Regierungsbildung Die Telefonjoker der Jamaika-Verhandlung

Die Verhandlungen für ein Jamaika-Bündnis sind so außergewöhnlich wie absurd. Die frei gewählten Abgeordneten spielen keine Rolle. Vor allem FDP-Chef Christian Lindner wählt wohl den Alleingang. Eine Analyse.

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Neun Top-Sondierer von CDU und CSU, von denen nur fünf ein Bundestagsmandat haben. Quelle: dpa

Berlin Am Montag, Punkt 8.30 Uhr, werden sich die stellvertretenden Vorsitzenden und mit ihnen die bedeutsamen Chefs der Arbeitsgruppen der CDU-Fraktion wie etwa Jürgen Hardt (Auswärtiges), Henning Otte (Verteidigung) oder Marie-Luise Dött (Umwelt und Bau) über eine Frankfurter Telefonnummer in eine Schaltkonferenz einwählen. „Mir ist es ein besonderes Anliegen“, schreibt Fraktionschef Volker Kauder in der Einladung an die 15 Führungskräfte der insgesamt 200 CDU-Abgeordneten, „dass Ihre Einbeziehung als fachlich zuständige Kollegen unserer Fraktion auch in der Sondierungsphase gewährleistet ist.“ Die Runde solle sich daher telefonisch abstimmen. Auch würden die Berichterstatter aus den Sondierungsrunden „auf sie zukommen“.

Kauder gehört zum elitären Kreis jener Spitzenpolitiker von CDU, CSU, FDP und Grünen, die seit einer Wochen über das verhandeln, was lange Zeit als undenkbar galt: ein schwarz-gelb-grünes Bündnis, gemeinhin „Jamaika“ genannt. Dabei sind die Verhandlungen so außergewöhnlich wie demokratiegefährdend. Das Komma zwischen CDU und CSU zu Beginn des Absatzes ist sehr wohl gewählt, verhandeln doch in der Tat die Parteien und nicht die Fraktionen. Anderenfalls wäre das Komma durch einen Schrägstrich zu ersetzen, der die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU beschriebe.

Doch die Koalitionäre, die am Ende die Beschlüsse der Sondierung umsetzen müssen, spielen keine Rolle. Das gilt besonders in der FDP, wo Parteichef Christian Lindner nach Angaben von Teilnehmern die Verhandlungen fast im Alleingang führt. Aber es gilt auch für die Volkspartei CDU. „Kleine Sondierungsrunde“ nennen sie den Kreis, dem die 20 Großkopferten um Merkel, Seehofer, Lindner, Cem Özdemir und Simone Peter (Grüne) angehören. Der Rest darf auf Telefonkonferenzen hoffen.

Telefonjoker im Back Office

„Wir sind der Telefonjoker“, frotzelt ein Mitglied der geplanten Montagsrunde. „Niemand weiß, wie die Verhandlungen ablaufen“, sagt es. Zwar habe Parteichefin Angela Merkel im Bundesvorstand der Partei vergangenen Montag die Teilnehmer der Sondierungsrunden benannt. Dazu wurden auch bei jedem Thema zwei Fachpolitiker benannt. Sie nehmen aber nicht an den Runden teil. Vielmehr sitzen sie „im Back Office“, wie es heißt, und dienen allein „der Rückkopplung“, wenn es mal eine Fachfrage gibt. Um zumindest etwas Einfluss zu haben, versuchen die Fachpolitiker, in stiller Diplomatie ihre Positionen an entscheidender Stelle einzubringen.

Bei der Eröffnung des 19. Deutschen Bundestags hatte der 76-jährige Hermann Otto Solms als Alterspräsident noch an das Selbstbewusstsein der Parlamentarier appelliert. Schließlich gab es in den vergangenen Regierungsjahren unter Angela Merkel etliche Momente, in der die Abgeordneten sich als Stimmvieh fühlten und gegen ihre eigenen Überzeugungen votieren mussten – von der Euro- und der Griechenland-Rettung bis hin zu Kaufsubventionen für Elektroautos.

Solms selbst saß bereits von 1991 bis 2013 im Bundestag, war Fraktionschef der Liberalen und Bundestags-Vizepräsident. Abgeordneter zu sein, sei „eine große Ehre und eine noch größere Verpflichtung“, sagte er am Dienstag. Das Parlament stehe „im Mittelpunkt unserer staatlichen Ordnung“. Der Bundestag wähle sich seine Regierung, beauftrage und kontrolliere diese. Nicht etwa die Regierung wähle sich ihr Parlament. „Dessen sollten wir uns selbstbewusst immer wieder erinnern“, sagte Solms und fügte hinzu: „Der Bundestag bestimmt die politischen Zielsetzungen und die grundsätzlichen Lösungswege. Die Regierung führt diese aus.“

Wenn dem nur so wäre. Die Sondierungsgespräche sind alles andere als ein Ausbund gelebter Demokratie. Sie zeigen, dass sich unter der Großen Koalition ein Habitus verfestigt hat, der alles andere als mit Demokratie und dem Ringen um das beste Argument in Einklang zu bringen ist und bei dem das freie Mandat noch ein Wert an sich ist. Vielmehr sitzen am Sondierungstisch jene, die später auch am Kabinettstisch Platz nehmen wollen. Ihre Agenda für die nächsten vier Jahre schreiben sie sich da gern selbst.


Grüne: Erst die Abstimmung, dann die Detailarbeit

Zwölf Themenblöcke werden in den Sondierungsrunden beraten. Teilnehmer sind die Parteichefs und ihre Vertrauten wie etwa die Parteivize und Generalsekretäre. Je einer wird je Themenfeld zum Berichterstatter ernannt. Ihm obliegt es dann, mit den anderen drei die jeweiligen Beschlusspapiere zu formulieren. Mal sind es Parteivorsitzende wie Simone Peter bei den Grünen, mal Generäle wie Andreas Scheuer bei der CSU, mal Ministerpräsidenten wie Armin Laschet bei der CDU, der die Interessen Nordrhein-Westfalens einbringt.

Das alles wäre vielleicht nicht tragisch – wenn es sich „nur“ um Sondierungsgespräche handeln würde. Sie haben in der Regel den Zweck, dass sich mögliche Partner beschnuppern und prüfen, ob es inhaltlich passen könnte und auch Vertrauen besteht. Doch das ist bei den Jamaika-Unterhändlern nicht der Fall. „Es fehlt hier ein Grundvertrauen zwischen den Verhandlern“, resümiert FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki die ersten Gespräche. Also führt die Runde vorgezogene Koalitionsverhandlungen, die jeweils in zwölf Themenpapiere münden – und die dann auch als verbindlich gelten. Denn die Grünen werden die Ergebnisse einem großen Parteitag vorlegen, der dann darüber befindet, ob auf der Basis Koalitionsgespräche geführt werden sollen. Entsprechend koppeln sich die Grünen-Unterhändler auch während der Gespräche intensiv mit ihren Experten rück, wie bei den anderen registriert wird.

Erst nach der Zustimmung der Grünen-Basis sollen Arbeitsgruppen die Detailarbeit übernehmen, zu denen dann auch die Parlamentarier gehören. Den Rahmen aber legen die Sondierer dieser Tage fest. So hat CSU-Chef Horst Seehofer in der ersten Themenrunde am Dienstag bereits nervös mit einem Papier gewedelt, als es ihm in der Debatte um Europa zu sehr ins Detail ging. „Wir müssen die Kernbereiche ausmachen, die uns wichtig sind“, zitieren ihn Teilnehmer. Der Rest solle in den Koalitionsverhandlungen geklärt werden.

Während die Grünen einen Parteitag abhalten, wollen die Führungsgremien von CDU und CSU die Ergebnisse intern bewerten. Die nächste Fraktionssitzung wird erst wieder stattfinden, wenn die Parteioberen Koalitionsverhandlungen zugestimmt haben. Und Parteitage bei CDU und CSU soll es zwar geben, aber werden die Delegierten die Ergebnisse dort wohl eher zur Kenntnis nehmen denn verändern. Dazu wird es dann längst zu spät sein.

Nun sitzen erst einmal die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen regelmäßig in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft, vis-à-vis zum Deutschen Bundestag. Am Montag tagt die große Runde mit den Parteispitzen und den Ministerpräsidenten, um einen „Rückblick und Ausblick“ zu geben, wie es in der Terminliste heißt. Es folgen schließlich noch zwei kleine Runden am Mittwoch und Donnerstag, bevor dann eine letzte große Runde tagt. Die Abgeordneten können sich in der Telefonrunde am Montag zumindest eines zugutehalten: Sie werden informiert bevor die große Runde tagt – nicht erst, wenn alles vorbei ist.

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