"Die Nachricht vom Tode Helmut Kohls ist eine der Nachrichten, die uns alle innehalten und still werden lassen. Weil wir spüren, dass ein Leben zu Ende ist, und dass der, der es gelebt hat, in die Geschichte eingeht. Mich erfüllt diese Nachricht mit tiefer Trauer. Meine Gedanken sind zuallererst bei Helmut Kohls Frau Maike, der ich eben telefonisch meine Anteilnahme übermittelt habe, und bei seiner Familie. Ihnen wünsche ich Trost und Kraft.
Ich denke in diesem Augenblick aber auch mit großem Respekt und mit großer Dankbarkeit an das Leben und Wirken von Bundeskanzler Helmut Kohl. Das Bild dieses in jeder Hinsicht großen Mannes, seine Leistung, seine Rolle als Staatsmann in Deutschlands historischer Stunde: Das alles steht uns sofort vor Augen. Es wird aber noch eine Zeit lang dauern, bis wir wirklich ermessen können, was wir mit ihm verloren haben.
Helmut Kohl war ein großer Deutscher und ein großer Europäer. Tatsächlich haben die beiden wichtigsten Aufgaben der deutschen Politik der letzten Jahrzehnte Helmut Kohls Wirken bestimmt: die Wiedererlangung der Einheit unseres Vaterlandes und die Einigung Europas.
Helmut Kohl verstand, dass das eine und das andere untrennbar verbunden waren. Und er hat sich um beide Ziele wie kaum ein anderer verdient gemacht. Seine beiden Ehrenbezeichnungen drücken das aus: Ehrenbürger Europas - diesen Titel haben ihm die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union verliehen. Und Kanzler der Einheit - so sehen ihn Millionen von Deutschen, und das bleibt er in den Geschichtsbüchern und in unserer Erinnerung.
Ich möchte an diesem Tag auch an den Christdemokraten Helmut Kohl erinnern, an den Parteivorsitzenden über ein Vierteljahrhundert, den Modernisierer, der diese große Volkspartei geprägt hat, und dem sie so viel zu verdanken hat. Sie wird es ihm nicht vergessen.
Helmut Kohl war ein Pfälzer, einer, der seine Heimat liebte und ihr zeitlebens treu blieb. Und weil das so war, hatte er auch ein so feines Gespür für die Geschichte und die Gefühle unserer europäischen Partner. Diesem Gespür für Geschichte und den Freundschaften, die Helmut Kohl über die Grenzen hinweg schloss, dem Vertrauen, das man ihm von Washington bis Moskau, von Paris bis Warschau entgegenbrachte, haben wir Deutschen viel zu verdanken.
Als in Osteuropa in den achtziger Jahren ein neuer Geist zu wehen begann, als von Polen aus die Freiheit errungen wurde, als mutige Menschen in Leipzig, Ostberlin und anderswo in der DDR eine friedliche Revolution machten, da war Helmut Kohl der richtige Mann zur richtigen Zeit.
Er hatte festgehalten am Traum und am Ziel des vereinten Deutschlands, auch als andere schwankten. Und er verstand in diesen glückhaften Wochen 1989 und 90, dass das, was die Menschen auf den Straßen erstritten hatten, eine historische Chance war, die es zu nutzen galt.
Man wird noch lange studieren und bewundern, wie entschlossen und geschickt Helmut Kohl und seine Mitstreiter damals die Gunst der Stunde nutzten. Wie klug sie die Einheit im Einklang mit all unseren Nachbarn und Freunden aushandelten. Das war höchste Staatskunst im Dienste der Menschen und des Friedens. Helmut Kohl ist damit zu einem Glücksfall für uns Deutsche geworden.
Die wichtigsten politischen Stationen Helmut Kohls
1946: Eintritt in die CDU
1955: Mitglied im Vorstand der CDU Rheinland-Pfalz
1959: Zum ersten Mal in den Landtag von Rheinland-Pfalz gewählt
1963: Wahl zum Fraktionsvorsitzenden
1964: Wahl in den CDU-Bundesvorstand
1966: Wahl zum CDU-Landesvorsitzenden
Quelle: dpa
Kohl übernimmt in der Mitte der Legislaturperiode das Amt des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten von Peter Altmeier. Nach zweimaliger Wiederwahl mit absoluten Mehrheiten gibt er das Amt im Dezember 1976 an Bernhard Vogel ab.
Erste Kanzlerkandidatur Kohls. Die Union wird mit 48,6 Prozent stärkste Fraktion, aber SPD und FDP behalten ihre Mehrheit. Kohl tritt im Dezember als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz zurück und wird Oppositionsführer im Bundestag.
Nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition setzt Kohl ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt durch und wird zum Bundeskanzler gewählt. Durch eine gezielt verlorene Vertrauensabstimmung macht Kohl im Dezember 1982 den Weg für eine Neuwahl frei.
Bei der Bundestagswahl erhalten Union und FDP eine klare Mehrheit für die von Kohl angekündigte Politik der "geistig-moralischen Wende".
1984: Innenpolitische Krisen wegen der Affäre um General Kießling und der Flick-Parteispendenaffäre. Im September trifft sich Kohl mit dem französischen Präsidenten Francois Mitterrand am Ort der Schlacht um Verdun zum gemeinsamen Gedenken an die Toten der beiden Weltkriege. Die Bilder des minutenlangen Händedrucks wurden zum Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung.
Mai 1985: Der gemeinsame Besuch Kohls mit US-Präsident Ronald Reagan auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg löst heftige Kontroversen aus. Auf dem Friedhof sind auch Angehörige der Waffen-SS beerdigt.
November 1986: Kohl vergleicht den sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow in einem "Newsweek"-Interview mit NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.
1989: Innerparteiliche Widersacher um Heiner Geißler, Lothar Späth und Rita Süssmuth schmieden Pläne zur Ablösung Kohls. Der erfährt davon und kann den Putschversuch abwehren.
Am 9. November fällt die Mauer. Kohl verkündet danach ein Zehn-Punkte-Programm zur stufenweisen Herstellung der Einheit Deutschlands und Europas.
Abschluss der Einigungsverträge. Gegen den Widerstand von Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl setzt Kohl einen Umtauschkurs von Ost- in D-Mark von 1:1 durch. In einer Fernsehansprache verheißt er in Ostdeutschland "blühende Landschaften". In den 2+4-Verhandlungen mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs erreicht Deutschland die Rückgabe seiner vollen Souveränität. Zusammen mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher erwirkt Kohl bei einem Besuch in der Sowjetunion die Zustimmung Gorbatschows, dass das vereinigte Deutschland in der Nato bleiben kann.
Am 3. Oktober 1990 ist Deutschland wiedervereinigt. Bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl im Dezember wird die Regierung Kohl im Amt bestätigt.
Kohl bricht sein Wahlversprechen von 1990, die Steuern wegen der deutschen Einheit nicht zu erhöhen. Außenpolitisch treibt seine Regierung zusammen mit Frankreich die europäische Einigung voran, die auf dem EG-Gipfel von Maastricht in der Vereinbarung über die Einrichtung einer Europäischen Union mit einer gemeinsamen Währung, dem Euro, mündet.
Union und FDP gewinnen die Bundestagswahl.
Kohl kündigt entgegen früheren Äußerungen seine neuerliche Kandidatur für die Wahl 1998 an. Wenig später präsentierte er Wolfgang Schäuble als seinen Wunsch-Nachfolger.
Regierung Kohl wird abgewählt, Kohl tritt auch als CDU-Vorsitzender zurück und wird Ehrenvorsitzender.
Aufdeckung der CDU-Spendenaffäre. Kohl räumt ein, selbst in den Jahren 1993 bis 1998 für die Partei Spenden von 1,5 bis zwei Millionen Mark erhalten und nicht angemeldet zu haben. Er verweigert jede Auskunft über die Namen der Spender mit der Angabe, er habe den Geldgebern mit seinem Ehrenwort Anonymität zugesichert. Es kommt zum Bruch mit der Parteiführung um Parteichef Schäuble und Generalsekretärin Angela Merkel. In der Folge wird er im Januar 2000 zum Verzicht auf den Ehrenvorsitz gezwungen.
Die Bonner Staatsanwaltschaft stellt ein Ermittlungsverfahren gegen Kohl zur Spendenaffäre gegen Zahlung einer Geldbuße von 300.000 Mark wegen geringer Schuld ein.
Kohls Frau Hannelore nimmt sich das Leben.
2004: Kohl legt den ersten Teil seiner Autobiografie vor, weitere Bände folgen.
2007: Nach mehreren Operationen verschlechtert sich Kohls Gesundheitszustand. Er tritt seltener in der Öffentlichkeit auf.
2008: Kohl heiratet Maike Richter.
2011: In einem Interview übt Kohl Kritik an der deutschen Außen- und Europapolitik, was als Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel wahrgenommen wird. Später relativiert er diese Interpretation etwas.
2012: Die Kanzlerin würdigt Kohl zum 30. Jahrestag seiner Wahl zum Bundeskanzler und überreicht ihm eine Sonderbriefmarke mit der Aufschrift "Kanzler der Einheit" und "Ehrenbürger Europas".
Helmut Kohl hat auch meinen Lebensweg entscheidend verändert. Wie Millionen andere konnte ich aus dem Leben in der Diktatur der DDR in ein Leben der Freiheit gehen. Ich konnte von da an auch ohne Angst beim alles überwachenden Staat leben. All das, was in den 27 Jahren von damals bis heute folgen sollte, wäre niemals denkbar gewesen ohne Helmut Kohl.
Ich bin ganz persönlich dankbar, dass es ihn gegeben hat. Wir alle können dankbar dafür sein, was Helmut Kohl in langen Jahren des Dienstes für uns Deutsche und unser Land getan hat. Und so wird er in unserer Erinnerung weiterleiben - als der große Europäer und als Kanzler der Einheit. Ich verneige mich vor seinem Angedenken."