Rentenreform erreicht den Bundestag Wie Schwarz-Rot jegliche Gerechtigkeit sprengt

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Wer hat, dem wird gegeben - Die Profiteure

Erfahrenes Auge Ältere Fachkräfte werden den Unternehmen bald fehlen. Quelle: dpa

Union und SPD aber haben sich entschieden, diesen Pfad zu verlassen. Wo sich üblicherweise Forderungen und Gegenforderungen in fein ziselierten Kompromissen relativieren, konstruierten die Koalitionsunterhändler aus ihren Wahlversprechen eine Milliardenbombe. Um die eigene Fragwürdigkeit (CDU/CSU-Mütterrente) durchzukriegen, schluckte man einfach die andere Fragwürdigkeit (SPD-Rente ab 63). Im Regierungsalltag führt das zu absurden Szenen. Denn es gibt kaum einen Koalitionär, der nicht im Vertrauen zugibt, dass diese Rentenreform höchst problematisch ist; besonders problematisch ist aber natürlich stets das Wunschprojekt der Gegenseite.

Das Ergebnis: Die Rentenversicherung verkommt unter der großen Koalition zu einer Wunscherfüllungsanstalt für Industrie-Gewerkschaften und den Katholischen Frauenbund – zulasten der zahlenden Mehrheit.

Die neue Regierung legt bei der Rentenreform ein hohes Tempo vor; deren Segnungen sollen bereits ab Juli 2014 greifen. Der Kreis der Profiteure ist ziemlich klar umrissen: Rund 9,5 Millionen Empfänger bekommen ihre Renten je Kind und pro Monat um rund 28 Euro (im Westen) oder 26 Euro (im Osten) aufgestockt – und in den Genuss dieses Bonus kommen vor allem Frauen.

Die abschlagsfreie Rente ab 63 funktioniert dazu als perfektes Pendant. Denn die Bedingung für den neuen vorzeitigen Ruhestand, 45 Beitragsjahre in der Rentenversicherung inklusive Kurzarbeitslosigkeit, erfüllen „faktisch überwiegend Männer“, wie die Rentenversicherung kritisiert. Für die Geburtsjahrgänge 1952 bis 1963 wird hier eine willkürliche Sonderbehandlung eröffnet, die die Rente mit 67 einfach unterhöhlt.

Die Parteien beglücken damit zielsicher ihre jeweilige Klientel – auf der einen Seite Hausfrauen, auf der anderen langjährige Facharbeiter, die schon als Jugendliche eine Ausbildung absolviert haben. Die allein hierfür aufzubringenden 8,5 Milliarden Euro pro Jahr kommen damit denen zugute, die mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit keiner Bevorzugung bedürfen. Die Armutsquote der Rentner ist mit knapp drei Prozent so gering wie in keiner anderen Gruppe der Bevölkerung. Das schließt die allermeisten Frauen der Hausfrauengeneration ein, die über ihre Ehemänner oder durch Witwenrenten abgesichert sind. Und Mütter, die wegen ihrer niedrigen Ansprüche Grundsicherung im Alter beziehen, werden ihren Kinderbonus ohnehin mit der Stütze verrechnen müssen. Für sie bleibt also kein bisschen mehr übrig.

Besonders grotesk ist es bei der abschlagsfreien Rente. Wer in der Vergangenheit sein Altersgeld nach besonders langjähriger Versicherungsbiografie bezog, bekam im Schnitt rund 1411 Euro – etwa 500 Euro mehr als Durchschnittsrentner. Wer, wenn nicht diese Gruppe, könnte auch in Zukunft die bislang üblichen Abschläge bei frühzeitigem Ruhestand verkraften?

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