Regeln gegen Reformverweigerer Experten wollen Euro-Rausschmiss ermöglichen

Griechenlands neue Regierung eint die Absage an die Reformpolitik. Dem Euro will sie aber treu bleiben. Ein Unding, finden Kölner Forscher. In einer Studie zeigen sie, wie sich Reformblockierer disziplinieren lassen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Eine Ein-Euro-Münze: Die Sorgen um die Euro-Zone sind mit dem Ausgang der Griechenland-Wahl wieder größer geworden. Quelle: dpa

Berlin Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) fordert vor dem Hintergrund der Griechenland-Debatte, mittelfristig einen rechtlichen Weg für einen Euro-Austritt zu schaffen. Denn das Fehlen einer rechtlichen Regelung würde derzeit einen „ungeordneten und daher ökonomisch noch schädlicheren Weg“ aus der Euro-Zone erzwingen, heißt es in einer IW-Studie.

Die Autoren der Expertise, Jürgen Matthes, Leiter des IW-Kompetenzfelds Internationale Wirtschaftsordnung und Konjunktur und Thomas Schuster, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Dualen Hochschule Mannheim, räumen zwar ein, dass die griechischen Koalitionspartner in Regierungsverantwortung manche Forderung des Wahlkampfes abmildern würden.

Dennoch stehe die Frage im Raum, wie die Europäische Währungsunion (EWU) mit reformunwilligen Staaten umgehen solle, wenn beispielsweise eine Einstellung von Hilfszahlungen zu einem Euro-Austritt führen könnte. Auch habe die Politik bisher noch nicht die Frage beantwortet, wie weit die Balance zwischen solidarischer Hilfeleistung - und dem damit verbundenen Aufweichen der No-Bailout-Klausel (Nicht-Beistands-Klausel) - auf der einen Seite und der als Gegenleistung und zur ökonomischen Gesundung geforderten Reformen – Konditionalität - auf der anderen Seite aufgeweicht werden könne.

Den Forschern ist bewusst, dass es nicht einfach ist, die klaffenden Lücken im Euro-Regelwerk zu schließen. Trotzdem halten sie aus ordnungspolitischer Sicht Härte gegen Reformverweigerer für dringend geboten. „Das heißt in letzter Konsequenz, dass bei einer Einstellung der Hilfen als Reaktion auf die Aufkündigung eines Reformprogramms gegebenenfalls ein Austritt aus der EWU hinzunehmen ist – auch wenn die ökonomischen Konsequenzen für den betreffenden Staat erheblich sind.“


Was bei einem ungeordneten Euro-Austritt droht

Ein ungeordneter Austritt oder Ausschluss eines Krisenstaates aus dem Euro würde diverse Probleme für das betroffene Land aufwerfen. Die Forscher führen sechs einschneidende Folgen auf:

Erstens würde es aufgrund der zu erwartenden starken Abwertung einer neuen Währung wahrscheinlich zu einem Staatsbankrott und zu verbreiteten Insolvenzen von Unternehmen und möglicherweise auch Banken kommen.
Zweitens: Ein Staatsbankrott würde „stark negative Effekte“ auf die Wirtschaftsentwicklung nach sich ziehen, weil Staatsausgaben in nennenswertem Umfang wegbrechen dürften.
Drittens: Zahlreiche private Insolvenzen würden die Arbeitslosigkeit deutlich steigen lassen.


Viertens: Die zu erwartende Abwertung dürfte nach Einschätzung der Experten zudem zu einer Kapitalflucht von in- und ausländischen Anlegern führen – mit der Folge, dass die Wirtschaft noch weiter geschwächt würde.
Fünftens käme auch der Bankensektor unter Druck. Zum einen, weil durch einen Staatsbankrott erheblicher Abschreibungsbedarf auf die gehaltenen Staatsanleihen bestehe, die deutlich an Wert verlören. Zum anderen dürfte im Übergang von einer zu einer anderen Währung die Refinanzierung der Banken über die Zentralbank schwerer fallen. Außerdem, so die Experten, führten die Sorgen vor einer Abwertung und vor drohenden Bankenpleiten in der Regel zu einem verbreiteten Abheben von Euro-Guthaben und letztlich zu einem Bankrun. Der damit einhergehende Liquiditätsverlust bringt die Gefahr von Bankenkonkursen mit sich.
Als sechsten Punkt nennen die Forscher die Kombination aus Kapitalflucht, Staatsbankrott und den Problemen des Bankensektors. In der Folge dürfte die Liquiditätsversorgung der Wirtschaft stocken, was letztlich auch die Aktivitäten privater Akteure und vor allem der Unternehmen empfindlich einschränken würde.

Die Experten sind überzeugt, dass sich solche Verwerfungen besser auffangen ließen, wenn es klare, rechtliche Regeln eines Euro-Austritts oder -Ausschlusses gebe. Die drohenden gravierenden ökonomischen Probleme könnten durch „kluge Vorzeichnung eines möglichen technischen Austrittsprozesses zumindest teilweise verringert werden“, heißt es in der Studie. „Die Europäische Union (EU) sollte daher – jedoch nur als Ultima Ratio und für den Fall einer grundlegenden Reformverweigerung – Regeln und Vorausplanungen für einen Austritt eines Mitgliedstaates aus der Währungsunion aufstellen.“


Den Euro verlassen, aber EU-Mitglied bleiben

Matthes und Schuster schlagen vor diesem Hintergrund vor, „auf mittlere Sicht“ den Vertrag über die Arbeitsweise der EU (VEU) zu ändern, um zumindest einen rechtlich geordneten Austritt eines Mitgliedstaates nur aus der Europäischen Währungsunion zu ermöglichen. Im Rahmen des in Artikel 48 VEU vorgesehenen Änderungsverfahrens bestünden „große Gestaltungsmöglichkeiten“, da die Mitgliedstaaten die Herren der Verträge seien. Demnach ließe sich ein Artikel in die EU-Verträge einfügen, der den Austritt aus der Währungsunion regelt. Dabei wäre es möglich, den gleichzeitigen Verbleib in der EU vorzusehen oder auch die Möglichkeit eines zeitlich nur begrenzten Euro-Austritts eines Landes.

Das Problem dabei ist allerdings, wie die Studienautoren anmerken, dass eine solche Vertragsänderung „einvernehmlich“ erfolgen müsse. Alle EU-Mitgliedstaaten müssten zustimmen, und es müsse eine Ratifizierung in den Mitgliedstaaten nach den jeweiligen nationalen Vorschriften erfolgen. Zudem werde wohl die Einberufung eines „Konvents“ von Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission notwendig.

Die Experten regen zudem an, über eine Vertragsänderung nachzudenken, die eine formelle Ausschlussmöglichkeit bei „massiven“ Verstößen gegen die gemeinsamen Vereinbarungen innerhalb der Euro-Zone regelt. Dabei könnte man sich an der im Artikel 50 VEU festgeschriebenen Austrittsklausel aus der EU orientieren.

Dort ist vorgesehen, dass jeder Mitgliedstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen kann, aus der Europäischen Union auszutreten. „Dementsprechend würde der neue Artikel regeln, dass jeder Mitgliedstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen kann, aus der Europäischen Währungsunion auszutreten“, schlagen die Forscher vor.


Faktischer Ausschluss bei Entzug des Stimmrechts im EZB-Rat

Die Experten plädieren überdies dafür, dass die Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission regelmäßig eine „quantitative Reformerfüllungsquote“ veröffentlicht. „Unterschreitet diese Quote einen bestimmten Wert, muss die Troika in einem qualitativen Bericht bewerten, ob ein substanzieller Verstoß gegen das Reformprogramm vorliegt.“ In diesem Fall müsse dann auf politischer Ebene der EU entschieden werden, die Hilfszahlungen einzustellen.

Im Falle einer grundsätzlichen Reformverweigerung schlägt das IW zudem vor, die Zentralbankgeldversorgung des betreffenden Staates durch das Euro-System aufzugeben und dem betreffenden Staat – nach Vorbild der Ausschlussregelungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) – das Stimmrecht im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) zu entziehen. „Dies würde einen faktischen Ausschluss aus der Währungsunion bedeuten.“

Ein so „gravierender Beschluss“ sei allerdings nicht durch eine unabhängige Institution wie die EZB denkbar, sondern müsse hinreichend demokratisch legitimiert sein. Grundsätzlich solle daher die Entscheidung über die Einstellung der Zentralbankgeldversorgung durch den Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit erfolgen.
„Das würde zwar die Unabhängigkeit der EZB tangieren“, räumen die Forscher ein.

„Doch hier könnte man argumentieren, dass der Europäische Rat – ebenfalls ohne Zutun der EZB – über die Aufnahme eines Landes in die EWU entscheidet.“ Wenn ein Aufnahmebeschluss durch den Europäischen Rat nötig sei, dann sei auch ein Ratsbeschluss über den „faktischen Ausschluss“ denkbar.


Auch Steuerzahlerbund mahnt Regeln für Euro-Austritt an

Unterstützung erhalten die IW-Forscher vom Bund der Steuerzahler. „Die Tatsache, dass rechtliche Rahmenbedingungen für einen möglichen Euro-Austritt geschaffen werden müssen ist absolut unstrittig. Wir fordern sie jedenfalls, denn der freiwillig wie auch der unfreiwillige Austritt aus der Währungsunion müssen nunmehr zu den Rahmenbedingungen gehören“, sagte Verbands-Präsident Reiner Holznagel dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Kurzfristig würden damit aber keineswegs die politischen Schuldenprobleme gelöst, sagte Holznagel weiter. Aus Sicht der deutschen Steuerzahler seien die griechischen Verbindlichkeiten die zentrale Frage, der Umgang mit ihnen sei derzeit ungeklärt. „Es wäre ein fatales Zeichen, Syriza jetzt aus der Staatsverantwortung zu entlassen“, warnte der Steuerzahlerbund-Chef. „Das würde die Deutschen weitere Milliarden kosten und für Europa ein fatales Zeichen sein.“

Auch ein populistisches Links-Rechts-Bündnis in Griechenland müsse an die Verträge und Vorgaben der Hilfspakete gebunden bleiben, betonte Holznagel. „Ansonsten müssen die Hilfsmaßnahmen gestoppt werden.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%