Rente Parteien ködern die Rentner

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Großer Frühverrentungsanreiz wirkt als Stoppschwelle

Warum die Deutschen in Frührente gehen
In Deutschland gehen weniger Menschen vorzeitig in den Ruhestand: Nur noch jeder dritte Neurentner sei zuletzt vorzeitig mit Abschlägen in die Altersrente gegangen, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion, über die die „Rheinische Post“ berichtet. Die Zahl der Frührentner ging demnach vom Jahr 2007 bis 2013 um 85.000 auf 323.000 zurück. Ihr Anteil an allen Neurentnern habe damit 2013 bei nur noch 36,7 Prozent gelegen. Sechs Jahre zuvor seien es noch 45,9 Prozent gewesen. Wer 2013 vorzeitig Altersrente beansprucht hat, musste laut Regierung zudem deutlich geringere Abschläge in Kauf nehmen - im Durchschnitt 77,50 Euro pro Monat, nachdem es 2007 noch 115,24 Euro waren. Quelle: dpa
Wenn der Friseur auf einmal die Shampoos und Haarfarben nicht mehr verträgt und mit Hautausschlag reagiert, ist Schluss mit dem Beruf. Gleiches gilt für den Maler und Lackierer, der auf die Farben sensibel reagiert. Probleme mit der Haut sind allerdings nur sehr selten Gründe für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Berufsleben. Nur 0,4 Prozent der Frührentner hängen den Job wegen Erkrankungen der Haut an den Nagel. Quelle: dpa
2,9 Prozent, also rund 5226 Personen, mussten wegen Erkrankungen der Atemwege wie Asthma vorzeitig in Rente gehen. Quelle: dpa
3,9 Prozent litten dagegen an Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes oder an chronischen Erkrankungen des Verdauungssystems. Quelle: dpa
Erkrankungen der Sinne waren bei 5,9 Prozent der Grund für das vorzeitige Ende des Berufslebens. Im Jahr 2010 tauchten Erblindung oder Taubheit noch gar nicht in den Statistiken der Deutschen Rentenversicherung als Gründe für die Frührente auf. Quelle: AP
Die übrigen Diagnosen, also andere Krankheiten, haben 9,2 Prozent aus dem Beruf geworfen. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Auf dem vierten Platz landen in diesem Jahr die Krankheiten von Herz und Kreislaufsystem, also zum Beispiel Herzinfarkte, Schlaganfälle und Durchblutungsstörungen. 9,7 Prozent aller Frührentner gingen wegen Herz-Kreislauf-Problemen in den Ruhestand. Quelle: dapd

Zwar hat die Lebensleistungsrente (außer der sendungsbewussten Ministerin selbst) kaum Fans in den eigenen Reihen, weshalb sie in der Koalition bisher nach Kräften ausgebremst wurde. Dennoch wird sie Bestandteil des CDU-Wahlprogramms. Im Kern geht es dabei um die Aufstockung magerer Ansprüche: Wer 40 Jahre lang gearbeitet, in die Rentenkasse eingezahlt und noch dazu privat vorgesorgt hat, soll mehr Geld garantiert bekommen als die Grundsicherung im Alter. Um die 850 Euro im Monat seien realistisch, heißt es vom Ministerium, allein schon, weil die Stütze wegen hoher Mieten und Heizkosten in Städten wie Wiesbaden oder München bereits heute deutlich über 800 Euro liegt.

Fremdkörper im System

Was bei der CDU noch etwas unbestimmt ist, beantworten SPD und Grüne einfach und konkret: Ihre Mindestrenten sollen in jedem Fall 850 Euro betragen, Punkt. Sie ziehen auch den Kreis der potenziellen Empfänger zum Teil deutlich großzügiger: Private Vorsorge etwa wird gar nicht verlangt. Bei der SPD muss der Solidarrentner entweder 40 Versicherungs- oder 30 Beitragsjahre zusammenbekommen, für den Bezug der grünen Garantierente reichen sogar 30 Versicherungsjahre aus.

Bei Letzteren zählt eben auch, wenn man lange arbeitslos war, Kinder großgezogen oder Eltern gepflegt hat. „85 Prozent der Bezieher wären Frauen“, wirbt die grüne Fraktionsvize im Bundestag, Kerstin Andreae, für das eigene Konzept. Ihr Argument: Gerade Jobunterbrechungen wegen Kindererziehung und die dann auf Jahre hinaus geringeren Löhne vieler Frauen drückten drastischer aufs Alterseinkommen als Arbeitslosigkeit.

Foto: Ursula von der Leyen Quelle: dpa

Vielleicht sollte es die generösen Wahlkämpfer nur stutzig machen, dass selbst ein besonnener Mann wie Herbert Rische angesichts immer neuer Sonderwünsche laut Einspruch erhebt. Modelle wie die Lebensleistungsrente seien „ein Fremdkörper im Rentensystem“, warnt der Präsident der Deutschen Rentenversicherung. In der gesetzlichen Alterskasse gilt schließlich das Äquivalenzprinzip: Wer mehr einzahlt, bekommt am Ende auch mehr. Mit Sozialrenten würde dieser Grundsatz teilweise außer Kraft gesetzt.

Welche Probleme das etwa für die Lebensleistungsrente konkret bedeuten würde, hat der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums am Beispiel eines Geringverdieners mit 17 000 Euro Jahreslohn berechnet. Sobald die Schwelle von 40 Beitragsjahren erreicht ist, kann er die Arbeit eigentlich einstellen – zumindest was den Ruhestand angeht. Denn erst nach 52 Jahren Maloche wären die mit Sozialbeiträgen verdienten Rentenansprüche wieder höher als der von der Leyen’sche Garantiebetrag.

Bei den SPD- und Grünen-Konzepten wäre die Stoppschwelle wegen der großzügigeren Bedingungen sogar noch früher erreicht. „Wer die jeweiligen Zuteilungsgrenzen erreicht, hat einen riesigen Frühverrentungsanreiz“, kritisiert Rentenexperte Börsch-Supan. „Das können wir ökonomisch gar nicht gebrauchen.“ Angesichts der stetig steigenden Lebenserwartung müsste die Losung heißen: Wer länger lebt, muss für einen auskömmlichen Lebensabend auch länger arbeiten.

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