Scharfe Kritik an Erdogan Kriminalbeamte warnen vor Türken-Konflikten in Deutschland

Tausende Kurden haben in Köln zum Widerstand gegen Erdogan aufgerufen. Der Protest verlief friedlich. Experten schließen aber nicht aus, dass die Entwicklungen in der Türkei auch hierzulande in Konflikte münden können.

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In Köln protestierten am Samstag tausende Kurden gegen die Politik des türkischen Präsidenten. Quelle: dpa

Berlin Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, hat infolge der jüngsten Entwicklungen in der Türkei vor Auseinandersetzungen zwischen Türken auch in Deutschland gewarnt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan treibe „sein perfides Spiel nicht nur in der Türkei, er agitiert auch in Deutschland gezielt gegen Kurden, Aleviten und andere System-Gegner“, sagte Schulz dem Handelsblatt. „Dadurch kann es jederzeit passieren, dass es hier bei uns außer zu friedlichen Demonstrationen jederzeit auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen kann.“ Die Polizei sei aber entsprechend sensibilisiert und beobachte die Szene permanent.

Gleichwohl beobachte die Polizei die aktuellen Entwicklungen weiterhin „mit einiger Sorge“, sagte Schulz weiter. Die Türkei sei schon seit einiger Zeit „kein Rechtsstaat mehr“. Der Bundesregierung attestierte der Polizeigewerkschafter, sich derzeit „nur sehr verhalten zu den Machenschaften des Despoten Erdogan“ zu äußern, weil sie darauf angewiesen sei, dass das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei nicht scheitere. „Bei einer einseitigen Aufkündigung durch die Türkei hätten wir erneut mit einer Flüchtlingszuwanderung im größeren Umfang zu rechnen“, warnte Schulz. „Die Konsequenzen kann man derzeit nur vermuten.“

In der Nacht zum Freitag hatte die türkische Polizei bei Razzien elf Abgeordnete der pro-kurdischen Partei HDP festgenommen, darunter die Parteichefs Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Die türkischen Behörden waren auch gegen Journalisten der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ vorgegangen. Wie ein Gericht in Istanbul heute anordnete, kommen neun Journalisten in Untersuchungshaft, darunter der Chefredakteur des Blattes. Als Grund wurde Terrorverdacht angeführt. International stieß das Vorgehen gegen die Oppositionspolitiker und die „Cumhuriyet“-Reporter auf Kritik.

In Köln protestierten am Samstag tausende Kurden gegen die Politik des türkischen Präsidenten. An der Demonstration beteiligten sich nach Polizeiangaben gut 6.000 Menschen. Zwischenfälle gab es demnach nicht. Die Kundgebung richtet sich insbesondere gegen die Festnahmen führender Politiker der Partei HDP. Zu der Veranstaltung hatte eine kurdische Gruppe aufgerufen.

Die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft (SPD), sorgt sich angesichts der Entwicklungen in der Türkei um den sozialen Frieden in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. Dem Berliner „Tagesspiegel“ sagte Kraft: „Die Nachrichten aus der Türkei beunruhigen und besorgen mich. Nicht zuletzt, weil in NRW viele Menschen mit türkischen Wurzeln zuhause sind.“ Sie alle erlebten tagtäglich, welch unschätzbare Vorteile eine starke Demokratie biete. „Die dafür grundlegenden Strukturen wie Pressefreiheit, Trennung von Legislative, Exekutive und Justiz gilt es immer wieder zu verteidigen“, sagte Kraft.


„Türkei driftet in Richtung islamo-türkische Diktatur ab“

Die jüngsten Entwicklungen in der Türkei wiesen allerdings in eine andere, „bedenkliche“ Richtung, sagte Kraft weiter. „An die bei uns beheimateten Bürgerinnen und Bürger mit türkischer Abstammung appelliere ich nachdrücklich, inner-türkische Konflikte nicht hierher zu tragen.“

Der Parteichef der Grünen Cem Özdemir sprach von einem Drehbuch, das Staatschef Erdogan mit seinen Leuten schreibe. Erst habe es den Putschversuch gegeben. Nun könne man in Ankara innerhalb weniger Sekunden die sozialen Medien lahmlegen. Jeder, der in irgendeiner Weise oppositionsnah sei, müsse damit rechnen, dass ihm die wirtschaftliche Grundlage entzogen werden, sagte Özdemir im Deutschlandfunk. Dann sei der Schlag gegen die Opposition erfolgt.

Nachdem sich ultranationalistische MHP mit der Regierung verbündet habe, sei die sozialdemokratische CHP, die einzige im Parlament noch verbliebene Oppositionspartei, von der keine Abgeordneten im Gefängnis säßen. Özdemir weiter: „Und die CHP hat keine Strategie, weil sie einerseits versucht hat, sich mit Erdogan gemeinsam gegen den Putsch zu stellen, und jetzt quasi merkt, dass sie selbst wahrscheinlich die nächste ist, die dran kommt.“ Das müsse man verstehen, damit man wisse, dass das Land „in Richtung islamo-türkische Diktatur abdriftet“.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) kritisierte die jüngsten Vorgänge in der Türkei als „völlig inakzeptabel“. Die sogenannten „Säuberungen“ widersprächen dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, sagte Maas dem „Donaukurier“ (Samstag). „Wo kritische Journalisten und Oppositionelle in Angst leben müssen, ist die Demokratie in Gefahr“, sagte der Minister.

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannte sich unterdessen erstmals zu einem Selbstmord-Bombenanschlag in der Türkei. Über sein Sprachrohr Amak reklamierte der IS in der Nacht zum Samstag eine schwere Autobombenexplosion nahe einer Polizeizentrale in Diyarbakir für sich. Zuvor hatte der IS schon die Verantwortung für Attentate auf Personen in der Türkei übernommen.

Der Anschlag folgt einem Aufruf des IS-Anführers Abu Bakr al-Bagdadi gegenüber „ungläubigen, türkischen Soldaten“ Stärke zu zeigen, nachdem türkische Streitkräfte im August mit verbündeten Rebellen in Syrien einmarschiert waren und den IS aus einigen Gebieten an der Grenze vertrieben hatten.

Die türkische Regierung hatte den Anschlag mit neun Toten am Freitag zunächst der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zugeschrieben.

Mit Agenturen

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