Regierungserklärung zum Brexit Merkel nimmt die Illusionen

Vor dem EU-Gipfel demonstriert Merkel Gelassenheit: Die EU dürfe sich nicht zu sehr mit sich selbst beschäftigen – „Brexit hin oder her“. Die Briten bräuchten sich keine Illusionen über ihren künftigen Status machen.

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Die Bundeskanzlerin muss die Verhandlungen mit Großbritannien nicht führen – die Richtung will sie aber schon vorgeben. Quelle: AP

Politiker sagen in ihren Reden vieles, was eigentlich selbstverständlich ist. So auch Angela Merkel: Ein Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist, könne nicht bessergestellt werden als ein Mitgliedstaat, sagt sie bei ihrer Regierungserklärung im Bundestag vor dem EU-Sondergipfel zum Brexit. Das wirkt wie eine Binsenweisheit. „Aber“, so Merkel: „Ich muss das so deutlich aussprechen, weil ich das Gefühl habe, dass sich einige in Großbritannien darüber Illusionen machen.“

Die Bundeskanzlerin muss die Verhandlungen mit Großbritannien nicht führen. Das ist Sache der EU-Kommission und des Chefverhandlers Michel Barnier. Doch die Regierungschefs der Mitgliedstaaten geben die Ziele vor und bauen den politischen Druck auf, der die Verhandlungsposition der EU verbessern soll. Weil sowohl Frankreich wie Italien im politischen Umbruch sind, ist die deutsche Position derzeit noch wichtiger.

Merkel betonte, wie wichtig es sei, dass die verbleibenden 27 EU-Staaten und die EU-Institutionen geschlossen auftreten. Die Aufgabe ist nicht einfach: Immerhin ist Großbritannien noch Teil des Clubs. Nach dem Referendum hatte die britische Regierung tatsächlich versucht, mit einzelnen Staaten zu verhandeln.

Doch diese Gefahr ist aus Merkel Sicht vorerst abgewendet: Seit dem Referendum habe die Rest-EU „hervorragend zusammengestanden“. Das sei alles andere als ausgemacht gewesen und habe Anerkennung verdient. Alle Institutionen hätten sich an die internen Vereinbarungen gehalten. Vorverhandlungen habe es nicht gegeben, Einzelinteressen der Mitgliedstaaten stünden nicht im Vordergrund. Inhaltlich und Organisatorisch sei die EU bestens auf die Verhandlungen vorbereitet.

Am Samstag treffen sich die Staats- und Regierungschefs, um ihre Positionen festzuzurren. Offenen politischen Streit, wie es ihn vor solchen Gipfeln zuletzt des Öfteren gab, war beim Thema Brexit nicht zu vernehmen. Die EU fordert von Großbritannien eine Zahlung von 60 Milliarden Euro und darüber hinaus jährliche Zahlungen zum Beispiel für Pensionen. Die Briten lehnen das weitgehend ab. Ein anderer Streitpunkt ist, ob parallel zum Brexit schon über das künftige Verhältnis zwischen EU und UK verhandelt werden kann. Merkel stellte sich klar gegen diese Vorstellung: Erst müssten die Austrittsmodalitäten geklärt sein.

Zur Vorbereitung gehört auch, den Verhandlungsdruck so groß wie möglich zu machen. Merkel tat das in ihrer Rede mit einer für ihre Verhältnisse emotionalen Ansprache. Viele Bürger seien vom Brexit direkt betroffen, geschätzt lebten 100.000 Deutsche in Großbritannien: Die Rentnerin, die ihren Lebensabend dort verbringen wollte und jetzt vor rechtlichen Unsicherheiten steht. Der Student, der sich fragt, ob er nach seinem Studium dort bleiben kann und das Elternpaar, dessen Kinder in London aufgewachsen sind. Deren Interessen will sie wahren.

Ihren Forderungen verlieh Merkel nicht mit Drohungen Nachdruck, sondern mit Gelassenheit: Die Aufgabe sei zwar groß und komplex. Allerdings gebe es zu ernste Krisen in Europas Nachbarschaft und zu große globale Herausforderungen von Flucht, Migration, Hunger, Welthandel und Klimaschutz, „als dass es sich Europa nun leisten könnte, sich in den zwei kommenden Jahren nur mit sich selbst zu beschäftigen, Brexit hin oder her“.

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