Rentenpolitik Vorsicht, die Rentenherrlichkeit trügt!

Die Renten steigen, die Beiträge können sinken und die Rücklage ist voll. Das klingt nach Zeiten ohne Rentensorgen. Aber der Eindruck trügt, Jamaika sollte trotzdem vorsichtig sein.

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2018 könnten die Renten deutlich steigen, und trotzdem die Rentenbeiträge leicht sinken. Das ist aber nicht weitsichtig. Quelle: dpa

Auf den allerersten Blick geben die Daten, die die Rentenversicherung heute vorgelegt hat, ein makelloses, ja fabelhaftes Bild ab: Die Renten können Mitte 2018 in Ost und West kräftig um mehr als drei Prozent steigen. Und die Rücklage wird Ende des Jahres mit fast 33 Milliarden Euro so voll sein, dass der Beitragssatz für Arbeitnehmer und Unternehmen um 0,1 Prozentpunkte auf 18,6 Prozent sinken kann. Eine so niedrige Belastung hat es zuletzt Mitte der Neunzigerjahre gegeben.

Die Rentenkasse stehe „finanziell weiterhin gut da“, sagt Alexander Gunkel, der Vorsitzende des Bundesvorstands. Das ist einerseits eine ziemliche Untertreibung. Andererseits hat Gunkel vollkommen recht, wenn er die Lage warnend als „Zwischenhoch“ beschreibt, das „mit Sicherheit nicht dauerhaft Bestand“ haben könne.

Die große Ruhestandswelle steht Deutschland schließlich erst noch bevor.  Und selbst der längste Boom findet mal ein Ende. Die große Rentenherrlichkeit trügt also.

Den exzellenten Status quo hat die Rentenversicherung ohnehin ganz und gar nicht der vergangenen Bundesregierung zu verdanken. Die Kassenlage ist trotz der spendablen großen Koalition so bemerkenswert gut - nicht wegen.

Üppige Lohnerhöhungen verbunden mit einer immer weiter steigenden Zahl an Jobs: das ist die Formel, die zum gegenwärtigen Glück geführt hat. Hätte Schwarz-Rot - statt mit dem Füllhorn durch die Rentner-Lande zu ziehen - nur ein klein wenig nachhaltiger in der Rentenpolitik agiert, die Beiträge könnten sogar noch deutlich niedriger sein. So manche der Debatten um die „Entlastung der hart arbeitenden Mitte“ oder die symbolische 40-Prozent-Grenze bei den Sozialabgaben bräuchte man gar nicht mehr führen.

So viel Rente bekommen Sie
DurchschnittsrentenLaut den aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung bezogen Männer Ende 2014 eine Durchschnittsrente von 1013 Euro. Frauen müssen inklusive Hinterbliebenenrente mit durchschnittlich 762 Euro pro Monat auskommen. Quellen: Deutsche Rentenversicherung; dbb, Stand: April 2016 Quelle: dpa
Ost-Berlin mit den höchsten, West-Berlin mit den niedrigsten RentenDie Höhe der Rente schwankt zwischen den Bundesländern. Männer in Ostberlin können sich mit 1147 Euro Euro über die höchste Durchschnittsrente freuen. In Westberlin liegt sie dagegen mit 980 Euro am niedrigsten. Aktuell bekommen männliche Rentner: in Baden-Württemberg durchschnittlich 1107 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 1031 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 980 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1147 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 1078 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 1040 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 1071 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 1084 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 1027 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 1127 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 1115 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 1069 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 1098 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 1061 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 1064 Euro pro Monat Quelle: AP
Frauen mit deutlich weniger RenteFrauen im Ruhestand bekommen gut ein Drittel weniger als Männer. Auch sie bekommen in Ostberlin mit durchschnittlich 1051 Euro die höchsten Bezüge. Am wenigsten bekommen sie mit 696 Euro in Rheinland-Pfalz. Laut Deutscher Rentenversicherungen beziehen Frauen inklusive Hinterbliebenenrente: in Baden-Württemberg durchschnittlich 772 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 736 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 861 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 975 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 771 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 848 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 760 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 950 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 727 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 749 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 699 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 964 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 983 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 744 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 968 Euro pro Monat Quelle: dpa
Beamtenpensionen deutlich höherStaatsdienern geht es im Alter deutlich besser. Sie erhalten in Deutschland aktuell eine Pension von durchschnittlich 2730 Euro brutto. Im Vergleich zum Jahr 2000 ist das ein Zuwachs von knapp 27 Prozent. Zwischen den Bundesländern schwankt die Pensionshöhe allerdings. Während 2015 ein hessischer Staatsdiener im Ruhestand im Durchschnitt 3150 Euro ausgezahlt bekam, waren es in Sachsen-Anhalt lediglich 1940 Euro. Im Vergleich zu Bundesbeamten geht es den Landesdienern dennoch gut. Im Durchschnitt kommen sie aktuell auf eine Pension von 2970 Euro. Im Bund sind es nur 2340 Euro. Quelle: dpa
RentenerhöhungIm Vergleich zu den Pensionen stiegen die normalen Renten zwischen 2000 und 2014 deutlich geringer an. Sie wuchsen lediglich um 15,3 Prozent. Quelle: dpa
Reserven der RentenkasseDabei verfügt die deutsche Rentenversicherung über ein sattes Finanzpolster. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung betrug die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage Ende 2014 genau 35 Milliarden Euro. Das sind rund drei Milliarden Euro mehr als ein Jahr zuvor. Rechnerisch reicht das Finanzpolster aus, um fast zwei Monatsausgaben zu bezahlen. Nachfolgend ein Überblick, mit welcher Rente die Deutschen im aktuell im Durchschnitt rechnen können: Quelle: dpa
Abweichungen vom StandardrentnerWer 45 Jahre in den alten Bundesländern gearbeitet hat und dabei den Durchschnittslohn verdiente, bekommt pro Monat 1314 Euro ausgezahlt. Bei 40 Arbeitsjahren verringert sich die monatliche Auszahlung auf 1168 Euro. Wer nur 35 Jahre im Job war, bekommt 1022 Euro. Quelle: Fotolia

Die Jamaika-Koalitionäre in spe sollten also gewarnt sein. Liberale und Grüne haben jahrelang die überspendable, milliardenteure Sozialpolitik von SPD (abschlagfreie Rente ab 63) und CSU (Mütterrente) gegeißelt - sie müssen nun unbedingt selbst davor gefeit sein, das im Übermaß vorhandene Geld einfach zur eigenen  Klientelbeglückung zu verwenden.

Sicher ist das leider noch nicht. Bislang jedenfalls pocht die CSU auf eine weitere Erhöhung der Mütterrente, die nicht nur nicht gerecht, sondern mit sieben Milliarden Euro per anno sehr teuer wäre. Ein internes Finanztableau der Verhandelnden in Berlin lässt zudem darauf schließen, dass sie im Fall der Fälle erneut systemwidrig aus Beitragsmitteln bezahlt würde - ein doppelter Fehler also. Selbst Kompromisse würden die Sache nicht besser machen. Setzten sich die Bayern im Koalitionspoker durch, wäre es schnell vorbei mit der rosigen Rentenwelt.

Auch die Frage, wie langjährige Beitragszahler künftig vor drohender Altersarmut geschützt werden können, harrt noch einer überzeugenden Antwort. Die von den Grünen favorisierte Garantierente klingt zwar gut, würde aber willkürlich festlegen, wie viele Jahre Arbeit als Lebensleistung anerkannt werden. Nicht gerade billig wäre sie obendrein.

Immerhin: Es gibt Lichtblicke.

Sinnvoll wäre es, wenn Jamaika erstens tatsächlich mit Flexibilisierung ernst machte und zweitens für Erwerbsminderungsrentner Geld übrig hätte. Für diejenigen, die krankheitsbedingt nicht mehr im Job bleiben können, sollte es weitere Verbesserungen geben.

Mit wenigen klaren, aber dafür zielgerichteten Reformen könnte sich die neue Regierung wohltuend vom  Hyperaktionismus und Ruhestandspopulismus der Vorgängermannschaft absetzen. Nötig wären dazu Vernunft, Nachhaltigkeit und ein Schuss Selbstbeschränkung im Angesicht der vollen Kassen. Das geht. Die Jamaikaner müssen nur wollen.

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