Salafisten in Dinslaken Die deutsche Wiege der Extremisten

Aus Dinslaken-Lohberg stammen allein 22 gewaltbereite deutsche Salafisten, die in Syrien und im Irak für den Islamischen Staat kämpfen. Warum radikalisieren sich dort so viele Jugendliche? Eine Spurensuche.

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Philipp B., alias Abu Usama al Almani: Der junge Mann aus Dinslaken hat bei einem Selbstmordanschlag 21 Menschen getötet. Quelle: Screenshot

Der Förderturm steht still, der Asphalt bröckelt und die Farbe an den Fassaden der alten Bergarbeiterhäuschen blättert ab. Die alte Zeche hat schon lange keine Kohle mehr gefördert. Überall auf dem Gelände wuchert das Moos. Die Scheiben der alten Industriehallen sind eingeworfen, die Graffitis an den Wänden erinnern mehr an Schmierereien von Jugendlichen als an Kunst.

Die Zeche Lohberg am Niederrhein verfällt. Und trotz des kürzlich eingerichteten „Kreativ-Quartiers“ verfällt der Dinslakener Stadtteil vor den Zechentoren gleich mit. Der Stadtteil hat nach der Schließung der Zeche im Jahr 2006 einen rapiden wirtschaftlichen Abstieg erlebt. Mehr als 400 Ausbildungsplätze fielen auf einen Schlag weg. In Lohberg lebt jeder Fünfte von Hartz IV.

Eine Situation, mit der gerade im Ruhrgebiet viele Kommunen kämpfen. Doch Lohberg hat noch ein anderes großes Problem: NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) nannte Dinslaken jüngst einen „Brennpunkt der salafistischen Szene“. Salafisten sind nicht immer gewaltbereit, dennoch rekrutieren terroristische Vereinigungen wie der Islamische Staat (IS) in den Reihen der deutschen Salafisten Kämpfer. Bundesweit sollen laut der Bundesregierung bislang mehr als 320 deutsche Dschihadisten ins IS-Kampfgebiet ausgerückt sein – darunter sieben Prozent Frauen und rund zehn Prozent Konvertiten. Rund 120 davon stammen aus NRW. Allein 22 IS-Kämpfer kommen aus Dinslaken-Lohberg.

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Warum ausgerechnet Lohberg zu einer Hochburg der gewaltbereiten Szene wurde, darauf hat niemand wirklich eine Antwort. Ratlosigkeit auch im örtlichen Rathaus: „Die Radikalisierung in Lohberg hätte überall im Ruhrgebiet stattfinden können“, sagt Stadtsprecher Horst Dickhäuser.


„Salafistische Seelenfänger“

Vor Ort herrscht an diesem Samstagnachmittag im Februar nur Leere. Auf dem Marktplatz des Stadtteils ist außer ein paar Trinkern kein Mensch auf der Straße. Auf der zentralen Hünxer Straße ein ähnliches Bild: Einige wenige Jugendliche schlurfen vorbei an Ein-Euro-Shops, Billig-Discountern, Handy-Läden und Dönerbuden. Rund 20 Kilometer nördlich von Duisburg gelegen, bietet Dinslaken-Lohberg nicht viel Glamour.

Lust, mit der Presse zu reden, haben die Jungs nicht wirklich. Erst auf mehrere Nachfragen hin sagt einer überhaupt etwas über sein Leben in Dinslaken. „Was soll man hier schon machen?“, fragt der Junge, der sich Peter nennt, aber mit Akzent spricht. Angesprochen auf die Terroristen aus ihrem Heimatort wollen sie erst gar nichts sagen, sind schon im Gehen. „In Lohberg geht gar nix, Junge“, sagt „Peter“ schließlich.

Die Führer des IS

„Da kannste auch direkt nach Syrien fahren, kämpfen und was erleben“, fügt ein anderer junger Mann, der sich Ahmed Mohammed nennt, hinzu. Sein ironisches Lächeln verrät, dass er das nicht ernst meint. Hier hast du dein Statement zum Terror, schwingt mit den Sätzen der Jugendlichen mit. Doch es ist auch Ratlosigkeit. Denn die Wahrheit ist: Auf das Extremistenproblem in Dinslaken-Lohberg gibt es keine Antworten.

Lohberg ist arm, Beschäftigungsmöglichkeiten sind rar. „Perfekte Bedingungen für salafistische Seelenfänger“, sagt ein muslimischer Familienvater, der seinen Namen nicht nennen will. Und diese Seelenfänger ließen sich nicht lange bitten: „Die Fremden waren irgendwann einfach da.“ In einem Café, in dem Männer mit Bärten arabische Brettspiele spielen, erzählt er, dass 2008 „so ungefähr zehn Männer“ nach Lohberg kamen.

Sie seien „zwischen 20 und 30 Jahre alt“ gewesen und hätten ihren Glauben mit traditionellen Gewändern und Koranen, die sie immer bei sich trugen, offensiv zur Schau gestellt. „Das waren keine Türken“, sagt der Mann, der sich später doch traut, seinen Vornamen, Yunus, zu sagen. „Die kannten den Koran besser als alle hier“, erzählt er.

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