Der Amokläufer von München hat seine Tat ein Jahr lang akribisch vorbereitet und dazu wie der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik ein Manifest verfasst. Einen politischen Hintergrund schlossen die Ermittler am Sonntag aber aus. Zur Vorbereitung seiner Bluttat reiste der psychisch kranke 18-Jährige auch nach Winnenden, den Ort eines früheren Amoklaufs. Seine Opfer, die überwiegend aus Migrantenfamilien stammen, suchte er sich nach bisherigen Erkenntnissen nicht gezielt aus.
Die Bluttat löste am Wochenende eine Debatte über die Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen aus. Unions-Politiker forderten mehr Videoüberwachung, die Stärkung der Sicherheitsbehörden und den Einsatz der Bundeswehr bei Terroranschlägen. Auch schärfere Waffengesetze und Maßnahmen gegen Gewaltverherrlichung in Computerspielen sind wieder im Gespräch.
Der Amoklauf hatte am Freitagabend ganz München in Angst und Schrecken versetzt. Der 18-jährige Täter schoss in und vor einem Einkaufszentrum in der Innenstadt sowie in einem Schnellrestaurant um sich, tötete neun Menschen - überwiegend Jugendliche - und anschließend sich selbst. Drei Menschen schwebten noch in Lebensgefahr. Insgesamt gab es laut Landeskriminalamt 35 Verletzte.
Polizei und Staatsanwaltschaft informierten am Sonntag über die ersten Ermittlungsergebnisse. Danach hat der Schüler unter „sozialen Phobien“ und Depressionen gelitten, war zwei Monate in stationärer, später in ambulanter Behandlung. Der letzte ärztliche Kontakt datiert vom Juni. In seiner Wohnung wurden auch Medikamente gefunden.
Im Jahr 2012 wurde der Täter von Mitschülern gemobbt. Ob es einen Zusammenhang zur Tat gebe, sei noch unklar, erklärten die Ermittler. Mitschüler seien aber nicht unter den Opfern.
Waffe stammt aus dem Darknet
Der Amoklauf fand am fünften Jahrestag von Breiviks Massenmord in Oslo und auf der norwegischen Insel Utøya statt, bei dem der Rechtsextremist 77 Menschen tötete. Der Täter von München informierte sich über dessen Tat und hatte in seiner Wohnung auch ein Buch mit dem Titel „Amok im Kopf - Warum Schüler töten“.
Nach Angaben der Ermittler spielte der Täter intensiv Videospiele wie „Counter-Strike“, die als gewaltverherrlichend kritisiert werden. Mit seiner Pistole gab der Täter den Ermittlungen zufolge mindestens 57 Schüsse ab. Die Waffe hat er anscheinend in einem anonymen Bereich des Internets gekauft, dem sogenannten Darknet. Sie sei einst zu einer Theaterwaffe umfunktioniert worden, dann aber wieder zu einer scharfen Waffe umgebaut worden, sagte der Chef des Landeskriminalamts, Robert Heimberger.
Mit einem Fake-Account bei Facebook habe der Täter angekündigt, dass er in einem Schnellrestaurant eine Runde spendieren werde, sagte Heimberger. „Das war wohl der Versuch, Personen dorthin einzuladen.“ Nach bisherigen Ermittlungen gehörten die Menschen, zu denen der Täter auf Facebook Kontakt hatte, aber nicht zu den späteren Todesopfern.
Chronik: Aufsehenerregende Anschläge in Deutschland
Mit Axt und Messer bewaffnet geht ein 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan in einer Regionalbahn bei Würzburg auf Fahrgäste los. Fünf Menschen werden verletzt, einige von ihnen lebensgefährlich. Polizisten erschießen den Attentäter, der sich in einem Video als Kämpfer der Terrormiliz IS bezeichnete.
Wenige Tage später sprengt sich ein 27-jähriger syrischer Flüchtling vor einem Musik-Festival in Ansbach mit einem Rucksack in die Luft. Er stirbt, 15 weitere Menschen werden verletzt. Auf einem Handy des Mannes gebe es eine Anschlagsdrohung als Video, sagt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Der Täter kündige einen Racheakt gegen Deutsche an als Vergeltung, weil sie Muslime umbrächten.
Nach einer indischen Hochzeit verüben zwei junge mutmaßliche Salafisten aus Gelsenkirchen einen Bombenanschlag auf ein Gebetshaus der Sikhs in Essen. Drei Menschen werden verletzt. Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich um einen gezielten Angriff mit terroristischem Hintergrund handelte.
Bei einer Kontrolle am Hauptbahnhof Hannover verletzt eine 15 Jahre alte Deutsch-Marokkanerin einen Bundespolizisten lebensgefährlich mit einem Messer. Nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft war die Attacke eine „Märtyreroperation“ für die Terrororganisation Islamischer Staat (IS).
Ein junger Kosovo-Albaner erschießt auf dem Flughafen Frankfurt/Main zwei US-Soldaten und verletzt zwei weitere schwer. Der Mann gilt als extremistischer Einzeltäter. 2012 wird er zu lebenslanger Haft verurteilt.
Der Amoklauf sorgte weltweit für Entsetzen und Anteilnahme. In der französischen Hauptstadt Paris erstrahlte der Eiffelturm am Samstagabend in Gedenken an die Opfer in den deutschen Nationalfarben Schwarz, Rot und Gold. Papst Franziskus reagierte bestürzt, bekundete den Hinterbliebenen in einem Telegramm an den Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx seine Anteilnahme und dankte den Sicherheitskräften.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einer Nacht des Schreckens. „So ein Abend, so eine Nacht sind schwer zu ertragen“, sagte die CDU-Chefin am Samstag. Das sei umso mehr der Fall, weil viele Schreckensnachrichten in ganz wenigen Tagen zusammengekommen seien - der Anschlag in Nizza, der Axt-Angriff in Würzburg und nun „die Morde in München“.
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) wollte am Wochenende noch nicht über Konsequenzen reden. Er machte aber deutlich, dass er gegen das „unerträgliche Ausmaß“ von Gewaltverherrlichung in Computerspielen etwas tun wolle.
Zugang zu Waffen erschweren
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach sich für Bundeswehr-Einsätze bei besonderen Terrorlagen aus. Während des Amoklaufs wurden Feldjäger - quasi die Militärpolizei - in Bereitschaft versetzt. Bundeswehreinsätze bei Terroranschlägen im Inneren sind umstritten. Seit Jahren wird über eine Grundgesetzänderung diskutiert, um solche Einsätze zu erleichtern. Union und SPD haben sich im neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik auf den Kompromiss verständigt, dass die Bundeswehr bei größeren Anschlägen auch ohne Grundgesetzänderung eingesetzt werden kann.
In den Blick rückten auch die Waffengesetze. De Maizière sagte der „Bild am Sonntag“, man müsse sehr sorgfältig prüfen, ob und gegebenenfalls wo es noch gesetzlichen Handlungsbedarf gibt. Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) betonte im Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Wir müssen weiter alles tun, um den Zugang zu tödlichen Waffen zu begrenzen und streng zu kontrollieren.“