Rücktritt des Bundespräsidenten Deutschland ohne Köhler

Man muss es zweimal hinschreiben, um es einmal zu glauben: Ausgerechnet der Bundespräsident ist zurück getreten. Horst Köhler hat nicht etwa seinen Rücktritt angekündigt wie etwa vorige Woche der hessische Ministerpräsident. Ein Kommentar von WirtschaftsWoche-Redakteur Hans-Jakob Ginsburg.

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ARCHIV - Bundespräsident Quelle: dpa

Er hat seinen Rücktritt erklärt, wegen der Kritik an seiner bestenfalls missverständlichen, von allen möglichen Politikern und Kommentatoren kritisierten Äußerung zum Zusammenhang von Krieg und Wirtschaft: Deutschland als große Handelsnation müsse auch im Interesse seines wirtschaftlichen Gedeihens militärische Präsenz zeigen, hatte Köhler nach seinem Besuch in Afghanistan zu Pfingsten gesagt.

Ausgerechnet nach seinem Besuch in Afghanistan, dass für den deutschen Außenhandel nun wirklich keine Rolle spielt.

Als hätte Köhler, der einstige Präsident des Internationalen Währungsfonds, nach seiner zweimaligen Wahl zum Staatsoberhaupt durch die bürgerliche Mehrheit in der Bundesversammlung zu viele marxistische Traktate und Pamphlete zur Außenpolitik des Imperialismus gelesen.

Kapitalistische Staaten, so mag er darum glauben, unterwerfen ihre Außen- und Verteidigungspolitik regelmäßig den so genannten Kapitalinteressen und führen darum so gerne Krieg: Soldaten fallen, damit die Dividenden steigen.

Wenn einer das glaubt, vergisst man schnell, dass der neunte Bundespräsident der bisher einzige Ökonom in diesem Amt war.

Die Amerikaner führten ihren zweifelhaften Krieg im Irak für alles Mögliche, aber nicht für billiges Erdöl

Gestimmt hat das nie so ganz und im 21. Jahrhundert -  eigentlich nirgendwo.

Die Amerikaner führten ihren zweifelhaften Krieg im Irak für alles Mögliche, aber nicht für billiges Erdöl – das hätten sie eher und leichter bekommen, wenn sie mit Saddam Hussein Handelsgespräche geführt hätten, statt ihn zu bombardieren.

Die Kriege in Afrika, wo es tatsächlich um seltene Metalle und Diamanten geht, werden bezeichnenderweise nicht von Armeen aus den Industriestaaten geführt, und Aktionen gegen die Seeräuber am Horn von Afrika – damit versuchte das Bundespräsidialamt seinen Chef herauszureden – richten sich zwar wirklich gegen Feinde des Welthandels, sind aber kein Krieg, sondern eine internationale Polizeiaktion nach gutem klassischen Völkerrecht. „Pirata hostis omnium“ – „Der Pirat ist der Feind von allen“ heißt es da seit vielen hundert Jahren.

Ein eherner Satz im internationalen Staatsrecht.

Und auf Ebene des nationalen Rechts hat das Gebot der Neutralität des repräsentativen Staatsoberhauptes das entsprechende Gewicht. „The Queen can do no wrong“ heißt das im britischen Staatsrecht.

Und das bedeutet nicht, dass Elizabeth in London, signore Napolitano in Rom oder in Berlin bisher eben Horst Köhler unfehlbar wären – sondern dass es ihnen verboten ist, etwas Wichtiges zu sagen oder zu tun, was viele vernünftige Landsleute für einen schlimmen Fehler halten.

Sollte das im Ausnahmefall anders sein - das kommt natürlich vor, Präsidenten sind keine politischen Kastraten - muss der Präsident die Kritik aushalten.

Der Bundespräsident muss Kontinuität und Verlässlichkeit der Republik verkörpern

Tut er das nicht, dann verstößt er gegen eine weitere ungeschriebene Regel unseres politischen Systems: Der weitgehend machtlose Bundespräsident muss Kontinuität und Verlässlichkeit der Republik verkörpern, und das geht natürlich nicht, wenn einer fast genau ein Jahr nach seiner Wiederwahl die Brocken hinschmeißt.

Wir haben genug wirtschaftliche und gesellschaftliche Ungewissheit in diesem Land, und von personeller Kontinuität ist die Politik im Land der Kochs und Münteferings heute weiter denn je entfernt. Na ja, bis auf die Bundeskanzlerin.

Und darum stellt sich unserer schrumpfenden politischen Klasse wahrscheinlich schon an diesem Nachmittag vor allem eine Frage: Wer lässt sich jetzt zum Präsidenten wählen und gibt neben Angela Merkel den nächsten Horst?

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