Volker Kauder, als Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Zusammenhalt zuständig, hatte die Marschrichtung eigentlich klar vorgegeben. „Der großen Koalition“, sagte Kauder kürzlich im Bundestag, „rate ich, dass wir das letzte Jahr auch als Beweis dafür bringen, dass wir in der Lage sind, diesem Land eine gute Regierung zu stellen, dass wir die Arbeit machen, die von uns verlangt ist.“
Man dürfe den Bundesbürgern nicht Anlass zum Glauben geben, mahnte der Christdemokrat, die große Koalition liefere in erster Linie nur noch parteipolitisches Gezänk ab.
Wunschdenken. Das wusste Kauder wohl selbst, als er die Worte aussprach. Die Bundesregierung besteht nun mal aus zwei konkurrierenden Blöcken, Union und SPD. Ein Jahr vor der Bundestagswahl gehen deren Interessen immer weiter auseinander. Niemand versteht das so gut wie Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, lange als SPD-Generalsekretärin für Wahlkämpfe zuständig. Nahles weiß genau: Die Rente ist ein prima Wahlkampfthema.
Die Ministerin arbeitet an detaillierten Reformmaßnahmen, zu denen die „Lebensleistungsrente“ ebenso gehört wie die geplante Angleichung der Renten im Osten und die betriebliche Altersvorsorge. Und Neues zur Riester-Rente darf auch nicht fehlen.
Seit Wochen ringen Nahles und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) um eine Einigung. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltet sich immer wieder ein. Die Kanzlerin weiß um die Sensibilität des Rententhemas im alternden Wahlvolk und will die Reformen möglichst harmonisch mit ihrem Koalitionspartner abarbeiten.
Doch Nahles wittert einen echten Wahlkampfschlager für die SPD, während sich ihr Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel an TTIP und Ceta abarbeitet.
Neue Berechnungen über das Rentenniveau
Die kampferprobte Sozialdemokratin will in den nächsten Tagen oder Wochen neue Berechnungen über die künftige Entwicklung des Rentenniveaus veröffentlichen. Bisher reicht die offizielle Prognose bis zum Jahr 2029, bis dahin wird ein Absinken von aktuell 47,9 Prozent auf 44,6 Prozent des jeweiligen Durchschnittserwerbseinkommens (gemindert um Sozialabgaben und Steuern) vorhergesagt. Das klingt bedrohlich genug.
Nahles’ Leute arbeiten nun aber an einer Fortschreibung der Prognose bis zum Jahr 2045, bei dieser Extrapolation könnte das Rentenniveau auf einen Wert unter 40 Prozent sinken. Ein öffentlicher Aufschrei wäre die Folge, da den Deutschen kaum etwas so wichtig ist wie Sicherheit im Alter.
Altersvorsorge: So viel Rente darf der Standardrentner erwarten
Die Prognosen beziehen sich auf den sogenannten Standardrentner, der 45 Jahre Beiträge gezahlt und immer das Durchschnittseinkommen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verdient hat. Die angegebene Bruttostandardrente versteht sich vor Steuern. Das Sicherungsniveau vor Steuern gibt das Verhältnis der Renten im Vergleich zum Durchschnittseinkommen der beitragszahlenden Beschäftigten abzüglich der durchschnittlichen Sozialversicherungsbeiträge an.
Quelle: Rentenversicherungsbericht 2015, Deutsche Rentenversicherung Bund, Stand: November 2015
Beitragssatz zur GRV: 19,9 %
Bruttostandardrente: 1224 Euro monatlich
Sicherungsniveau vor Steuern: 51,6 %
Beitragssatz zur GRV: 18,7 %
Bruttostandardrente: 1372 Euro monatlich
Sicherungsniveau vor Steuern: 47,7 %
Beitragssatz zur GRV: 18,7 %
Bruttostandardrente: 1517 Euro monatlich
Sicherungsniveau vor Steuern: 47,6 %
Beitragssatz zur GRV: 20,4 %
Bruttostandardrente: 1680 Euro monatlich
Sicherungsniveau vor Steuern: 46,0 %
Beitragssatz zur GRV: 21,5 %
Bruttostandardrente: 1824 Euro monatlich
Sicherungsniveau vor Steuern: 44,6 %
Nahles hätte einen Wahlkampfhit: Die Sozialdemokraten könnten die CDU mit Forderungen nach einer Stabilisierung des Rentenniveaus vor sich hertreiben. Und CSU-Chef Horst Seehofer wiederum, der bereits öffentlich für höhere Renten plädiert, würde wohl ins gleiche Horn wie die Sozialdemokraten stoßen – sehr zum Ärger des CDU-Wirtschaftsflügels, der vor einem zu starken Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge warnt. Der wäre nämlich nötig, um die Stabilisierung zu finanzieren. Also gäbe es neuen Streit zwischen den christlichen Schwesterparteien.
Nahles dürfte ihn anheizen, indem sie in den nächsten Monaten ein Gesamtrentenkonzept vorlegt, an dem sich die Unionsgeister scheiden. Und die Arbeitsministerin könnte damit – angenehmer Nebeneffekt – von ihren Schwierigkeiten bei der Umsetzung der im Koalitionsvertrag beschlossenen Rente-Teilreformen ablenken.