Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, hat die Ostdeutschen gegen den Vorwurf einer besonderen Neigung zum Rechtsradikalismus verteidigt. „Der öffentliche Eindruck, dass rechtsextremistische Bestrebungen vorrangig im Osten Deutschlands geschehen, ist in dieser Pauschalisierung falsch“, sagte Kramer dem Handelsblatt. Solche Vorwürfe gegenüber den ostdeutschen Ländern und deren Bevölkerung seien „weder zutreffend noch hilfreich, wenn es darum geht, den Rechtsextremismus wirksamer zu bekämpfen als bisher“. Bei der „Gefahrenlage durch Rechtsextremismus“ finde vielmehr zunehmend eine Annäherung der Lebensverhältnisse in Ost und West statt.
Gleichwohl, betonte Kramer, könne gar nicht deutlich genug darauf hingewiesen werden, „dass wachsender Rechtsextremismus vielfältige negative Konsequenzen für eine Gesellschaft und auch einen Wirtschaftsstandort, bis hin zur Abschreckung von internationalen Investitionen, haben kann.“ In den Ost-Bundesländern, etwa in Thüringen, hat nach Kramers Angaben die Anzahl von Demonstrationen und Musikveranstaltungen von Rechtsextremisten in den vergangenen Jahren „drastisch“ zugenommen. „Der Befund deckt sich also insofern mit den dargestellten Erkenntnissen der Bundesregierung im aktuellen Ostbericht.“
In ihrem Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit, den das Bundeskabinett am vergangenen Mittwoch in Berlin beraten hat, wird der Rechtsextremismus als eine Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dargestellt.
In Thüringen seien die Entwicklungen auf verschiedene Ursachen zurückzuführen, sagte Verfassungsschützer Kramer. Er nannte eine „hohe Professionalität“ bei der Organisation in der rechtsextremen Szene, die zentrale, verkehrsgünstige Lage, die Durchführung von Veranstaltungen in eigenen Immobilien sowie die zunehmende, auch internationale, Vernetzung der Akteure. Hinzu kämen der Schutz von Veranstaltungen durch das Versammlungsrecht, weil Konzerte mit politischen Rednern angereichert würden und schließlich ein „wachsender lokaler Resonanzboden“ mit einer Zielgruppe, die dem Rechtsextremismus und Populismus eher zugetan sei. „Dies trifft insbesondere, aber nicht nur, auf den ländlichen Raum zu“, so Kramer.
Die Gesichter der AfD
Geboren in Dresden, promovierte Chemikerin und Unternehmerin, Bundesvorsitzende der AfD. Mutter von vier Kindern, liiert mit dem AfD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell: Das ist Frauke Petry. Sie gilt als pragmatisch und ehrgeizig. Auch wenn sie verbal gerne Gas gibt – inhaltlich steht Petry eher in der Mitte der Partei.
Björn Höcke (45) und Alexander Gauland (76) haben im November 2015 gemeinsam „Fünf Grundsätze für Deutschland“ veröffentlicht. Darin wettern sie gegen die „multikulturelle Gesellschaft“ und behaupten, „die politische Korrektheit liegt wie Mehltau auf unserem Land“.
Meuthen ist geboren in Essen, promovierter Volkswirt, seit 1996 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Kehl (Baden-Württemberg), Bundesvorsitzender der AfD, war Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg und ist seit Mai 2016 Landtagsabgeordneter; er ist verheiratet und hat fünf Kinder. Meuthen gehört zu den wenigen prominenten Vertretern des liberalen Flügels, die nach dem Abgang von Bernd Lucke in der AfD geblieben sind.
Sie ist geboren in Lübeck, Jurastudium in Heidelberg und Lausanne (Schweiz), Rechtsanwältin, stellvertretende Bundesvorsitzende und AfD-Landesvorsitzende in Berlin, seit 2014 im EU-Parlament, verheiratet. Gilt als ultrakonservativ.
Marcus Pretzell (43) ist geboren in Rinteln (Niedersachsen), Jurastudium in Heidelberg, Rechtsanwalt und Projektentwickler, seit 2014 Vorsitzender der AfD in Nordrhein-Westfalen, Vater von vier Kindern, seit 2016 verheiratet mit Frauke Petry. Der Europaabgeordnete hat die AfD als „Pegida-Partei“ bezeichnet. Parteifreunde rechnen ihn aber nicht zum rechtsnationalen Flügel.
Auch Gegendemonstrationen hätten zugenommen, sagte der Verfassungsschutz-Chef weiter. „Da es dabei auch zu Fällen von Konfrontationskriminalität gekommen ist, gab es jeweils eine breite Berichterstattung in den Medien und Diskussion in den sozialen Netzwerken. Dies hat auch dazu geführt, dass der Rechtsextremismus im Osten Deutschlands öffentlich und medial noch stärker in Erscheinung tritt als in westlichen Bundesländern.“ De facto gebe es aber auch im Westen Deutschlands Schwerpunkte des Rechtsextremismus. „Die Aktionsformen sind jedoch zum Teil diskreter, wie etwa interne Versammlungen, aber damit nicht weniger gefährlich.“
Eine zentrale Rolle bei der Suche nach den Ursachen für Rechtsextremismus spielen laut Kramer auch unterschiedliche soziale und ökonomische Entwicklungen in Ost und West, darunter beispielsweise langjährige Massenarbeitslosigkeit im Osten sowie unterschiedliche religiöse, familiäre und ethische Einstellungen der Bürger. „Wobei der Hinweis auf diese möglichen Faktoren weder Verständnis suggerieren soll noch als Rechtfertigung zu verstehen ist“, betonte der Verfassungsschützer. „Der Rechtsextremismus beschränkt sich eben schon lange nicht mehr auf soziale und wirtschaftliche Randgruppen, sondern ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“