Regierungskrise in Niedersachsen Ministerpräsident Weil kündigt Neuwahlen an

Die knappe Ein-Stimmen-Mehrheit der rot-grünen Koalition ist gekippt. Die Grünen-Abgeordnete Twesten verlässt Knall auf Fall ihre Fraktion und will in die CDU. SPD-Ministerpräsident Weil sieht nur einen Ausweg.

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ARCHIV - Der niedersächsische SPD-Landesvorsitzende und Ministerpräsident Stephan Weil spricht am 11.08.2016 während einer Pressekonferenz in Hannover (Niedersachsen) vor Medienvertretern. (zu dpa

Der überraschende Wechsel einer Grünen-Abgeordneten zur CDU hat in Niedersachsen die Regierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in eine schwere Krise gestürzt. Fünf Monate vor der Landtagswahl verlor die rot-grüne Koalition in Hannover ihre knappe Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag an die Opposition aus CDU und FDP. Weil sprach von einer „Intrige“ und plädierte für eine rasche Selbstauflösung des Parlaments, um Neuwahlen zu ermöglichen. Einen Rücktritt lehnte er am Freitag ab.

Die Abgeordnete Elke Twesten begründete ihren Seitenwechsel damit, dass die Grünen sie nicht für die Landtagswahl im Januar 2018 in ihrem Wahlkreis in Rotenburg (Wümme) nominiert haben. Nun sehe sie ihre politische Zukunft in der CDU, erklärte sie - und bezeichnete sich als Anhängerin von Schwarz-Grün.

CDU-Landeschef Bernd Althusmann versicherte, seine Partei habe der 54-Jährigen keine Lockangebote gemacht. Twesten hatte zuvor erklärt, es gebe auch noch andere Parlamente, bei denen man sich um ein Mandat bewerben könne - etwa den Bundestag oder das Europaparlament.

"Ich werde einer Intrige nicht weichen“

CDU-Fraktionschef Björn Thümler signalisierte Unterstützung für die von Weil vorgeschlagene Selbstauflösung des Landtags. Dafür stehe die CDU-Fraktion zur Verfügung, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Offen blieb zunächst, wann eine Neuwahl frühestens angesetzt werden könnte. In Regierungskreisen wurde nicht ausgeschlossen, dass eventuell sogar parallel zur Bundestagswahl am 24. September gewählt werden könnte.

Weil antwortete auf die Frage, ob er nun zurücktrete: „Ich stelle mich jederzeit sehr gerne dem Wählerwillen, aber ich werde einer Intrige nicht weichen.“ Die Wähler seien die einzigen, die über Mehrheiten bestimmen dürften. „Wenn eine Abgeordnete des niedersächsischen Landtags aus ausschließlich eigennützigen Gründen die Fraktion wechselt und damit die von den Wählern gewollte Mehrheit verändert, halte ich das persönlich für unsäglich und ich halte das für sehr schädlich für die Demokratie.“

Thümler will seiner CDU-Fraktion empfehlen, die Ex-Grünen-Abgeordnete aufzunehmen. Dann hätten CDU und FDP zusammen 69 Sitze im niedersächsischen Landtag, SPD und Grüne 68 Sitze. Bislang war das Verhältnis umgekehrt. Den Schritt Twestens nannte Thümler „doch etwas kurios“.

Die Landesverfassung sieht die Möglichkeit vor, dass der Landtag dem Ministerpräsidenten das Vertrauen entzieht und einen Nachfolger wählt. Weils favorisierte Alternative wäre, dass sich das Landesparlament selbst auflöst und so den Weg frei macht für Neuwahlen. Dazu müssen aber zwei Drittel der anwesenden Mitglieder mit Ja stimmen, also auch viele von der CDU.

Grüne: Twesten soll Mandat zurückgeben

Die Grünen in Niedersachsen forderten ihre bisherige Abgeordnete Twesten auf, ihr Mandat zurückzugeben. Ähnlich äußerten sich auch Vertreter der Bundespartei. Der aus Niedersachsen stammende frühere Grünen-Bundesumweltminister Jürgen Trittin warf der abtrünnigen Abgeordneten vor, sie habe mit den Stimmen der Bürger für die Grünen „Schindluder getrieben“. Die CDU habe „mit dem Instrument des Stimmenkaufs dieses Verhalten gefördert, gestützt und begünstigt“.



Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Ralf Stegner nannte den Übertritt der Grünen-Politikerin zur CDU „politisch unanständig“. Er sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Samstag): „Es ist ganz offenkundig, dass da jemand aus persönlichen Karriereerwägungen und unter Mithilfe der Union den Wählerwillen verfälschen will.“ Auch Stegner plädierte für Neuwahlen. Kanzlerkandidat und SPD-Chef Martin Schulz schrieb auf Facebook, Twesten begehe „nicht nur Verrat an den Wählerinnen und Wählern, sondern auch Verrat an Rot-Grün“.

Auch die Bundes-CDU reagierte: „Das zeigt einmal mehr: Rot-Grün kann einfach nicht verlässlich regieren“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

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