Reform der Betriebsrenten Widerstand gegen Nahles‘ neues Rentenprojekt

Bundessozialministerin Nahles peilt eine Stärkung der Betriebsrente für Millionen Arbeitnehmer an. In der Wirtschaft ist man erbost über die „kontraproduktiven“ Vorschläge. Ein weiterer Aspekt sorgt ebenfalls für Unmut.

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Die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mischt sich in die aktuelle Diskussion ein. Quelle: dpa

Berlin Der Präsident des Verbands Die Familienunternehmer, Lutz Goebel, hat die Pläne von Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) für eine stärkere Verankerung von Betriebsrenten in Tarifverträgen scharf kritisiert. „Völlig kontraproduktiv ist der jüngste Vorschlag von Andrea Nahles, mittelständische Familienunternehmer über die Tarifparteien in gewerkschaftsnahe Tariffonds zu zwingen“, sagte Goebel dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Allerdings plane die Ministerin auch, Unternehmen von Haftungsrisiken für Versicherungsprodukte zu befreien. „Wenn die Bundesregierung die Attraktivität betrieblicher Pensionen steigern möchte, muss sie sich auf diesen Punkt konzentrieren.“

Nahles will mit ihrer Reform den weiteren Auf- und Ausbau der betrieblichen Altersversorgung stärken, wie aus einem entsprechenden Konzept des Ministeriums hervorgeht. Der Grünen-Rentenexperte Markus Kurth unterstützt zwar das Anliegen. Er sagte aber kürzlich auch: „Wir brauchen eine Förderung der betrieblichen Altersversorgung im Rahmen eines schlüssigen Gesamtkonzepts.“

Auch gesetzliche und private Vorsorge müssten angepackt werden. Bitter wäre die Umsetzung des Ministeriumskonzepts für jene, die nicht betrieblich vorsorgen könnten. Nachteile gebe es auch für Arbeitnehmer, die aufgrund der Umwandlung von Lohn in Betriebsrenten-Beiträge am Ende weniger für die Rentenkasse übrig hätten, so dass ihr Rentenniveau sinke.

Der Linken-Rentenexperte Matthias W. Birkwald warf Nahles vor, die gesetzliche Rente zu kürzen und dann auch noch den Beschäftigten bestimmte Haftungsrisiken bei der geplanten neuen Betriebsrente geben zu wollen. An Altersarmut werde sich dadurch nichts ändern.

Im Detail sehen die angepeilten Änderungen des Betriebsrentengesetzes vor, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften Pensionskassen oder Pensionsfonds einrichten. In Tarifverträgen könnte dann vorgesehen werden, dass die Arbeitgeber Beiträge für die Betriebsrente zusagen. Die Arbeitnehmer sollen von der Pensionskasse oder dem Pensionsfonds eine Mindestleistung zugesagt bekommen.

Hinter der geplanten Reform steht ein Problem, das Nahles bereits im Dezember benannt hatte: Für rund 20 Prozent der kommenden Rentnergeneration gibt es keine ausreichende betriebliche oder private Vorsorge jenseits der gesetzlichen Rente. Denn die gesetzliche Rente dürfte künftig für immer mehr Menschen immer weniger ausreichen.

Am klarsten hat das zuletzt wohl Ex-Rentenminister Norbert Blüm (CDU) gesagt: „Wenn das Rentenniveau weiter so sinkt wie in den letzten Jahren, dann kommt man in die Nähe der Sozialhilfe, was die Rentenversicherung nicht nur um ihren guten Ruf bringt, sondern auch um ihre soziale Sicherungsfunktion.“

Die Regierung will aber nicht mehr Geld in die Rentenkasse spülen. Zu Beginn des Jahres gab es eine Beitragssatzsenkung um 0,2 Punkte auf 18,7 Prozent. Forderungen der Rentenversicherung Bund, die erst für 2019 erwartete Wiederanhebung des Beitrages um mindestens ein Jahr vorzuziehen, stießen bei der Regierung auf taube Ohren.


Betriebsrente Top, Riesterrente Flop

Nun will Nahles also die Riesenlücken bei der Betriebsrente verkleinern. Laut dem Ministeriumskonzept soll es eine „möglichst hohe Flächendeckung“ geben. Fast zehn Milliarden Euro haben die Beschäftigten in Deutschland über den Betrieb fürs Alter angespart, Geringverdiener am wenigsten. Zuletzt hatten 17,8 Millionen Beschäftigte eine Anwartschaft auf eine Betriebsrente – knapp 60 Prozent. In Betrieben mit unter zehn Beschäftigten hat nur ein knappes Drittel Anspruch auf eine betriebliche Altersvorsorge.

Dabei ist die Betriebsrente in den Augen von Nahles eine sehr gute Sache, während die Riesterrente mit allerhand Problemen behaftet ist. „Erhebliche Kosten- und Effizienzvorteile“ hat die betriebliche Altersvorsorge laut dem Ministeriumspapier.

Denn Arbeitgeber und Arbeitgeber ziehen dabei in der Regel an einem Strang. So liegen die Leistungen bei den derzeit mehr als 170 Pensionskassen und -fonds für Betriebsrenten in Deutschland oft teils deutlich über bestimmten Mindestzusagen – trotz aktuell sehr niedriger Zinsen. Wer in Pensionskassen von Konzernen wie BASF oder Novartis ist, muss sich über seine Rente in aller Regel weniger Sorgen machen.

Um der Betriebsrente nun einen Aufschwung zu ermöglichen, sollen sich aus Sicht der Sozialministerin Gewerkschaften und Arbeitnehmer auf Modelle wie gemeinsame Pensionskassen oder -fonds einigen. Im Tarifvertrag kann dann stehen, dass die Arbeitgeber eine Beitragszusage machen.

Sie wären danach außen vor – auch bei völligem Zinsverfall oder Pleite der Kasse würde das Prinzip „pay and forget“ gelten, „zahlen und vergessen“. Bei so einem Desaster würden letztlich die Arbeitgeber insgesamt und auch die Arbeitnehmer kollektiv haften.


Arbeitgeber fürchten Schwächung der Altersvorsorge

Trotzdem lehnt auch der Arbeitgeberverband BDA das Ministeriumskonzept in der aktuellen Form ab. „Eine unveränderte Umsetzung des Vorschlags würde die bestehende betriebliche Altersvorsorge schwächen“, hieß es zuletzt in seiner Stellungnahme.

Schaden nehmen könnten demnach bestehende Pensionskassen, mit denen Firmen auch um Mitarbeiter werben. Denn doppelt zahlen – in bestehende und neue Kassen – wollen die Arbeitgeber nicht, heißt es. Von Arbeitnehmerseite heißt es, die Leistungen hätten nur ein bestimmtes Mindestniveau. Für die Leute könnte weniger übrig bleiben, als bei Betriebsrenten heute üblich.

Erfolg könnte das Konzept, so sich Nahles durchsetzt, laut Experten aber in anderer Hinsicht haben. Mehr Arbeitnehmer könnten von Betriebsrenten profitieren. Die erwogene Gesetzesänderung sieht nämlich vor, dass die Betriebsrente via Tarifvertrag auch für Firmen ohne Tarifbindung kommen soll – wenn Arbeitgeber und -nehmer dies vereinbaren. Allerdings schmeckt den Gewerkschaften das überhaupt nicht. Sie wollen dann lieber, dass die Regierung die Tarifverträge allgemeinverbindlich für die jeweilige Branche erklärt.

Auch damit dürfte Gewerkschaftsmitglied Nahles wenig Probleme haben, ihre größten Kritiker von den Arbeitgebern und dem Wirtschaftsflügel der Union aber wohl schon. Neuer Zündstoff also für all jene Beteiligten, die sich bereits im Kampf um Korrekturen am Mindestlohn und etwa bei neuen Regeln zum Arbeitsschutz nichts schenken.

Die Nahles-Reform kommt den Unternehmen auch deshalb ungelegen, weil die Betriebsrenten ohnehin gefährdet sind – wegen der derzeitigen Nullzins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB). Den Familienunternehmer-Präsident Goebel ärgert, dass die angespannte Situation für die Unternehmen noch zusätzlich durch das deutsche Steuerrecht verschärft wird, weil darin die Realität der Niedrigzinsphase keine Berücksichtigung findet.


Pensionsverpflichtungen von 23,3 Milliarden Euro

Goebel bezog sich dabei auf eine Analyse des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Demnach werden Rückstellungen für die Betriebsrenten steuerlich mit einem Zinssatz von sechs Prozent abgezinst – ein Wert, der inzwischen weit von den real erzielbaren Renditen sowie den handelsrechtlichen Werten entfernt ist.

Damit werden laut DIHK schon kleine und mittlere Unternehmen so besteuert, als hätten sie seit 2008 zusätzlich insgesamt 2,3 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Sie hätten also 700 Millionen Euro an Steuern auf Erträge gezahlt, die sie nicht erwirtschaftet hatten, heißt es in der Analyse.

Goebel sagte dazu: „Die steuerlich absurde Bestrafung von Pensionsrückstellungen ist absolut schädlich für die dringend notwendige private Altersvorsorge unserer Mitarbeiter. Viele Familienunternehmer, die seit Jahrzehnten freiwillige Angebote gemacht haben, ächzen nun angesichts künstlich niedriger Zinsen unter diesen Lasten.“

Dass dieser Umstand schwer wiegt, liegt auf der Hand, zumal die betriebliche Altersvorsorge für viele Beschäftigte eine wichtige Säule der Absicherung im Alter ist. Etwa 23,3 Milliarden Euro an privatwirtschaftlichen Pensionsverpflichtungen entfallen nach Angaben der Bundesbank auf mittelständische Unternehmen. Doch die dafür gebildeten Finanzanlagen sind unrentabel geworden – Grund ist der niedrige Zins.

Wie der DIHK in einer Analyse schreibt, macht es der jahrelange Niedrigzins immer schwerer, die Pensionszusagen zu finanzieren: Die Gelder, die Unternehmen für diesen Zweck angelegt haben, würfen immer weniger Rendite ab. Pensionslasten müssten somit immer stärker aus dem laufenden Geschäft bezuschusst werden – das aber entziehe den Unternehmen Kapital, das in der Folge für Investitionen fehlt.

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