Schön sind sie nicht, die Riesen auf dem Acker. Die Windmühlen gehören in Orten, die Ellhöft, Humptrup oder Klixbüll heißen, aber zum Geschäft. Reinhard Christiansen ist der oberste Windmüller und Vorbild für viele im wirtschaftlich eher schwachen Nordfriesland, das einen weiten Himmel hat und viel Wind. Den ernten Christiansen und seine Mitstreiter von der Arge Netz, einem Verbund von knapp 200 Bürger-Windparks in Schleswig-Holstein.
Das Erfolgsrezept des brummig-freundlichen Bartträgers: Mit Bürger-Windparks werden diejenigen zu Teilhabern und Nutznießern der Energiewende, die etwas gegen Rotor-Kolosse haben könnten – weil die ihnen die schöne Sicht verbauen oder die Felder beeinträchtigen.
Leistungsfähige Leitungen fehlen
Doch der Ausbau stockt. Strom ist da, oft im Überfluss, aber immer wieder sind die Leitungen überlastet, und Windräder stehen bei steifester Brise still. Die Ware Wind kommt nicht vom Acker. „Es dümpelt alles vor sich hin“, poltert Christiansen.
Die Windmüller spüren den größten Mangel der Energiewende: Es fehlt an leistungsfähigen Leitungen zur Industrie in den südlicheren Bundesländern. Doch dem nordwestdeutschen Netzbetreiber Tennet fehlt Geld für die Milliardeninvestition. Die Netzgesellschaften pokern derzeit um Kredite oder gar eine Beteiligung der bundeseigenen KfW Bankengruppe.
Weil es klemmt, ist Christiansen in die Messehalle in Husum gereist, wo sich die Spitzenkandidaten der Parteien zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein präsentieren. Egal, ob Wirtschaftsminister Jost de Jager von der CDU oder der Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig von der SPD – beide Anwärter aufs Amt des Ministerpräsidenten überbieten sich mit Lob auf die erneuerbaren Energien.
Schuld hat de Bundesregierung
Der eher spröde de Jager schwärmt: „Die Energiewende ist die Riesenchance für Schleswig-Holstein.“ Womöglich könnte das Land schon 2015 und nicht erst wie geplant 2020 mehr Energie aus Wind, Sonne und Biomasse ziehen, als es selbst braucht, verheißt er – „wenn der Leitungsbau vorangeht“. Konkurrent Albig will die Heimat zum wohlhabenden Energieexporteur machen: „Wir haben das Potenzial zu werden wie das Ruhrgebiet in der Mitte des letzten Jahrhunderts.“ Doch auch ein Scheitern sei möglich. Ja, das Stromnetz sei noch mangelhaft.
Doch mit konkreten Lösungen und unangenehmen Entscheidungen zur Finanzierung und zum Verlauf der Stromtrassen an Ortschaften vorbei tun sich beide großen Parteien schwer. Der Bund sei verantwortlich für vieles, was nicht recht laufe, die Netzbetreiber nicht im Zeitplan. Sowohl Albig als auch de Jager kritteln an der Bundesregierung herum, die die Förderung der erneuerbaren Energien zurückschraubt, weil der enorme Zubau an Solaranlagen (auch in Schleswig-Holstein) den Strom für die Allgemeinheit verteuert. Solche Kritik an Berlin hören sie hier gerne, auch an der stürmischen Küste sind reihenweise Solarpaneele zu sehen.
Pläne für erneuerbare Energien
Unangenehme Botschaften scheut Robert Habeck von den Grünen weniger. Der Schriftsteller und Spitzenkandidat sagt als Einziger, wie es aus seiner Sicht mit dem Netzausbau schneller gehen könnte: „Wenn Tennet nicht genug Geld hat, muss man im Hinterkopf haben, dass es unter anderer Regie, etwa durch den Staat, gemacht wird.“ Das kommt in der Ökoszene an, weniger bei Minister de Jager.
Das Umgarnen der Ökos
Trotz solcher Differenzen umgarnen SPD und CDU den Grünen-Kandidaten. „Ich habe Herrn Habeck nichts hinzuzufügen“, lobt de Jager mehr als einmal. Und schmeißt sich ran an die Ökopartei: „Eine grüne Krawatte habe ich auch.“
Bisher regiert die Union mit der FDP, deren Spitzenmann Wolfgang Kubicki dagegen kämpft gegen den inner- und außerparlamentarischen Untergang. Zuletzt lag die SPD bei den Wählern im Norden mit 32 Prozent gleichauf mit der CDU. Die Grünen kamen auf zwölf Prozent, die Piraten auf elf. FDP und Linke würden nach den Umfragen nicht in den Kieler Landtag einziehen.
Christiansen hält manches auf dem Husumer Podium für heiße Luft. Er prescht mit seiner Idee vor, das Modell seiner Produktionsgenossenschaften auf Stromleitungen zu übertragen. „Dann müssen eben Bürger-Energienetze her“, fordert der Friese. Sollen seine Landsleute doch bei den neuen Stromautobahnen als Klein-Kapitalisten einsteigen.
Außerdem will die Arge Netz dort, wo die neue Stromautobahn verlaufen soll, mit den Eignern der Flächen verhandeln. „Wenn wir Tennet und E.On Netz die Eigner der betroffenen Flächen nennen können, geht alles schneller“, hofft Christiansen. Doch so viel wie ein Bauer bekommt, wenn ein Rotor auf seinem Land gebaut wird, fällt als Entschädigung beim Bau eines Strommasten nicht ab. Netzbetreiber Tennet verweist darauf, dass die Bundesnetzagentur höhere Vergütungen nicht akzeptiere.
Mittelmäßiges Schleswig-Holstein
Doch Schleswig-Holstein ist nicht nur wegen des Engpasses im Netz bei der Energiewende mittelmäßig im Vergleich zu anderen Bundesländern. Zwar produziert es Unmengen an Windstrom und zunehmend auch aus Biomasse sowie Solarkollektoren, doch steht im Norden noch der älteste fossile Kraftwerkspark.
Küstennachbar Mecklenburg-Vorpommern hat zudem vorgemacht, wie schnell Genehmigungsverfahren gehen. Die Stromtrasse von Hamburg nach Schwerin etwa endete bislang an der Landesgrenze, weil in Schleswig-Holstein die Planungen stocken. 2010 hätte alles fertig sein sollen, schon vor der hastigen Energiewende nach Fukushima.
Grüne Friesländer
Vieles spricht dafür, dass eher Bürokratie und Kompetenzgerangel der Länder für den schleppenden Umbau verantwortlich sind. An den Bürgern in Friesland wird es kaum scheitern, sie haben schon Biogasanlagen in nächster Nähe, Solarparks auf dem Acker und Windräder in Sichtweite.
Bestes Beispiel ist Karen Hansen, ehrenamtliche Bürgermeisterin des Dorfes Horstedt bei Husum. Die resolute Biologin und Planerin im Ingenieurbüro ihres Mannes ist seit 40 Jahren gegen Atomkraft. Da müsse sie „ja nun ordentlich mitmachen“ beim Umbau, auch wenn der für ihr 750-Seelen-Dorf durchaus Nachteile bringt. Bisher überwiegen aber die Vorteile: Mehr als die Hälfte der Dörfler sind Mitinhaber der sechs Windräder in Ortsnähe, viele haben in Solarpaneele, andere in Biogasanlagen investiert. Der überwiegende Teil der Gewerbesteuereinnahmen von Horstedt stammt von den Strommühlen. Deshalb beschwert sich Hansen vor versammelter Politprominenz in Husum, dass ihre Gegend nun als Teil des „charakteristischen Landschaftsbildes“ eingestuft werde – weitere Windräder sind dann unmöglich. Das will sie nicht hinnehmen.
Strom surrt Tag und Nacht
Sicher ist, dass dort, wo die großen Windräder stehen, auch Höchstspannungsleitungen an Horstedt vorbeiführen sollen. „Bei feuchter Luft hört man da den Strom surren – Tag und Nacht“, sagt Hansen voraus. Auch ein Umspannwerk rückt den Horstedtern auf die Pelle. „Bislang ist das westlich und recht nah des Ortes geplant. Auch da trägt der Westwind fast alles herüber.“ Zuletzt waren die Netzbauer von Tennet vor Ort und haben mit Karen Hansen besprochen, ob etwas mehr Abstand zum Dorf einzuhalten geht. „Genau genommen sind wir Opfer unseres Erfolges“, urteilt die 57-jährige Bürgermeisterin. Weil die Friesen so viel Wind ernten, folgen eben Leitungen und Verteilerstation. „Man kann nicht sagen, dass man fünf Tage die Woche die Autobahn vor der Tür möchte, aber am Wochenende soll es, bitte schön, ruhig sein.“ Mit dieser Parole hofft Hansen, dem Widerwillen mancher Dörfler zu begegnen. Auch sie sieht aber weniger ihre Nachbarn und eher die Politiker als Bremser.
Das wollen die Wahlkämpfer so nicht betrachten. CDU-Spitzenkandidat de Jager favorisiert, dass nicht nur anderthalb Prozent der Fläche Schleswig-Holsteins, sondern bald sogar zwei Prozent für Windanlagen ausgewiesen werden können. SPD-Spitzenmann Albig will den Windmüllern vor allem beim Ersatz bisheriger Anlagen durch höhere und leistungsstärkere zur Seite stehen. Die sind allerdings lauter und müssen auch besser für Flugzeuge sichtbar gemacht werden. Mit roten Lampen, wie Genosse Albig stolz vermeldet. Doch de Jager will ebenso beim Publikum punkten, das sich an den Möglichkeiten der neuen Energien berauscht. Er kontert: „Tja, wir konnten uns leider mit schwarzen Leuchten nicht durchsetzen.“