Rechtsstreit wegen Atomausstieg Vattenfall-Klage gegen Deutschland wird teuer

Die Vattenfall-Klage gegen den Atomausstieg kostet den deutschen Steuerzahler schon jetzt viel Geld. Kritiker fürchten eine Welle solcher Schiedsgerichtsverfahren durch das geplante Freihandelsabkommen mit den USA.

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Vattenfall kann als ausländischer Konzern vor einem US-Schiedsgericht gegen den Atomausstieg klagen. Allein das Verfahren kostet Deutschland jetzt schon Millionen. Quelle: dpa

Berlin Die Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen den Atomausstieg in Deutschland kommt den Steuerzahler teuer zu stehen. Seit Beginn des Verfahrens im Jahr 2012 seien für das Schiedsgerichtsverfahren aus dem Bundeshaushalt Ausgaben in Höhe von etwa 4,1 Millionen Euro getätigt worden (Stand: 4. März 2015), schreibt das Bundeswirtschaftsministerium in einer Antwort auf eine Frage des Linksfraktions-Abgeordneten Klaus Ernst. Das Schreiben liegt dem Handelsblatt (Online-Ausgabe) vor.

Der Großteil der Kosten wurde für die juristische Auseinandersetzung aufgewendet. Der Gegenwert von 300.000 US-Dollar entfalle auf Gerichtskosten und etwa 2,4 Millionen Euro auf rechtsanwaltliche Leistungen der mit der Prozessführung des Schiedsgerichtsverfahrens mandatierten Rechtsanwälte der Kanzlei MWE (McDermott Will & Emery). Die übrigen Ausgaben betreffen laut Wirtschaftsministerium Kosten für Gutachter sowie „notwendige Hilfsdienstleistungen“ wie Übersetzungen und Dokumentenmanagement.

Vattenfall klagt wegen der Stilllegung der schleswig-holsteinischen Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel auf 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz. Bis wann das Verfahren abgeschlossen sein wird, ist unklar.

Linksfraktionsvize Ernst warnt angesichts der hohen Kosten für juristischen Beistand vor schwer kalkulierbaren Risiken, sollte die Bundesregierung beispielsweise im geplanten Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA (TTIP) die umstrittenen Investorenschutzregeln mittragen. „Schiedsrichter von Schiedsgerichten fahren paradiesische Gehälter ein – auf Kosten der Steuerzahler“, sagte Ernst dem Handelsblatt mit Blick auf den Streit mit Vattenfall und fügte hinzu: „Es ist ein Unding, dass die Bundesregierung trotz der Erfahrung mit Vattenfall weitere Investorenklagen riskiert, indem sie immer neue Investitionsschutzverträge zulässt.“


TTIP-Kritiker sehen Gabriels Kompromissvorschlag skeptisch

Die Bundesregierung sieht Investitionsschutz-Klauseln zwar kritisch, ist aber grundsätzlich dafür. Da Kritiker aber fürchten, dass vor privaten Schiedsgerichten nationale Gesetzesentscheidungen ausgehebelt werden könnten, schlug Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) kürzlich zusammen mit sozialdemokratischen EU-Amtskollegen einen anderen Investitionsschutz vor.

Statt privaten Schiedsgerichten wird beispielsweise die Einrichtung eines Handels- und Investitionsgerichtshofes ins Spiel gebracht. Dies solle noch im Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) verankert werden, das Ceta als Blaupause auch für das angestrebte TTIP-Abkommen gilt. Allerdings schloss EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström grundlegende Änderungen an Ceta aus.

Auch die TTIP-Kritiker sind skeptisch. „Ich denke, das ist eine Nebelkerze“, meinte jüngst Pia Eberhardt von der Organisation Corporate Europe Observatory in Brüssel. Zwar würde sie sich über einen internationalen Handelsgerichtshof freuen. Dieser könne tatsächlich an die Stelle nicht-öffentlicher Schiedsgerichte treten. Doch dies „ist nichts, was man innerhalb von drei Monaten aufbaut“, sagte sie. Daher dürfe der Vorschlag weder mit dem geplanten TTIP-Abkommen zwischen EU und USA noch mit dem noch weiter gediehenen Ceta-Vertrag der EU mit Kanada verbunden werden, sagte Eberhardt.

Der Investorenschutz ist einer der Hauptstreitpunkte bei den geplanten Handelsabkommen TTIP und Ceta. Generell soll er Unternehmen vor unfairen Gesetzen und Entscheidungen und Gesetze im jeweils anderen Wirtschaftsraum schützen - also zum Beispiel einen deutschen Mittelständler in den USA. Die Kritiker finden aber, dass es nicht die herkömmlichen, meist mit Anwälten besetzten Schiedsgerichte sein sollten, die über solche Fälle urteilen.


US-Unternehmen sind bekannt für ihre Streitlust

Konzerne könnten damit Staaten vor private Schiedsgerichte zitieren und auf milliardenschweren Schadensersatz verklagen, etwa, wenn sie Gewinne durch schärfere Umweltgesetze gefährdet sehen. Doch solche Verfahren für die Steuerzahler teuer werden können, bestätigte jüngst eine Studie des Netzwerks Friends of the Earth Europe bestätigt.

Insgesamt 3,5 Milliarden Euro Schadenersatz mussten demnach EU-Länder in den vergangenen 20 Jahren an Investoren und Konzerne zahlen. In 60 Prozent der Fälle ging es um Umweltfragen. Basis dieser Klagen waren Investorenschutzregeln in älteren Handelsverträgen.

Auch Friends of the Earth fürchtet wie der Linkspartei-Politiker Ernst einen Anstieg solcher Investorenschutzklagen, sollten die Klauseln auch im TTIP-Abkommen verankert werden. US-Unternehmen sind bekannt für ihre Streitlust. Europäische Konzerne gelten ebenfalls als nicht zurückhaltend, wie die Vattenfall-Klage gegen den deutschen Atomausstieg zeigt.

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