Schlechter Ruf wegen Pegida Dresdens letzte Chance

Seit Pegida durch Dresden zieht, ist der Ruf der Stadt ramponiert. Wirtschaft und Wissenschaft leiden darunter. Am Sonntag feierte das Bündnis sein zweijähriges Bestehen. Nun wollen die Dresdner ihre Stadt zurückerobern.

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Mehrere tausend Pegida-Anhänger haben am Donnerstag auf dem Theaterplatz in Dresden demonstriert. Quelle: dpa

Dresden Eric Hattke gibt noch nicht auf. Vor der Frauenkirche wird der 25-Jährige Montagabend auf eine Bühne steigen, ans Mikrofon treten und zu seinen Mitbürgern sprechen. Hattke studiert in Dresden – und er ist einer der wichtigsten Widersacher Pegidas in der Stadt. Vor der Frauenkirche wird Hattke über Zusammengehörigkeit reden: über die Verantwortung einer Gesellschaft, darüber, dass Teile von ihr angefeindet werden. „Wir dürfen das nicht zulassen“, sagt Hattke. Er hofft, dass Dresden ein positives Zeichen setzen kann. Positive Zeichen aus Dresden – die gab es schließlich lange nicht mehr.

Vor genau zwei Jahren zog Pegida zum ersten Mal durch die Stadt. Ein paar Dutzend Enttäuschte, nicht der Rede wert – so dachte damals die Politik. Doch aus Dutzenden wurden Tausende. Aus Ignoranz wurde ein Problem. Plötzlich gab es Bilder von Hetzjagden in der Altstadt. Von grölenden Massen vor der Semperoper. Von Menschen, die Politiker anschreien, so wie zuletzt am 3. Oktober. Es sind zerstörerische Bilder. Wie Nebelschwaden liegen sie über der Stadt.

Am Montag kann Dresden den Bildern etwas entgegensetzen. Ein Bürgerfest vor der Frauenkirche soll es geben, organisiert vom Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert und weiteren Initiativen. Die Aktion soll neue Bilder entstehen lassen, der Masse von 8000 Menschen, die am Sonntag vor der Semperoper aufzog, Paroli bieten. Eigentlich wollte auch Pegida seinen „Geburtstag“ an diesem Montag feiern. Da der symbolträchtige Platz vor der Semperoper aber durch eine zuvor angemeldete Gegenkundgebung besetzt war, wurde die Veranstaltung vorverlegt.

Noch immer geht es um die Deutungshoheit in Dresden. Darum, ob sich eine ganze Stadt in Sippenhaft nehmen lässt. Dresdens Zukunft als Touristenidyll, Forschungsstandort und Zentrum für Halbleitertechnologie steht auf dem Spiel.

Die Dresdner Altstadt spürte die Pegida-Auswirkungen als Erste. Wenn gepanzerte Polizeiwagen durch die Straßen fahren, wenn Massen schreiend durch die Gassen ziehen und Absperrgitter die Stadt in ein Labyrinth verwandeln – dann bleiben die Kunden und Gäste weg. Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Übernachtungen in Dresden um drei Prozent zurück. Gastronomen und Händler in der Altstadt klagten zeitweise über Umsatzeinbußen von bis zu 20 Prozent. Manche mussten Mitarbeitern kündigen.

Obwohl an normalen Montagen mittlerweile deutlich weniger Pegida-Anhänger protestieren, meiden viele Dresdner noch immer die Altstadt an diesem Tag. Außerhalb der Altstadt wird es für Forschungsinstitute und internationale High-Tech-Firmen schwieriger, begehrte Mitarbeiter nach Dresden zu locken – und dort zu halten.


Hoffnung auf mehr Gegenwehr

Am härtesten trifft es jedoch die Hoteliers. Im Juli 2016 verbuchten die Hoteliers gar ein Minus von zehn Prozent im Vergleich zu 2015. „Uns fehlen die Gäste, damit der Umsatz und deswegen brechen Arbeitsplätze weg“, sagt Thomas Gaier von der Dresdner Hotelallianz. Neben Pegida sei daran die Bettensteuer schuld. Nach Ergebnissen einer internen Umfrage könnten Gaier zufolge dadurch Hunderte Arbeitsplätze wegfallen. „Pegida betrifft ja nicht nur die großen Hotels: Gästeführer, kleine Pensionen, Souvenirläden, Dampfschifffahrt, die leiden alle darunter.“

Während die Tourismusbranche den Pegida-Effekt direkt spürt, wirkt der ramponierte Ruf für Dresdner Forschungsinstitute und die Mikroelektronik- und Halbleiterindustrie wie ein langsames Gift. Der Halbleiterhersteller Globalfoundries findet derzeit noch genügend gute Mitarbeiter. „Wir merken aber auch, dass Mitarbeiter verstärkt darüber nachdenken, intern an einen anderen Standort oder zu Wettbewerbern in anderen Städten zu wechseln“, sagt Sprecher Jürgen Drews.

Ähnliches beobachtet die Technische Universität Dresden. Seit dem Beginn der Pegida-Bewegung sagen dort ausländische Forscher plötzlich Besuche ab. Die Bewerberzahlen aus den alten Bundesländern brechen ein. „Es hat 20 Jahre gedauert, Dresden zu einer der attraktivsten Städte Deutschlands zu entwickeln – und dann kommen ein paar Hundert Unbelehrbare und machen einen erheblichen Teil dieser Reputation in zwei Jahren zunichte“, sagt Rektor Hans Müller-Steinhagen.

Um dem schlechten Image etwas entgegenzusetzen, hat Globalfoundries Stammtische eingerichtet, an denen die Kollegen aus mehr als 50 Ländern von ihren Erfahrungen im Alltag erzählen. Das Unternehmen hat Infostände in der Altstadt organisiert. Viele Mitarbeiter gehen zu Demonstrationen gegen Pegida. Die Universität engagierte sich als eine der ersten öffentlichen Einrichtungen bei Gegendemos, schaltete Zeitungsanzeigen, warb mit Ausstellungen am Neumarkt für eine offene und tolerante Stadt.

Das Bürgerfest am Montagabend löste in der Stadt eine neue Diskussion aus. Manche Aktivisten kritisierten, Oberbürgermeister Dirk Hilbert kapere damit eine bereits zuvor angemeldete Veranstaltung anderer Gegenaktivisten. Viele hielten die Positionierung der Stadt für schlicht zu spät. Eric Hattke nahm die Einladung, auf dem Fest zu sprechen, trotzdem an. „Das Bürgerfest ist ein Anfang“, sagt er. „Aber ich hoffe auf mehr.“

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