Oskar Niedermayer wertet denn auch die aktuelle Handelsblatt-Umfrage als klaren Hinweis darauf, dass der Herbst für Merkels Kanzlerschaft angebrochen ist. „Betrachtet man ihre Bewertungen und Zugkraft in der Bevölkerung, so hat Angela Merkel ihren Zenit überschritten“, sagte Niedermayer dem Handelsblatt.

Dabei fallen die Urteile der Bürger über die Kanzlerin durchaus differenziert aus. So wertet etwa jeder fünfte Deutsche ihre Ruhe und Gelassenheit als ihre größte Stärke. Viele Deutsche schätzen ihr internationales Ansehen (10 Prozent), ihre Beharrlichkeit und ihr Durchhaltevermögen (10 Prozent). Doch es gibt auch eine andere Merkel im Bewusstsein der Bürger: 23 Prozent kritisieren ihre Entscheidungsschwäche und die Neigung, Probleme auszusitzen.

Im Kanzleramt wird man nicht gerne hören, dass sich viele Bürger an ihren häufigen Kurswechseln stören und manche ihr sogar die Eignung für das Amt absprechen. Zudem werden ihr fehlende Bürgernähe und Konzeptlosigkeit vorgeworfen, aber auch das Klammern an die Macht und die Weigerung, Fehler einzugestehen. Seit der Flüchtlingskrise polarisiert Merkel nicht nur inhaltlich, sondern auch als Person.

Gleichwohl schätzt der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst Merkel als ehrgeizig genug ein, „um nicht erledigte Aufgaben ihrer bisherigen Kanzlerschaft zu Ende zu bringen“.  Darunter vor allem die Stabilisierung und Weiterentwicklung der europäischen Integration in Zusammenarbeit mit Frankreich. Andererseits ist Probst aber auch überzeugt: „Merkel dürfte bewusst sein, dass ihr politisches Kapital nicht über 2021 hinausreicht und sie in dieser Zeit ihre politische Nachfolge regeln muss.“ Dafür würden auch Kräfte in der Partei sorgen, so Probst, „die jetzt schon mit den Füßen scharren und eine Verjüngung sowie teilweise auch eine Richtungsänderung der Politik der CDU verlangen“.

Doch aktuell, so scheint es, wollen selbst die schärfsten Kritiker Merkels in den eigenen Reihen derzeit nicht an eine Zeit ohne die CDU-Vorsitzende denken. Momentan steht der feste Wille im Mittelpunkt, eine neue GroKo zum Laufen zu bringen. Eine Rebellion gegen Merkel zum jetzigen Zeitpunkt? Undenkbar.

Die CDU-Chefin ist auch keineswegs regierungsmüde.  „Ich habe deutlich gemacht, als ich wieder angetreten bin, dass ich für vier Jahre antrete“, hatte sie kurz vor der Bundestagswahl gesagt. Und daher habe sie „die feste Absicht, das auch genauso zu machen, wie ich es gesagt habe“. Dies gehöre zum Vertrauen dazu.  Im August 2017 versicherte Merkel beim Handelsblatt Deutschland Dinner vor 400 Lesern in Berlin: „Mein Auftrag ist es, dem deutschen Volk zu dienen und Schaden von ihm abzuwehren.“

Doch was, wenn sie am Ende tatsächlich keine Regierung bilden kann? Und Merkel zu dem Schluss käme, dass der auch von ihr selbst angepeilte geordnete Übergang nicht mehr möglich ist? Dann würde sich die engste CDU-Spitze versammeln und die Chancen für eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger bei einer Neuwahl ausloten. An ein solches Szenario mag derzeit aber niemand denken. Auch Biedenkopf nicht. 


Für die Merkel-Nachfolge fällt in der CDU immer wieder ein Name

Seiner Partei rät er, die Merkel-Nachfolge nicht überstürzt zu planen. „Die Verantwortlichen sollen sich in aller Ruhe umschauen, wer in Frage kommt“, sagte er. Zugleich warnte er mögliche Kandidaten wie Jens Spahn. „Jens Spahn muss aufpassen, dass er nicht durch die erhebliche mediale Aufmerksamkeit, die er wohl auch fördert, seine Rivalen noch weiter anspornt.“

Spahn sehen die Bürger ohnehin nicht als erste Wahl für das Amt des Bundeskanzlers. Die größte Unterstützung erhält Bundesinnenminister Thomas de Maizière, den 37 Prozent am ehesten als Merkel-Nachfolger für geeignet halten. Es folgen der Kanzleramtsminister und geschäftsführende Finanzminister Peter Altmaier mit 31 Prozent und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit 28 Prozent.

24 Prozent attestieren Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und 16 Prozent Finanz-Staatssekretär Jens Spahn die Eignung für das Amt, wobei beide deutlich weniger bekannt sind als die drei Bundesminister. Mit steigender Bekanntheit kann sich ihre Bewertung positiv entwickeln. Bemerkenswert: Keiner der Kandidaten kann eine Mehrheit innerhalb der Union hinter sich versammeln.

Trotzdem dürfte Merkel nach Einschätzung der Politikwissenschaftler nicht daran vorbeikommen, ihren Rückzug beizeiten zu organisieren. „Im Interesse der Wahlchancen ihrer Partei sollte sie nicht die gesamte Legislaturperiode im Amt bleiben“, sagte Niedermayer. Er rechnet damit, dass sie zunächst in zwei Jahren den Parteivorsitz an eine Nachfolgerin abgeben werde. Von de Maizière gehe er nicht aus. Später werde Merkel ihrer Nachfolgerin dann auch das Kanzleramt überlassen, „damit diese in der Bevölkerung bekannt genug wird und mit dem Kanzlerinnenbonus in den Wahlkampf gehen kann“.

Unterhält man sich mit Christdemokraten über mögliche Nachfolger für Merkel, fällt immer wieder der Name Annegret Kramp-Karrenbauer. Ginge es nur nach Merkel, hätte wohl die saarländische Ministerpräsidentin die besten Chancen, meint Niedermayer. Von der Leyen sei in der Partei dagegen wohl schwerer durchzusetzen, das gelte auch für Spahn als profiliertem Vertreter der Konservativen in der CDU. Der Politik-Experte hält noch eine weitere mögliche Kandidatin für aussichtsreich: „Wenn sie vorher ein Ministerinnenamt bekommt, um bundesweit bekannter zu werden, und das Amt erfolgreich führt, hätte auch Julia Klöckner, die als Wahlkämpferin in der Bevölkerung gut ankommen dürfte, gute Chancen.“ 

Lothar Probst von der Universität Bremen hält auch andere Szenarien für möglich. Etwa, dass die GroKo keine vier Jahre durchhält. „Dann werden die Karten sowieso neu gemischt und dann könnte auch die Kanzlerschaft von Merkel vorzeitig zu Ende sein.“ Nachdem Geschmack mancher im politischen Berlin ist Merkel mit ihren bisher zwölf Amtsjahren ohnehin lange genug Regierungschefin gewesen.

So hatten sich der SPD-Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann und der FDP-Fraktionsvize Theurer für eine Begrenzung der Amtszeit auf zehn Jahre ausgesprochen.  Wie in jedem Familienunternehmen stelle sich jetzt auch bei Merkel die Frage nach der Nachfolgeregelung, sagte Theurer. „Umso eine Debatte zu vermeiden, sollte man bei dem Amt des Regierungschefs eine Amtszeitbegrenzung einführen.“

Mit einem Ende ihrer Kanzlerschaft wäre für Merkel sowieso nicht automatisch der endgültige Abgang von der politischen Bühne verbunden. Im Gegenteil: Merkel könne „jede internationale Position annehmen, ob nun in Europa oder bei den Vereinten Nationen. Sie wird überall mit Kusshand genommen“, ist CDU-Vordenker Biedenkopf überzeugt.

Auch der Politikwissenschaftler Patzelt hält Merkel für einen Posten auf dem Parkett der Weltpolitik durchaus für geeignet. „Internationale Verhandlungen führen kann Angela Merkel zweifellos“, sagte er. „Ob sie aber ohne Verfügung über deutsches Staatsgeld ebenso leicht wie in der Vergangenheit Kompromisse zustande bringen kann, ist eine offene Frage.“ Doch die Konkurrenz mit derzeitigen EU- oder Uno-Spitzenpolitikern müsse sie zweifellos nicht scheuen.

Solche Gedankenspiele dürften in Merkels politischer Lebensplanung aktuell aber keine Rolle spielen – jetzt, wo sie dabei ist, mit Hilfe der SPD ihre vierte Amtszeit festzuzurren. Klappt das nicht, wäre dies aus Sicht Biedenkopfs aber nicht weiter schlimm. „Wenn die SPD nicht mitmacht, würde ich an ihrer Stelle sagen: Habt’ eine gute Zeit. Auf Wiedersehen. Deutschland wird auch dann weiter in Berlin regiert werden“, sagte er. Und ihren Platz in der der Geschichte hätte Merkel sowieso inne:  „Wenn ein US-Präsident oder Chinas Staatschef etwas von Europa will, ruft er nicht in Brüssel an, sondern bei Angela Merkel.“

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