Rente Wie die Rezession die Sozialkassen belastet

Die Regierung beschließt per Gesetz, dass die Renten nie sinken. Die Beitragszahler könnte dies in den nächsten Jahren bis zu 30 Milliarden Euro kosten.

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Ein gut gelaunter Quelle: dpa

Olaf Scholz ist alles andere als ein leidenschaftlicher Typ. Vergangenen Mittwoch allerdings war er einen Moment lang kurz davor, die Fassung zu verlieren: Da steht er vor den Journalisten im Pressefoyer seines Ministeriums. Er stellt sein Rentengarantie-Gesetz vor. Er sagt, dass man stolz sein kann auf dieses Land, das sein demografisches Problem so vorbildlich im Griff hat. Und was tun die Journalisten? Sie stellen kritische Fragen, manche sogar hämische. Keiner will verstehen, dass der Bundesarbeitsminister gerade Großes für sein Land und dessen Rentner geleistet hat. „Die Renten werden nicht gekürzt. Darauf kann man sich verlassen“, sagt er immer wieder, und er klingt wie Norbert Blüm: „Die Rente ist sicher.“

Nur, dass Scholz noch eins draufsetzt: Damit ihn später keiner Lügen straft, hat er dafür gesorgt, dass dieses Versprechen in ein Gesetz gegossen wird. Dort steht jetzt, dass die Renten niemals sinken dürfen – auch dann nicht, wenn Löhne und Gehälter nach unten gehen. Genau das nämlich sagen die Wirtschaftsforschungsinstitute voraus: 2009 werden die Arbeitsentgelte je Beschäftigten im Schnitt um 2,3 Prozent fallen. Diese Prognose teilt die Regierung zwar nicht, sie rechnet weiterhin mit steigenden Löhnen. Doch überflüssig sei sein Gesetz dennoch nicht, findet Scholz. „Es nimmt den Rentner die Unsicherheit.“

Union will Renten-Wahlkampf vermeiden

Das Kabinett hat bereits zugestimmt, am 16. Juni soll der Entwurf als Teil des „Dritten SGB II – Änderungsgesetzes“ in den Bundestag, am 10. Juli in den Bundesrat. Widerspruch aus der großen Koalition ist nicht zu erwarten. In der SPD ohnehin nicht, in der Unions-Fraktion protestierte nur der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn: „Die junge Generation weiß nicht mehr, worauf sie sich verlassen kann“, schimpfte der 28-Jährige. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Senioren-Union, Leonhard Kuckart, empfahl seiner Partei daraufhin, sie solle „Spahn ungespitzt in den Boden rammen“.

Die Unions-Spitze will einen Renten-Wahlkampf um jeden Preis vermeiden, schließlich ist jeder dritte Wahlberechtigte in Deutschland ein Senior. Die Beitrags- und Steuerzahler jedoch kommt das neue Gesetz teuer zu stehen. Sinken in diesem Jahr die Löhne tatsächlich um 2,3 Prozent, müssten die Renten im Folgejahr ebenfalls um 2,3 Prozent sinken. Werden sie aber per Gesetz eingefroren, klafft in der gesetzlichen Rentenversicherung 2010 ein Loch von vier bis fünf Milliarden Euro. Der Fehlbetrag wird zwar laut Bundesregierung in den Folgejahren ausgeglichen: Spätere Lohnsteigerungen sollen nur zur Hälfte auf die Renten angerechnet werden. Doch dass dies geschehen wird, ist eher unwahrscheinlich.

Die Rente ist sicher - ein Wahlkampfschlager

Denn die Warteschlange für Nachholjahre wird ständig länger: Da wäre zunächst der fällige Ausgleich für 2005 und 2006. Schon damals hätte es Minusrunden geben müssen, der Nachhaltigkeitsfaktor zog das Rentenniveau nach unten. Er wirkt dämpfend, wenn mehr Menschen aus dem Arbeitsleben ausscheiden als Beitragszahler nachrücken. Doch hier existierte eine Schutzklausel, die verhinderte, dass dieser Faktor zu sinkenden Renten führte. Der Verzicht auf Kürzungen werde nachgeholt, versprach die Koalition. Das Gegenteil geschah: 2008 beschloss die Regierung, den Riester-Faktor auszusetzen. Er berücksichtigt die private Vorsorge der Beitragszahler von heute, deren staatliche Renten nicht mehr zum Leben reichen werden. Die Folge dieses frühen Wahlgeschenks ist die üppigste Rentensteigerung seit Mitte der Neunzigerjahre: 2,4 Prozent in diesem Jahr im Westen, in Ostdeutschland sogar 3,4 Prozent.

Rentner: Nie wieder Angst vor dem Abgrund Quelle: Laif

Die üppigen Jahre sollen zwar durch eine Diät ab dem Jahr 2011 abgespeckt werden. Doch selbst wenn sich die künftige Regierung an diesen Vorsatz hält und die Renten 2011 bis 2014 kaum oder gar nicht steigen, entstehen der Rentenversicherung zusätzliche Kosten. „Diese vier bis fünf Milliarden Euro werden ja jedes Jahr von Neuem fällig, so lange, bis die versäumte Absenkung nachgeholt wird“, sagt Rentenexperte Bernd Raffelhüschen. „Meiner Meinung nach wird das frühestens 2016 geschehen.“ In diesem Fall könnten sich die Kosten für das Renten-Garantie-Gesetz auf 30 Milliarden Euro summieren.

Zunächst könnte das Loch aus den Reserven der Rentenversicherung gestopft werden. Sie liegen bei rund 16 Milliarden Euro. Mittelfristig aber dürfte die versprochene Beitragssenkung dafür geopfert werden, fürchtet Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Raffelhüschen geht sogar von einem steigenden Satz aus. Laut Regierung soll er von derzeit 19,9 Prozent bis 2015 auf 19,3 Prozent sinken. Zudem dürfte der Steuerzuschuss zur Alterskasse weiter steigen. Schon jetzt macht er mit knapp 80 Milliarden Euro den größten Posten im Bundeshaushalt aus.

Gleichzeitg wachsen die Budgetlöcher auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung: Im Gesundheitsfonds etwa fehlen wegen der Rezession rund 2,9 Milliarden Euro – und auch dieses Problem versucht die Regierung auf die Zeit nach der Wahl zu verschieben: In diesem Jahr springt der Bund mit einem Darlehen ein, das erst 2011 zurückgezahlt werden soll. Doch ob es dazu kommt, ist fraglich: Doris Pfeiffer, Chefin des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, wies die Regierung bereits darauf hin, dies müsse „politisch entschieden“ werden. Die Rückzahlung müsse schließlich über höhere Beiträge finanziert werden. Für die Bundesregierung käme das höchst ungelegen, sorgte sie doch gerade erst dafür, dass die Beiträge zum 1. Juli vorübergehend sinken. Statt 15,5 Prozent des Bruttogehalts werden nur noch 14,9 Prozent fällig. Den Rest schießt der Staat zu, er macht dafür neue Schulden. Auch haben bereits 16 Kassen Zusatzbeiträge für ihre Versicherten angekündigt.

Am schlimmsten von allen Sozialkassen ist jedoch die gesetzliche Arbeitslosenversicherung betroffen. Ihr brechen nicht nur die Einnahmen weg, sondern auch die Ausgaben steigen drastisch. Anfang des Jahres verfügte die Bundesagentur für Arbeit (BA) noch über ein Polster von 17 Milliarden Euro, doch bis Ende Dezember werden 14 Milliarden davon aufgebraucht sein, schätzt BA-Chef Frank-Jürgen Weise. Bereits in den ersten Monaten des Jahres stiegen die Ausgaben für Kurzarbeit, Insolvenz- und Arbeitslosengeld um 700 Millionen Euro im Vergleich zum ersten Quartal 2008. Eigentlich müsste der auf 2,8 Prozent gesenkte Beitragssatz nun wieder steigen, doch auch dies hat die Regierung auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben. Jetzt springt, natürlich, erst einmal der Bund ein.

Denn so oder so wird Finanzminister Peer Steinbrück ja als Rekord-Schuldenmacher in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen. Und Olaf Scholz als der Mann, der es geschafft hat, den ehemaligen Sozialminister und Rentengaukler Norbert Blüm sogar noch zu übertreffen.

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