Realo-Doppelspitze Habeck und Baerbock wollen radikalere Grüne

Die Grünen haben Robert Habeck und Annalena Baerbock zu neuen Parteichefs gekürt. Beide stehen für den Realo-Flügel. Doch auf einem hochemotionalen, chaotischen Parteitag setzten sie eher linke Akzente.

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Die neuen Bundesvorsitzenden setzten in ihren Reden deutlich linke Akzente. Quelle: dpa

Hannover Die Grünen haben erstmals eine Realo-Doppelspitze: Auf einem hochemotionalen, chaotischen Parteitag haben die Grünen den Kieler Vizeministerpräsidenten Robert Habeck (48) und die Brandenburger Klimapolitikerin Annalena Baerbock (37) zu neuen Parteichefs gewählt. Sie lösen Cem Özdemir und Simone Peter ab, die nicht mehr antraten.

Habeck und Baerbock stehen für den Realpolitischen Flügel der Grünen – setzten in ihren Reden aber deutlich linke Akzente. Habeck will nichts weniger als an die radikalen Anfänge der Partei anknüpfen, die 2020 ihren 40.Geburtstag feiern wird. Baerbock kündigte an, die kleinste Oppositionspartei im Bundestag müsse nun wieder verstärkt „auf die Straße gehen“ – vor allem für den Klimaschutz.

Insbesondere Cem Özdemir hatte bisher einen kurzen Draht zur Wirtschaft etabliert, nun wird der Ton wieder schärfer – vor allem wenn es um Großkonzerne und Superreiche geht.

Habeck kritisierte den „teilweise schamlosen Reichtum“ in Deutschland – „nicht weil wir nicht gönnen können, sondern weil uns die Menschen an den Rändern nicht verloren gehen dürfen“. Daher will er Kapitaleinkünfte und Vermögen härter besteuern, aber auch die Preise für Umweltschädliches wie CO2, Plastik oder Pestizide erhöhen – und im Gegenzug „die Belastung von Arbeit durch Steuern und Sozialabgaben senken“.

Baerbock attackierte das Abrücken von Union und SPD von den Klimazielen: „Das ist auch kein Zufall, das ist die Handschrift von RWE und Leag“, rief die bisherige klimapolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Und erzählte von ihrer Einladung zur Barbarafeier in der Braunkohleregion Lausitz im vergangenen Jahr – dem Hochamt der Bergleute. Kurz zuvor habe sie der Energieerzeuger Leag wegen ihrer heftigen Kritik an den Kohlepolitik dann doch wieder ausgeladen. „Doch ich werde auch künftig dahin gehen, wo es weh tut – um am Ende wenigstens einige wenige zu überzeugen“, kündigte die Völkerrechtlerin an.

Beide neuen Vorsitzenden plädierten für eine sozialere Politik. Auch über die einst von den Grünen mitverabschiedete Agenda 2010 sei „die Zeit hinweg gegangen“, sagte Habeck. Deren Prinzip „Fördern und fordern“ wirke heute „wie eine zu kleine Nummer angesichts der Herausforderungen von Globalisierung und Digitalisierung“. Antworten auf diese soll vor allem das neue Grundsatzprogramm der Grünen liefern, das im Jahr 2020 fertig sein soll.

Seine politische Vision definierte Habeck als „linksliberal“. Allerdings will er keinen Liberalismus im Sinne von FDP oder Pegida, die auch noch „stolz darauf sind, nicht dazu zu gehören, zur Gemeinschaft“. Sondern einen sozialen Liberalismus, der sich dadurch auszeichne, „Menschen nicht gehen lassen zu wollen“, der die Gesellschaft mit Konzepten, Geld und Institutionen zusammenhalte.

Habeck kommt aus der Tradition der Grundeinkommens-Befürworter, die mittlerweile auch prominente Freunde in der Wirtschaft hat. Praktisch fordert er zumindest für Menschen ohne Erwerbseinkommen ein Sicherung gegen Armut. „Es kann nicht sein, dass jemand mit dem Job auch die Würde verliert.“

Der Wahl der neuen Parteichefs war ein Abstimmungskrimi vorausgegangen. Habeck war unter der Bedingung angetreten, dass er zumindest acht Monate parallel dazu sein Amt als Umwelt- und Energieminister in der Kieler Jamaika-Koalition weiterführen darf. Das widerspricht dem ehernen Prinzip der Grünen, wonach Amt und Mandat – und erst recht Amt und Amt – getrennt sein müssen, um Machtballung zu verhindern. Doch nachdem alle führenden Grünen – auch die des Linken Flügels – für die Statutenänderung zu Gunsten Habecks  geworben hatten, machte die Basis am späten Freitagabend den Weg frei. Die Partei verabschiedet sich von alten Prinzipien- und will zugleich ein Stück zurück zu ihren radikalen Wurzeln. 

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