Rücktritt von Jörg Meuthen Antisemitismus-Fall stürzt AfD in schwere Krise

Ein mutmaßlicher Antisemit in der Stuttgarter AfD-Fraktion bringt die Partei in schweres Fahrwasser. Nachdem ein weiterer Versuch scheiterte, den Abgeordneten auszuschließen, zog der Fraktionschef selbst die Konsequenz.

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Jörg Meuthen, der Bundesvorsitzende der Partei AfD: „Wenn meine Fraktion mir hier nicht folgt, muss und werde ich den Fraktionsvorsitz niederlegen und die Fraktion verlassen.“ Quelle: dpa

Berlin Die von Grabenkämpfen erschütterte AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag ist zerbrochen. Eine namhafte Anzahl von Abgeordneten, darunter der Fraktionschef Jörg Meuthen, hat erklärt, die Landtagsfraktion zu verlassen. „Wir bedauern ausdrücklich, die Trennung vollziehen zu müssen“, sagte Meuthen am Dienstag in Stuttgart.

Zuvor war bekannt geworden, dass sich die 23-köpfige Fraktion am Dienstagnachmittag wohl mit dem Ausschluss des mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontierten Abgeordneten Wolfgang Gedeon befassen wollte.  Gedeon steht wegen antisemitischer Äußerungen seit Wochen in der Kritik. Unter anderem hatte er den Holocaust als „gewisse Schandtaten“ verharmlost.

Der Fall ist für die AfD besonders brisant, das es dabei um die Frage geht, wie es die Partei mit dem Antisemitismus hält. Eine klare Antwort wollte die Fraktion aber nicht geben. Vielmehr ließen die Abgeordneten Meuthen, der auch die Bundespartei als Co-Sprecher neben Frauke Petry anführt, erst vor zwei Wochen auflaufen. Meuthen hatte sich vehement für einen Ausschluss Gedeons eingesetzt.

Doch zu der Abstimmung über den Rauswurf kam es erst gar nicht. Vielmehr wurde entschieden, wie von Fraktionsvorstandsmitgliedern und Petry zuvor schon eingefordert, eine Untersuchungskommission einzusetzen, die die Antisemitismus-Vorwürfe prüfen sollte. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse, geplant war der Herbst, sollte Gedeon seine Mitgliedschaft in der Landtagsfraktion ruhen lassen. Für Meuthen und seine Unterstützer war das eine herbe Niederlage. Heute nun kassierte er die nächste Schlappe und zog die Konsequenz.

Entsprechend deutlich fiel die Reaktion des AfD-Bundesvorstands aus. In einer einstimmig beschlossenen Erklärung wird die Weigerung eines Teils der der AfD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, Gedeon aus der Fraktion auszuschließen, „aufs Schärfste“ missbilligt. „Diese Mitglieder akzeptieren den Verbleib eines Abgeordneten in der Fraktion, dessen Schriften eindeutig antisemitische Aussagen enthalten.“  Der Vorstand erinnerte in diesem Zusammenhang an seinen Beschluss, dass Antisemitismus keinen Platz in der AfD habe.

Die Entscheidung Meuthens und weiterer AfD-Abgeordneter, die Fraktion zu verlassen, wird vom Bundesvorstand ausdrücklich begrüßt.  Von den andern Fraktionsmitgliedern distanziere man sich. „Wir anerkennen als Vertreter der AfD im Landtag von Baden-Württemberg ab sofort nur Jörg Meuthen und die Abgeordneten, die sich ihm anschließen.“


AfD-Chefin Petry Mitschuld an Zerfall der AfD-Fraktion

An der jetzt eingetreten schwierigen Lage für die AfD ist die Bundeschefin Petry nicht ganz unschuldig, da sie mit ihrem Eintreten für ein Gutachten zum Fall Gedeon nicht Meuthen, sondern seiner Gegner gestärkt hat. Damit bestätigte sich einmal mehr der schon lange bestehende Eindruck, die AfD grenze sich nicht klar und deutlich von Rassisten und Antisemiten in den eigenen Reihen ab.

Zur Erinnerung: Gedeon hatte schon 2012 ein Buch mit antisemitischen Thesen veröffentlicht, das er „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten“ nannte. Darin schrieb der pensionierte Arzt unter anderem: „Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmudischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes.“ An anderer Stelle unterstellt er dem Judentum, an einer „Versklavung der Menschheit im messianischen Reich der Juden“ zu arbeiten.

Dass Meuthen vor diesem Hintergrund letztlich doch seine Rückzugsankündigung wahr gemacht hat, ist für Experten mehr als nachvollziehbar. „Wenn er angesichts der Äußerungen von Gedeon keine klare Kante zeigt, ist er als liberales Aushängeschild der AfD endgültig verbrannt“, sagte kürzlich der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst dem Handelsblatt.

Der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter hatte damals schon eine Spaltung der Fraktion für plausibel gehalten und für den Fall, dass es dazu kommt, gemutmaßt, dass sich dann zwei Gruppierungen im Landtag „bitter bekämpfen“ würden. Auch wäre Meuthens Position als AfD-Bundesvorsitzender geschwächt, sagte Oberreuter dem Handelsblatt, da er im Falle einer Niederlage den Nachweis erbracht hätte, „seinen Laden nicht disziplinieren und zusammenhalten“ zu können. „Herausforderer für Petry wäre er zunächst kaum mehr“, sagte er.

Der Berliner Politik-Professor Oskar Niedermayer ist überzeugt, dass der Streit mit Meuthens Rückzug erst losegehen wird in der AfD. „Wenn er die Fraktion verlässt, kann er meiner Meinung nach nur in der AfD bleiben, wenn er von der Partei eindeutig Rückendeckung erhält, das heißt, er müsste sich seine Position als Landesvorsitzender in einem außerordentlichen Parteitag bestätigen lassen“, sagte Niedermayer vor kurzem dem Handelsblatt. Sollte Meuthen scheitern, würde dies überdies das Machtgefüge in der Bundes-AfD „deutlich“ verschieben, weil er der „profilierteste Vertreter“ des moderaten Flügels sei.

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