Schlechte Wahlergebnisse der SPD Ein Ostbeauftragter soll es richten

Für die SPD ging es bei der Bundestagswahl in den neuen Bundesländern besonders stark bergab. Parteichef Martin Schulz will deswegen jetzt einen Ostbeauftragten benennen. Doch ganz so einfach wird das nicht.

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SPD in Ostdeutschland: Martin Schulz will Ostbeauftragten küren Quelle: dpa

Berlin Als SPD-Chef Martin Schulz sich kürzlich für eine „grundsätzliche Manöverkritik“ auf den Weg durch die Republik machte, fand nur ein einziges der acht Dialogforen in den ostdeutschen Bundesländern statt. Rund 400 SPD-Mitglieder kamen zu der Veranstaltung in Leipzig. Mit rotem und blauem Filzstift sollten sie auf großen Pappen ihre Meinung niederschreiben und Ideen für den Erneuerungsprozess der Partei hinterlassen. „Ostdeutsche fühlen sich nicht vertreten“, schrieb ein Genosse. „SPD sichtbar machen“, schrieb ein anderer.

Die SPD hatte am 24. September mit Schulz als Kanzlerkandidat ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erzielt. Besonders stark ging es für die Partei in Ostdeutschland bergab: Dort landeten die Sozialdemokraten nur noch auf dem vierten Platz, hinter CDU, AfD und Linkspartei. Die Mitgliederzahlen in den neuen Ländern sind bescheiden. Während in Nordrhein-Westfalen noch einer von 165 Bürgern ein SPD-Parteibuch hat, im Saarland sogar einer von 55, hat es etwa in Sachsen nur noch einer von 1000. Nach Parteiangaben gibt es Wahlkreise, in denen nur noch 148 SPD-Mitglieder wohnen.

Die desolate Lage seiner Partei in Ostdeutschland ist auch Schulz nicht verborgen geblieben. „Wollen wir Volkspartei bleiben, können wir uns nicht mit Regionen abfinden, in denen die SPD nicht mehr personell und organisatorisch verankert ist“, schrieb der Parteivorsitzende in seinem Entwurf für einen Leitantrag zum SPD-Parteitag im Dezember. Die SPD werde ihrem Anspruch als gesamtdeutsche politische Kraft nicht mehr gerecht. Schulz kündigte darum an, „aus den Reihen des Parteivorstandes“ einen Beauftragten für die Entwicklung der SPD in Ostdeutschland zu benennen. Dessen Aufgabe sei es, ein „Zukunftsprogramm Ost“ zur inhaltlichen, organisatorischen und strukturellen Neuaufstellung der SPD-Ostdeutschland zu erarbeiten, das auf einem SPD-Ost-Konvent im Herbst 2018 verabschiedet werden solle.

Die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Manuela Schwesig weist nun auf die nötige Parteiarithmetik hin. „Ich würde mich freuen, wenn alle ostdeutschen Landesverbände im kommenden Vorstand vertreten sind“, sagte Schwesig dem Handelsblatt. Dann könne über einen Beauftragten entschieden werden. Als Parteivize werde sie selbst „weiterhin für die Interessen Ostdeutschlands eintreten“, versprach die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommern.

„Wir müssen die Partei sein, die die sozialen Themen im Osten anspricht: gleiche Löhne, gleiche Renten, mehr Respekt vor ostdeutschen Lebensleistungen“, sagte Schwesig. Die Perspektiven für den ländlichen Raum seien ebenfalls wichtig. „Viele Menschen dort haben Angst, abgehängt zu werden“, betonte die stellvertretende Parteivorsitzende. „Unser Ziel muss sein, auch auf Bundesebene mit ostdeutschen Themen stärker sichtbar zu sein.“
Die Personalie des Ostbeauftragten macht einmal mehr auf die Proporzproblematik aufmerksam, mit der SPD-Chef Schulz derzeit zu kämpfen hat. So muss er die Fragen von regionaler Herkunft, Migrationshintergrund, Flügelzugehörigkeit und Geschlecht austarieren, wenn er am kommenden Montag die Liste seiner Wunsch-Stellvertreter präsentiert. Nach dem Rückzug der bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Aydan Özoguz kann nun die bayerische SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen das Amt übernehmen. Damit verringern sich indes die Chancen von Noch-Juso-Chefin Johanna Uekermann, die ebenfalls aus Bayern stammt.


Schwesig gilt als gesetzt

Ein weiteres Problem: Ein Mitglied mit ausländischen Wurzeln ist nach Özoguz‘ Abgang dann auch nicht mehr in der engeren Parteiführung vertreten. Nordrhein-Westfalens SPD-Landeschef Michael Groschek gab am Mittwoch bekannt, nun doch nicht für einen Vize-Posten zu kandidieren, da „an Männern in der Parteispitze kein Mangel“ herrsche, wie er der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung sagte. Zudem gab Groschek an, die nordrhein-westfälische SPD sei mit Schulz und Schatzmeister Dietmar Nietan ohnehin „stark vertreten“.

Als gesetzt für den Stellvertreterposten gilt Schwesig. Kandidieren wird zudem die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, der Chef der Hessen-SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, und der Landesvorsitzende der schleswig-holsteinischen SPD, Ralf Stegner, wollen ihre Posten behalten.

Die Berufung eines SPD-Ostbeauftragten stünde dann als nächste Personalie für Schulz an. „Einen Ostbeauftragten im Willy-Brandt-Haus halte ich grundsätzlich für eine sehr gute Idee“, lobt die scheidende Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, die Sozialdemokratin Iris Gleicke. „Das darf aber natürlich kein toter Briefkasten und auch kein bloßer Kummerkasten für die ostdeutschen SPD-Mitglieder werden“, mahnt sie aber. Der Beauftragte müsse über echtes politisches Gewicht und weitreichende Kompetenzen verfügen, um die Probleme der Partei im Osten strategisch angehen zu können.

„Für die SPD im Osten ist es fünf vor zwölf“, sagte Gleicke dem Handelsblatt und erhob schwere Vorwürfe gegen die Bundes-SPD: Über die Probleme der SPD im Osten werde seit vielen Jahren diskutiert, ohne dass die notwendigen Konsequenzen gezogen worden wären. „Stattdessen hat man viel und emotional über das Ruhrgebiet als die Herzkammer der SPD geredet und die Schwerpunkte entsprechend gesetzt“, beklagt Gleicke. Darüber sei die Entwicklung im Osten vernachlässigt worden, „das muss man heute ganz nüchtern feststellen“, so die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Wirtschaft.

Die Partei hätte im Osten konsequent stabile Strukturen aufbauen müssen, „über die wir bis heute nicht verfügen“, meint Gleicke. Die SPD sei im Osten in der Fläche auch deshalb schon seit langem nicht mehr präsent und fast unsichtbar, weil es viel zu wenige Anlaufstellen gebe. Nötig seien funktionierende Regionalbüros und ebenso qualifizierte wie motivierte Mitarbeiter. „Das kostet viel Geld, und je länger man diese Ausgabe scheut, desto teurer und schwieriger ist sie zu bewältigen“, warnt Gleicke. „Mit ein paar Tagungen und symbolischen Events ist es jedenfalls nicht getan.“

„Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass irgendjemand auf die Idee kommt, die SPD könne den Osten mehr oder weniger aufgeben, um sich mit ganzer Kraft auf scheinbar lohnendere Zielgruppen im Westen zu konzentrieren“, betont Gleicke. „Das wäre der Anfang vom Ende der deutschen Sozialdemokratie.“

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