Richtungsstreit AfD-Abtrünnige sehen Partei auf NPD-Kurs

Bei wichtigen Posten in der AfD-Bundestagsfraktion ging der rechte Höcke-Flügel leer aus. Umso stärker treten die Hardliner jetzt in den Ländern in Erscheinung. Für manchen AfDler eine besorgniserregende Entwicklung.

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Vertreter des rechtsnationalen AfD-Flügels: Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland und die Landesvorsitzenden der AfD Thüringen und Sachsen-Anhalt, Björn Höcke und Andre Poggenburg (v.l.). Quelle: dpa

Berlin Was der völkisch-konservative Flügel in der AfD bei der Bildung der Bundestagsfraktion nicht geschafft hat, könnte ihm jetzt auf Länderebene gelingen: wichtige Posten ergattern und die Oberhand über die Führung der Partei. Dafür spricht, dass die mutmaßlich Gemäßigten allmählich den Rückzug antreten.

Der Aderlass prominenter AfD-Vertreter hatte Ende September begonnen, als die bisherige Parteichefin Frauke Petry und ihr Ehemann, der damals noch amtierende NRW-Landtagsfraktionschef Marcus Pretzell, der AfD den Rücken kehrten. Aus den Landtagsfraktionen in NRW, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen gab es seit der Bundestagswahl insgesamt elf Austritte. Aus der Bundestagsfraktion verabschiedete sich in der vergangenen Woche zudem der Abgeordnete Mario Mieruch.

Exemplarisch für die Entwicklung der AfD hin zu einer radikalen Partei im rechten Spektrum ist der Landesverband in Mecklenburg-Vorpommern. Innerhalb weniger Wochen kehrten führende Mitglieder der Partei den Rücken. Schon vor der Bundestagswahl am 24. September traten einige den Rückzug an. Danach erreichte der Schwund in der Partei einen neuen Höhepunkt. Wohl auch, weil mit dem Einzug des bisherigen AfD-Landtagsfraktions- und Parteichefs Leif-Erik Holm in den Bundestag eine zentrale Figur des gemäßigten Flügels nicht mehr präsent ist.

Inzwischen ist eine regelrechte Erosion des bürgerlichen Flügels in der mecklenburg-vorpommerischen AfD zu beobachten. Zunächst verließen vier der 18 Landtagsabgeordneten die Fraktion, weil sie ihnen zu weit nach rechts gerückt war. Und gründeten wiederum die Fraktion „Bürger für Mecklenburg-Vorpommern“.

Drei von ihnen traten später aus der AfD aus, zuletzt am Wochenende der frühere Amtsrichter und spätere parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Matthias Manthei. Davor verließ bereits Bernhard Wildt, einer der beiden Landessprecher die Partei. Mit Michael Bertram erklärte dann am Montag ein weiterer Spitzenpolitiker seinen Rückzug. Er legte sein Amt als Beisitzer im Landesvorstand nieder.

Bertram und Manthei begründeten ihre Abkehr von der AfD mit einer „persönlichen Erklärung“. Beide zeichnen ein düsteres Bild von der Partei. Es gebe „viele Mitglieder, die nicht etwas Neues wollen, sondern in der Vergangenheit leben“, erklärte Manthei. „Sie glauben, mit der AfD nunmehr eine Plattform gefunden zu haben, auf der sie ihre radikalen Ansichten verwirklichen können. Nach dem Scheitern der NPD fahren sie nun im Zug der AfD.“


Der Fall Holger Arppe

Dem Vorwurf mangelnder Distanz zu rechtsextremistischen Gruppierungen sieht sich die AfD schon länger ausgesetzt. Für Aufsehen sorgte zuletzt der Fall Holger Arppe. Der Ex-Fraktionschef war Ende August aus der AfD-Landtagsfraktion in Schwerin ausgetreten, nachdem Internet-Einträge mit ihm zugeschriebenen Gewaltäußerungen und kinderpornografischen Fantasien öffentlich geworden waren.

Arppe scheint aber offenbar immer noch einen gewissen Rückhalt in der Partei zu genießen. Bertram spricht in diesem Zusammenhang von einem besorgniserregenden Zustand des Landesverbandes. „Viele Funktionsträger der AfD sind mittlerweile so weit nach rechts gerückt, dass ein Unterschied zur NPD mittlerweile kaum noch erkennbar ist“, heißt es in der Erklärung Bertrams. Als Beispiel nennt er den stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Schweriner Landtag, Professor Ralph Weber. Dieser halte „im Plenum einen aggressiven, an NPD-Reden erinnernden Rehabilitationsvortrag für Holger Arppe, der einen Tag später auch noch auf einer Mitgliederversammlung in Rostock auftaucht, Reden schwingen darf und ankündigt, sich weiterhin in der Partei engagieren zu wollen.“ Statt sich klar gegen Arppe zu stellen, hätten ihn die Mitglieder gewähren lassen.

Bertram vermutet, dass die völkisch gesinnten AfD-Mitglieder des Landtags Arppe wieder in die „Machtzirkel“ der Partei und in die Fraktion zurückholen wollten. Im Landtag sei Webers Pro-Arppe-Rede sogar noch beklatscht und bejubelt worden. „Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie Funktionäre der AfD sich immer mehr vom Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entfernen und sich hin zu NPD-Gedankengut bewegen.“

Bertrams Beschreibungen passen zur politischen Ausrichtung Webers, dem eine stramm rechte Gesinnung nachgesagt wird. Im April war er parteiintern wegen des von ihm verwendeten Spruchs „Deutschland den Deutschen“ abgemahnt worden, weil dieser dem öffentlichen Ansehen der Partei damit geschadet habe. Seine Wortwahl „Deutschland den Deutschen“ sei als Kampfparole der rechtsextremen NPD bekannt, argumentierte der Landesvorstand damals.

Bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr, bei der die AfD hinter der SPD zweitstärkste Kraft im Schweriner Landtag vor der CDU geworden war, errang Weber in seinem dem Wahlkreis mit 35,3 Prozent eines von drei Direktmandaten für seine Partei. Die SPD erzielte dort nur 17,8, die CDU 19 und die Linke 17,9 Prozent.


AfD-interner Umgangston: „Verräter“, „Ratte“, „Schlappschwanz“

Weber arbeitete bis zu seinem Parlamentseinzug als Rechtsprofessor an der Universität Greifswald. Dort ist er umstritten. So war er mit dem Tragen von Thor-Steinar-Kleidung, die auch in rechtsextremen Kreisen beliebt ist, in die Kritik geraten. Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ soll Weber zudem mit einem ausgewiesenen Neonazi promoviert und schon 2010 mit dem damaligen NPD-Chef Udo Voigt über die Gründung einer rechten Partei gesprochen haben.

Nach rechts tendiert immer mehr die Nordost-AfD. Bertram spricht von einem „dauerhaften Versuch, moderate konservative Kreise, die nicht dem rechten Flügel angehören, aus der Partei zu drängen“. Damit solle die „AfD zu einer NPD 2.0 umgebaut“ werden. „Das geschieht unter anderem dadurch, dass bürgerliche Mitglieder auf Facebook und bei Stammtischen diffamiert werden.“ Sie würden als Spione bezeichnet. Ihre Gespräche würden zudem, so Bertram weiter, „ohne ihr Wissen aufgezeichnet und dann versendet“. So sei es ihm in den vergangenen Monaten immer wieder ergangen.

Der frühere AfD-Fraktionsgeschäftsführer im Landtag, Manthei, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „In der Partei haben sich zahlreiche frustrierte Menschen versammelt, die voller Hass gegen Andersdenkende sind, innerhalb und außerhalb der Partei“, schreibt er in seiner Rückzugs-Erklärung. „Sie hetzen auf eine Art, die keinen zivilisatorischen Umgangsformen mehr entspricht.“ Das Internet mit Facebook und Chats auf Whatsapp und anderswo gäben hierfür reichlich Spielraum. „Die Hemmschwelle, kriminell zu werden, durch Beleidigungen und Drohungen, ist gering“, so Manthei. „Wer es wagt, die AfD zu kritisieren oder gar zu verlassen, wird als ,Verräter', ,Ratte', ,Schlappschwanz' oder sonstiges beschimpft.“

Manthei glaubt, dass die AfD für die Radikalen in der Partei eine „Ersatzfamilie“ sei, „wobei Familie im Sinne einer Mafia-Familie zu verstehen ist“, die man nicht verlassen könne und in der man sich gegenseitig wirtschaftlich versorge. „Wer austreten will, wird gejagt; arbeitslose beziehungsweise unqualifizierte Parteimitglieder werden mit Mandaten beziehungsweise Mitarbeiterstellen versorgt.“ Wenn daher die radikalen AfD-Mitglieder etablierten Parteien eine Versorgungsmentalität vorwerfen, sei das Heuchelei.

Für Manthei hat die AfD vor diesem Hintergrund keine Zukunft. Zwar gebe es noch immer Mitglieder, die glaubten, man könne innerhalb der Partei das Ruder herumreißen oder man müsse die unterschiedlichen Flügel integrieren. Sie unterlägen jedoch einem Denkfehler. „Radikale kann man nicht integrieren“, betonte er. „Dafür müssten sie ja vernünftig sein, dann wiederum wären es aber keine Radikalen.“ Die Radikalen seien vielmehr kompromisslos. Die Beschäftigung mit ihnensei daher „reine Zeit- und Energieverschwendung“. Manthei kommt dann zu dem für ihn einzig logischen Schluss: „Das Projekt Alternative für Deutschland ist beendet.“

Derweil verliert die AfD immer mehr Mandatsträger, die mit dem Kurs der Parteiführung unzufrieden sind. Mit einem verbitterten Brief an Parteimitglieder verabschiedete sich am Dienstag der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Frank Neppe aus Fraktion und Partei.

In dem Brief, aus dem die Nachrichtenagentur dpa zitiert, beklagt Neppe, dass einige Funktionäre der Partei die AfD mit ihren Äußerungen „immer weiter in die rechte Ecke bugsieren“. Linksextreme Kräfte fühlten sich durch derartige Äußerungen zudem legitimiert, AfD-Politiker zu bedrohen. Neppe beklagte, die Partei habe ihm nach einem Angriff auf sein Haus „keinerlei Hilfe angeboten“. In dem Brief heißt es weiter: „Sehr enttäuscht bin ich auch von Mitgliedern, denen es in der AfD niemals um die Sache ging, sondern lediglich darum ihr eigenes Ego zu befriedigen. Wie ein Fähnchen im Wind wechselten sie ihre Meinungen, um immer auf der Seite der vermeintlichen Mehrheit zu stehen. Dass sie nun auch die Kräfte unterstützen, die diese Partei unvermeidlich ins gesellschaftliche Aus führen, ist ihnen egal.“

Zum endgültigen Rechtsruck der AfD könnte es am am 2. Dezember kommen, wenn die Partei auf einem Delegiertenparteitag eine neue Parteispitze wählt. In der Partei wird zurzeit spekuliert, wer die Lücke füllen könnte, die durch den Austritt von Parteichefin Petry entstanden ist. Dabei steht auch die Frage im Raum, ob der Gründer des rechtsnationalen Flügels, der umstrittene Thüringer AfD-Landtagsfraktionschef Björn Höcke, diesmal für den Bundesvorstand kandidieren wird. Seit Petrys Abgang ist Jörg Meuthen alleiniger Parteivorsitzender.

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