Der Förderturm steht still, der Asphalt bröckelt und die Farbe an den Fassaden der alten Bergarbeiterhäuschen blättert ab. Die alte Zeche hat schon lange keine Kohle mehr gefördert. Überall auf dem Gelände wuchert das Moos. Die Scheiben der alten Industriehallen sind eingeworfen, die Graffitis an den Wänden erinnern mehr an Schmierereien von Jugendlichen als an Kunst.
Die Zeche Lohberg am Niederrhein verfällt. Und trotz des kürzlich eingerichteten „Kreativ-Quartiers“ verfällt der Dinslakener Stadtteil vor den Zechentoren gleich mit. Der Stadtteil hat nach der Schließung der Zeche im Jahr 2006 einen rapiden wirtschaftlichen Abstieg erlebt. Mehr als 400 Ausbildungsplätze fielen auf einen Schlag weg. In Lohberg lebt jeder Fünfte von Hartz IV.
Eine Situation, mit der gerade im Ruhrgebiet viele Kommunen kämpfen. Doch Lohberg hat noch ein anderes großes Problem: NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) nannte Dinslaken jüngst einen „Brennpunkt der salafistischen Szene“. Salafisten sind nicht immer gewaltbereit, dennoch rekrutieren terroristische Vereinigungen wie der Islamische Staat (IS) in den Reihen der deutschen Salafisten Kämpfer. Bundesweit sollen laut der Bundesregierung bislang mehr als 320 deutsche Dschihadisten ins IS-Kampfgebiet ausgerückt sein – darunter sieben Prozent Frauen und rund zehn Prozent Konvertiten. Rund 120 davon stammen aus NRW. Allein 22 IS-Kämpfer kommen aus Dinslaken-Lohberg.
Kämpfe um eine syrische Grenzstadt - Warum Kobane so wichtig ist
Die syrischen Kurden haben den Bürgerkrieg im Land zum Aufbau eigener regionaler Machtstrukturen in den mehrheitlich von ihnen bewohnten Gebieten genutzt. Nachdem sich die Truppen des Regimes von Baschar al-Assad 2012 zurückgezogen hatten, übernahmen sie die Kontrolle und gründeten später im Norden des Landes drei „autonome Kantone“. An der türkischen Grenze kontrollierten sie wichtige Enklaven: im Nordwesten um die Stadt Afrin, im Nordosten um die Städte Hasaka und Al-Kamischli sowie im Norden um Kobane. Eine Übernahme Kobanes durch die Terrormiliz IS wäre nicht nur der Verlust einer strategisch wichtigen Versorgungsroute, sondern auch psychologisch eine schwere Niederlage.
Die etwa 5000 Milizionäre gehören vor allem den kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) an. Sie sind mit der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) verbunden. Volksschutzeinheiten und PYD stehen der kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe, die in der Türkei verboten ist. Im Kampf gegen den IS werden offenbar auch Selbstmordattentäter eingesetzt: Kurdische Aktivisten meldeten am Wochenende, dass eine Kämpferin mit einem Selbstmordanschlag Dutzende Extremisten getötet habe. Experten gehen davon aus, dass PKK-Kämpfer die syrischen Kurden unterstützen. Die kurdischen Milizionäre in Syrien sind nicht zu verwechseln mit den kurdischen Peschmerga-Kämpfern, die im Irak gegen den IS im Einsatz sind.
Nach kurdischen Angaben ist die überwiegende Mehrheit der verbliebenen Zivilisten an die türkischen Grenze in Sicherheit gebracht worden. Kobane wurde von den Volksschutzeinheiten zur „Militärzone“ erklärt. Laut türkischer Regierung sind mehr als 185 000 Menschen in die Türkei geflohen.
Die türkische Regierung hat den Kurden in Kobane Unterstützung zugesagt, zugleich aber klargemacht, dass sie damit in unmittelbarer Zukunft keinen Einsatz von Bodentruppen meint. Zwar hat das Parlament der Regierung ein Mandat für Militäreinsätze in Syrien und im Irak für ein Jahr erteilt. Allerdings verlangt Ankara für einen Einsatz von Bodentruppen eine umfassende internationale Strategie, die auch den Sturz des Assad-Regimes in Damaskus beinhaltet. Zugleich befürchtet Ankara, dass die Kurden an der türkischen Südgrenze die Keimzelle für einen eigenen Kurden-Staat legen könnten, sollte es ihnen gelingen, die Terrormiliz IS zurückzuschlagen.
Die IS-Kämpfer passen sich schnell und geschickt an die Luftschläge an. Sie verlassen Ziele, die von den USA ins Visier genommen werden und bringen Waffen und Geiseln an neue Stützpunkte. Zudem mischen sich die Kämpfer unter die Zivilbevölkerung und lassen auch viele ihrer schwarzen Flaggen wieder verschwinden. Weil Angriffe auf die IS-Infrastruktur schwieriger werden, hat sich auch das Tempo der Luftschläge verlangsamt, sagt David Schenker vom Washington Institute for Near East Policy. Die US-Regierung hat mehrfach betont, dass der IS nicht allein aus der Luft besiegt werden kann. Dem unabhängigen US-Instituts CSBA zufolge hat der Kampf bereits zwischen 780 und 930 Millionen Dollar (620 bis 740 Millionen Euro) verschlungen.
Warum ausgerechnet Lohberg zu einer Hochburg der gewaltbereiten Szene wurde, darauf hat niemand wirklich eine Antwort. Ratlosigkeit auch im örtlichen Rathaus: „Die Radikalisierung in Lohberg hätte überall im Ruhrgebiet stattfinden können“, sagt Stadtsprecher Horst Dickhäuser.
„Salafistische Seelenfänger“
Vor Ort herrscht an diesem Samstagnachmittag im Februar nur Leere. Auf dem Marktplatz des Stadtteils ist außer ein paar Trinkern kein Mensch auf der Straße. Auf der zentralen Hünxer Straße ein ähnliches Bild: Einige wenige Jugendliche schlurfen vorbei an Ein-Euro-Shops, Billig-Discountern, Handy-Läden und Dönerbuden. Rund 20 Kilometer nördlich von Duisburg gelegen, bietet Dinslaken-Lohberg nicht viel Glamour.
Lust, mit der Presse zu reden, haben die Jungs nicht wirklich. Erst auf mehrere Nachfragen hin sagt einer überhaupt etwas über sein Leben in Dinslaken. „Was soll man hier schon machen?“, fragt der Junge, der sich Peter nennt, aber mit Akzent spricht. Angesprochen auf die Terroristen aus ihrem Heimatort wollen sie erst gar nichts sagen, sind schon im Gehen. „In Lohberg geht gar nix, Junge“, sagt „Peter“ schließlich.
Die Führer des IS
az-Zarqawi wurde 1966 geboren und 2006 getötet. Auf seinem Kopf hatten die USA ein Kopfgeld von 25 Millionen US-Dollar ausgesetzt – das entspricht dem Kopfgeld, das auf Saddam Hussein ausgesetzt war. Er galt als Experte für chemische und biologische Kampfstoffe.
Während des Irak-Kriegs gründete er al-Qaida im Irak – der Organisation aus der heute der Islamische Staat (IS) hervorgegangen ist. Er ist für mehrere Terroranschläge und die Enthauptung des Amerikaners Nicholas Berg verantwortlich.
Am 7. Juni 2006 töteten ihn US-Spezialkräfte nördlich von Bagdad. Nachdem zu einem Gefecht zwischen US-Militärs und Anhängern az-Zarqawis kam, forderten die US-Soldaten einen gezielten Luftschlag auf sein Lager an. Infolge dieses Luftschlags soll az-Zarqawi gestorben sein.
Die Person hinter dem Pseudonym Abu Umar al-Baghdadi ist immer schattenhaft geblieben. Nach irakischen Angaben war er ein ehemaliger irakischer Armeeoffizier. 1985 soll er in dem Widerstand gegen Saddam Hussein beigetreten sein.
1987 floh er nach Afghanistan, um erst 1991 zurück in den Irak zu kommen. Seine Festnahme wie sein Tod wurden mehrfach gemeldet. Beobachter äußerten immer wieder die Vermutung, hinter dem Kampfnamen existiere keine reale Person – oder er wäre nacheinander von unterschiedlichen Kämpfern verkörpert worden.
Seit 2010 sind keine Ankündigungen von ihm mehr in die Öffentlichkeit gelangt, weshalb man ihn für tot hält.
Al-Baghdadi wurde 1971 im Irak geboren. Seit 2010 ist er der Anführer des IS. Seitdem er Mitte 2014 in Teilen Syriens und des Iraks das Kalifat ausgerufen hat, nennt er sich Kalif Ibrahim.
In Bagdad soll er ab seinem 19. Lebensjahr zehn Jahre lang in einem privaten Moscheegebäude gelebt und Religion studiert haben. Sein Studium soll er zu Beginn der 2000er Jahre mit einer Promotion in Islamischen Recht beendet haben.
Als die USA 2003 im Irak einmarschierten, gründete al-Baghdadi eine militante Islamistengruppe. 2004 soll er von US-Streitkräften im Irak interniert worden sein.
Seitdem er 2014 das Kalifat auf syrischem und irakischem Boden ausgerufen hat, ist er nach Ansicht seiner Anhänger oberster Führer der Muslime.
„Da kannste auch direkt nach Syrien fahren, kämpfen und was erleben“, fügt ein anderer junger Mann, der sich Ahmed Mohammed nennt, hinzu. Sein ironisches Lächeln verrät, dass er das nicht ernst meint. Hier hast du dein Statement zum Terror, schwingt mit den Sätzen der Jugendlichen mit. Doch es ist auch Ratlosigkeit. Denn die Wahrheit ist: Auf das Extremistenproblem in Dinslaken-Lohberg gibt es keine Antworten.
Lohberg ist arm, Beschäftigungsmöglichkeiten sind rar. „Perfekte Bedingungen für salafistische Seelenfänger“, sagt ein muslimischer Familienvater, der seinen Namen nicht nennen will. Und diese Seelenfänger ließen sich nicht lange bitten: „Die Fremden waren irgendwann einfach da.“ In einem Café, in dem Männer mit Bärten arabische Brettspiele spielen, erzählt er, dass 2008 „so ungefähr zehn Männer“ nach Lohberg kamen.
Sie seien „zwischen 20 und 30 Jahre alt“ gewesen und hätten ihren Glauben mit traditionellen Gewändern und Koranen, die sie immer bei sich trugen, offensiv zur Schau gestellt. „Das waren keine Türken“, sagt der Mann, der sich später doch traut, seinen Vornamen, Yunus, zu sagen. „Die kannten den Koran besser als alle hier“, erzählt er.