Regierungsbildung Erster SPD-Landesverband gegen Groko

Die Spitzen von Union und SPD treffen sich am Mittwoch erneut, im Januar sollen Sondierungen über eine mögliche neue Große Koalition beginnen. Bei den Sozialdemokraten aber rumort es.

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Die SPD-Führung hatte sich am Freitag nach langem internen Ringen dafür ausgesprochen, nun doch Sondierungen mit CDU und CSU aufzunehmen. Quelle: AP

Berlin Kurz nach dem Beschluss der Parteispitze zur Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit der Union hat die Thüringer SPD als erster Landesverband gegen eine große Koalition im Bund gestimmt. Gleichzeitig warnte der größte SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen die Parteiführung davor, sich zu früh auf ein neues Bündnis mit der Union einzustellen. Bei inhaltlichen Knackpunkten wie dem SPD-Konzept für eine Bürgerversicherung gibt es nach wie große Differenzen.

Die SPD-Führung hatte sich am Freitag nach langem internen Ringen dafür ausgesprochen, nun doch Sondierungen mit CDU und CSU über eine Regierungsbildung aufzunehmen. Ob dies gelinge und wenn ja, in welcher Form, sei offen, sagte Parteichef Martin Schulz. Nach einem Vorbereitungstreffen der Spitzen von Union und SPD an diesem Mittwoch sollen die Sondierungen im Januar starten.

Ein Parteitag der Thüringer SPD billigte am Samstagabend in Erfurt einen Antrag der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos, mit dem die Neuauflage einer großen Koalition im Bund abgelehnt wird. In dem Antrag heißt es unter anderem, eine erneute Regierung mit der Union würde einen weiteren Glaubwürdigkeitsverlust für die SPD bedeuten. In vielen Fragen gebe es kaum Gemeinsamkeiten. Vergeblich warben unter anderem SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel und der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, für ergebnisoffene Sondierungsgespräche.

Die SPD regiert in Thüringen als Juniorpartner in einer rot-rot-grünen Koalition unter Führung der Linkspartei. Der Landesverband Thüringen ist innerhalb der Partei allerdings nur ein kleiner. Ein ungleich größeres Gewicht hat der Landesverband Nordrhein-Westfalen. Er stellt knapp 150 Delegierte und damit rund ein Viertel der Stimmberechtigten bei dem Sonderparteitag, der voraussichtlich am 14. Januar über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union entscheiden soll. Über einen möglichen Koalitionsvertrag müssten dann die rund 440 000 SPD-Mitglieder befinden.

Der Landesvorsitzende der NRW-SPD, Michael Groschek, sagte dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“: „Die Hauptverantwortung der SPD liegt darin, wieder so groß und stark zu werden, dass sie für die Menschen im Land eine echte Kanzler-Alternative zur Union darstellt. Wenn wir uns an die Rolle des Juniorpartners gewöhnen, enden wir als Wackeldackel.“ Die SPD hatte im September mit 20,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl eingefahren.

Groschek forderte vor dem Sonderparteitag inhaltliche Vorab-Zusagen von der Union. „Wir ziehen keine roten Linien, aber ohne konkrete Verbesserungen im Bereich der Arbeitsmarkt-, Renten- und Gesundheitspolitik ist es unvorstellbar, dass ein Parteitag grünes Licht für weitere Gespräche gibt.“

Ein zentrales Vorhaben der SPD ist eine Bürgerversicherung. Die Beiträge zur Krankenversicherung sollen künftig in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten gezahlt werden. Auch Beamte und Gutverdiener sollen in eine Bürgerversicherung einzahlen – bisher sind sie in der Regel privat versichert. Die Union lehnt eine Bürgerversicherung strikt ab.

Die SPD stehe bei ihren Wählern in der Pflicht, die Bürgerversicherung umzusetzen, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach der „Bild am Sonntag“. Gesetzlich Versicherte dürften nicht länger Patienten zweiter Klasse sein. Für derzeit privat Versicherte solle es keinen Zwang geben, in die Bürgerversicherung zu wechseln. Jeder neu Versicherte wäre aber automatisch in der Bürgerversicherung. „Wir wollen die privaten Krankenversicherungen nicht abschaffen.“

Spitzenverbände der Wirtschaft fordern fast drei Monate nach der Wahl eine zügige Regierungsbildung. „Wir brauchen eine trag- und entscheidungsfähige Regierung, deshalb muss die Politik mit der Regierungsbildung jetzt vorankommen“, sagte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Unternehmen bräuchten für Investitionsentscheidungen Planungssicherheit.

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir können uns keine lange Hängepartie leisten.“ Er verwies auf große Herausforderungen wie erforderliche Investitionen in der Digitalisierung oder überfällige Reformen in Europa. Der Chef des Digital-Branchenverbandes Bitkom, Achim Berg, klagte in der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstag): „Dass die Parteien keine Regierung hinbekommen in einer so wichtigen Zeit, das ist ja fast Sabotage am Wirtschaftsstandort Deutschland.“

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