Rechtspopulisten

Geschenke für die AfD

Malu Dreyer, Julia Klöckner, Angela Merkel, Sigmar Gabriel – sie alle schenken sich nichts, wenn es darum geht, die Rechtspopulisten stark zu machen. Eine Anklage.

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Rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner und Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Quelle: dpa Picture-Alliance

Der stellvertretende Bundessprecher der Alternative für Deutschland (AfD), Alexander Gauland, hat die Flüchtlingskrise vor ein paar Wochen einmal als „Geschenk“ für seine Partei bezeichnet. Man mag darin einen Ausdruck moralischer Kälte erkennen, einen Ausdruck machtpolitischer Nüchternheit oder auch einen Ausdruck hochironischer Selbstehrlichkeit: Ohne Asylanten und Flüchtlinge, ohne Syrer, Iraker, Algerier und Afghanen kann die AfD in Deutschland einpacken. 

Was die von endlosen Macht- und ideologischen Grabenkämpfen eigentlich restlos erschöpfte Partei 2015 noch nicht ahnen konnte: Die parteipolitischen Konkurrenten erweisen sich in 2016 als noch viel größeres „Geschenk“.

In dieser Woche zum Beispiel haben die MinisterpräsidentInnen von Baden-Württemberg und Rheinland Pfalz, Winfried Kretschmann (Grüne) und Malu Dreyer (SPD), dem siechen Patienten gewissermaßen amtlich bescheinigt, eine pumperlgesunde politische Kraft zu sein: Aus Angst vor der neuen Vitalität der „Rechtspopulisten“ lehne man in Stuttgart und Mainz eine Fernsehdiskussion mit den AfD-Kandidaten kurz vor den Wahlen ab, ließen die beiden Amtsinhaber den öffentlich-rechtlichen Südwestrundfunk (SWR) wissen. Und siehe da, der Sender sagte die politische Parolenrunde daraufhin nicht etwa ab. Sondern spurte.

Das wiederum ließ Malu Dreyers Herausforderin Julia Klöckner, der restdeutschen Antwort auf fesch-bajuwarischen Dirndl-Patriotismus, keine Ruhe. Die stellvertretende Bundesvorsitzende ist als konservative Strafraumspielerin der Merkel-CDU etatmäßig zuständig für das Schinden und Verwandeln der einfachsten Elfmeter (Burka-Verbot! Gesetz zur Integrationspflicht!) – immer bereit, der zahlenden Stammkundschaft in der Volkskurve ein bisschen Zucker zu geben.

Diesmal also legten Kretschmann, Dreyer und der SWR höchstselbst den Ball für die einschussbereite Klöckner auf den Punkt, und siehe da: Klöckner verwandelte Panenka-elegant, um sich die Bravi von der Konservativ-Tribüne abzuholen. Statt AfD-Politiker „mit Argumenten zu entzaubern“, würden sie von SPD und Grünen „zu Märtyrern“ gemacht, so Klöckner. Die Einladungspolitik der Landesregierungen in Stuttgart und Mainz sei ein „erpresserischer Vorgang“. Für einen „inszenierten Regierungstalk“ stehe sie nicht zur Verfügung.

Schön an Klöckners Reaktion ist ganz gewiss, dass SPD und Grüne eine Quittung erhalten für ihre peinliche Populismusangst – und für den erbärmlichen Versuch der moralisch-machtarroganten Diskurssteuerung. Sieben Wochen vor den Wahlen stehen Dreyer und Eveline Lemke (Grüne) in Rheinland-Pfalz blamiert da; die Chancen für eine Neuauflage der Koalition tendieren gegen Null. Andererseits ist Klöckners Schachzug nicht nur elegant, sondern auch zutiefst opportunistisch – mehr noch: eine heikle rhetorische Verbeugung vor der „Lügenpresse“-Kampagne, die von der AfD seit Monaten geschickt angeheizt und ausgebeutet wird.

Politische Diskurs hat sich nach rechts verschoben

Wer den Generalsekretär von einem „Frontalangriff auf die Staatsferne öffentlich-rechtlicher Medien“ schwafeln lässt und auch selbst mit Vokabeln wie „Erpressung“ und „Inszenierung“ so verschwenderisch umgeht wie Klöckner, hat sich die in rechtspopulistischer Absicht gestreute Diffamierung der „Staatsmedien“ halbwegs zu eigen gemacht oder aber er beutet sie, schlimmer noch, aus.

Vollends der AfD auf den Leim geht neben Klöckner auch der FDP-Spitzenkandidat Volker Wissing, der sich mit Blick auf die Dreyer-SWR-Posse nicht scheut, „Putins Russland mit Dreyers Rheinland-Pfalz durchaus gleichzusetzen“ und seine neue Plakatidee („Wer schützt die Pressefreiheit vor Rot-Grün?“) offenbar wahnsinnig witzig findet.

Stimmenanteil rechter Parteien

Mit ihrer Wortwahl legen Klöckner und Wissing nicht nur Zeugnis davon ab, dass der politische Diskurs sich bereits bedenklich nach rechts verschoben hat, sondern dass sie auch selbst bereit sind, den Diskurs aus wahltaktischen Erwägungen heraus nach rechts zu verschieben. Offenbar ist das Gift der Desinformation und des Ressentiments gegen „Gutmenschen“, die in „Mainstream“-Medien ein „Meinungskartell“ bilden, um die „schweigende Mehrheit“ linksgrün zu pädagogisieren, als vernunftsedierende Grundannahme bereits ins politische Bewusstsein vieler Deutscher eingesickert.

Anders ist nicht zu erklären, dass Klöckner und Wissing meinen, einen schlimmen Fehler von MinisterpräsidentIn und Intendant als Systeminfarkt markieren zu müssen. Der aber liegt, bei aller Kritik, erkennbar nicht vor (was die verbreitete Kritik durch ihr Vorhandensein an sich beweist).

Anders gesagt: Das größte Problem für Union, SPD und Grüne (und Deutschland) besteht nicht darin, dass sich aktuellen Umfragen zufolge jeder achte bis zehnte Deutsche vorstellen kann, AfD zu wählen. Wirklich Sorge muss einem bereiten, dass die AfD alle übrigen Parteien längst auf ihr semantisches Spielfeld gezwungen hat. So taktisch, selektiv und schablonenhaft sich die AfD zu Welt und Wirklichkeit verhält, so taktisch, selektiv und schablonenhaft verhalten sich inzwischen Union, SPD und Grüne zur AfD (und damit zu Welt und Wirklichkeit). Dreyer mit Putin zu vergleichen, den SWR mit den russischen Staatsmedien – auf so einen Unsinn muss man kommen wollen. (Mehr zum Vorwurf der „Lügenpresse“ hier)

Wird die AfD langfristig erfolgreich sein?

Auch auf Bundesebene bestimmt längst die AfD den politischen Ton – gerade dann, wenn andere über sie reden. Es ist verheerend, dass führende Politiker wie Wolfgang Schäuble, Sigmar Gabriel oder auch CDU-General Peter Tauber Vokabeln wie „Dumpfbacke“, „Pack“ und „Arschloch“ angemessen finden, um intellektuellen Hungerleidern die Diagnose „Reflexionsskorbut“ zu stellen. Derlei Beschimpfungen stabilisieren nicht nur das narzisstische Selbstbild „besorgter Bürger“, die sich von „denen da oben“ im Stich gelassen fühlen.

Sie bergen auch die viel größere Gefahr in sich, dass die AfD schleichend als Argument in Anspruch nehmen kann, was sie selbst als böse Unterstellung in Umlauf gebracht hat: den Vorwurf nämlich, dass die Politik sich um die einfachen Leute, genauer: um deutsche „Abgehängte“ und „Ausgeschlossene“ weniger schere als um Migranten und Flüchtlinge. Union, SPD und Grüne haben noch immer nicht verstanden, dass viele AfD-Wähler Pauschalisierungen und Beschimpfungen mit Dankbarkeit auf sich beziehen, um mit der Kraft ihres (Selbst-)Hasses besser denn je dem Bild entsprechen zu können, das sich „das System“ ihrer Meinung nach von ihnen macht.

Parteien müssen sich AfD argumentativ stellen

Deshalb ist es auch falsch, die „AfD“ gewohnheitsmäßig als „rechtspopulistische AfD“ einzuführen. Das Attribut steht ihr zweifellos zu, aber die anderen Parteien (und wir Journalisten) müssen dem Rechtspopulismus Argument für Argument, Beleg für Beleg, Zitat für Zitat, wieder und wieder nachweisen, damit nicht vor aller Diskussion der fatale Eindruck entsteht, nichts von dem, was ein AfD-Politiker sagt, könne richtig sein, nur weil ein AfD-Poltiiker es sagt. Tatsächlich sind viele Politiker und Journalisten in diese Falle längst gelaufen. Der starke Zulauf zur AfD hat sehr viel damit zu tun, dass die AfD (als einzige Partei) bereits vor Monaten eine Asylpolitik gefordert hat, für deren Grundzüge sich heute im Bundestag spielend leicht Mehrheiten finden.

Grenzen schließen! Beschleunigte Verfahren! Sach- statt Geldleistungen! Einschränkung des Asylrechts! 1000 Ausweisungen täglich! Residenzpflicht für anerkannte Asylbewerber! Den Familiennachzug aussetzen! Kompensation von EU-Ländern, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen! – vieles wird heute diskutiert und manches ist längst Politik geworden, was die AfD in ihrem „Thesenpapier Asyl“ bereits im September 2015 vorschlug.

Damals diskutierte man, ob es Benutzern des Wortes „Flüchtlingsstrom“ an Empathie für das Schicksal der Flüchtlinge mangele. Solche Sachen. Heute zuckt nicht mal mehr die linke Politikerin Katja Kipping, wenn der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) in einer Talk-Show vor sich hinbollert, dass „deutsche Frauen sich wieder sicher fühlen“ müssen.

Dennoch hängt das Erstarken der AfD weniger damit zusammen, dass die CSU ihr seit Wochen nacheifert: Die Christsozialen machen den Rechtspopulismus hoffähig und stärken damit das Original, so der gängige Vorwurf. Schwerer wiegt vielmehr, dass die formelhafte Abgrenzung von Politikern der Union, SPD und Grünen zur AfD („Rechtspopulisten“) desto formelhafter, also zunehmend entlarvend wirkt, je ununterscheidbarer die Asylpolitiken aller Parteien werden.

Ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dabei in den vergangenen Wochen eine besonders unselige Rolle gespielt. Sie hat einerseits den Raum zwischen „Wir schaffen das“ (Merkel) und „Wir wollen das gar nicht schaffen“ (AfD) systematisch eng gemacht. Hat keinen Diskurs geduldet, der jenseits ihres Mantras von der „europäischen Lösung“ und der „Bekämpfung der Fluchtursachen“ politische Horizonte eröffnet hätte für nachdenkliche Zweifel („Wir schaffen das?“) und programmatisch unterlegte Zuversicht („Wir schaffen das, wenn…“).

Und sie hat andererseits eine planlos-situative, paradox-populistische Politik der willkommenen Abschreckungskultur und abschreckenden Willkommenskultur initiiert, an deren Ende das Land zwei bis drei Millionen Migranten aufgenommen haben wird, bevor es zum status quo ante zurückkehrt: zu einer europäischen Flüchtlingspolitik mit Zentren und Zäunen, Polizisten und Patrouillen in Griechenland und Italien (plus eventuell eine bilaterale Kontingentlösung mit der Türkei). 

Es wird daher höchste Zeit, dass Union, SPD und Grüne sich mit Blick auf die prekäre politische Stimmung in Deutschland Denk- und Argumentationsräume zurückerobern, jenseits des regierungsamtlichen Positivismus und jenseits einer formelhaft-taktischen oder dumm-denunziatorischen Auseinandersetzung mit der AfD. Es wird Zeit, dass sie gewillt sind, die AfD argumentativ zu stellen. Dass sie die völkische Sprache und xenophoben Töne einiger ihrer Sprecher und Anhänger seziert („Das Überleben des eigenen Volkes sichern“, „1000 Jahre Deutschland“, „Das Schicksal des deutschen Volkes“ etc.). Dass sie ihre zersetzende Propaganda („Lügenpresse“) als zersetzende Propaganda entlarvt.

Und dass sie deutlich macht, die anfallenden politischen Probleme, ganz im Gegensatz zur AfD, nicht nach Maßgabe von Ideologie und Opportunität behandeln zu wollen, sondern moralisch integer, jederzeit solide und sachorientiert. Eine solche Politik, die sich selbst unbequem ist, weil sie das Demagogische ablehnt, das Taktische meidet und ins Faktische verliebt ist, muss sich vor den Wählern nicht angstvoll verstecken. Sie wüsste jederzeit 95 Prozent der Deutschen hinter sich.

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