Schlusswort

Das Gezerre um die Ehe für alle hat viel gekostet

Ehe eine alle(ine) ist: Mit der Öffnung zur Ehe für alle rettet Angela Merkel ihre Koalitionsoptionen.

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Ehe für alle: Was viel kostet, ist einzig das Gezerre darum. Quelle: dpa

Kosten: keine. So steht es lapidar unter Abschnitt D des neuen Gesetzes „zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“. Das ist eine recht eindimensionale Betrachtung der Dinge. Tatsächlich kostet es kein Geld, Paragraf 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu ändern. Aber jenseits des administrativen Aufwands hat das Gezerre um die Ehe für alle sehr viel gekostet.

Seit fast zwei Jahren liegt der Gesetzesentwurf vor, den Union und SPD wegen des Widerstands der Union im Rechtsausschuss exakt 30 Mal blockiert haben. Es blieben noch verfassungsrechtliche Fragen offen, so die Begründung der Union. Die einzig wesentliche lautet: Warum haben die Unionsparteien so lange an der rechtlichen, ökonomischen und sozialen Diskriminierung von homosexuellen Partnerschaften festgehalten, während die Bevölkerung längst mit großer Mehrheit die Ehe für alle unterstützt.

Der Prozess kratzt an der Glaubwürdigkeit der Bundeskanzlerin. Angela Merkel hatte den politischen Schleudergang dieser Woche am Montagabend bei einem Talk der „Brigitte“ in Gang gesetzt, als sie mit verquasten Sätzen von einem „einschneidenden Erlebnis“ erzählte. Das dreht sich um zwei Frauen, die mehrere Pflegekinder großziehen. Warum dieser Heureka-Moment jetzt zustande kam, bleibt unklar.

Merkel hat über Jahre mit einem schwulen Vizekanzler regiert, von dessen Mann sie wie selbstverständlich als dessen Mann sprach. Will man nicht davon ausgehen, dass die persönlichen Erfahrungen der Kanzlerin jeweils unmittelbar nach dem Geschehen wieder der Amnesie anheimfallen, gab es genug einschneidende Erlebnisse mit homosexuellen Menschen, die sie als Regierungspartner, Parteimitglieder und Berater um sich hat. Von denen hat ihr sicher mal jemand gesagt, wie es sich anfühlt, aufgrund des eigenen Lebens und Liebens rechtlich schlechter gestellt zu werden.

Das einschneidende Erlebnis führte nun also dazu, dass die Entscheidung über die Ehe für alle zur „Gewissensentscheidung“ wird. Damit ist sie neben der Präimplantationsdiagnostik und der Sterbehilfe in guter Gesellschaft. Das Gewissen wird zum Verladebahnhof für den Tauschhandel zwischen Machtpolitik und gesellschaftlicher Wirklichkeit. Das hat das Gewissen nicht verdient.

Eine sehr einfache und ehrliche Erklärung für den gesellschaftspolitischen Fukushima-Moment der Kanzlerin liegt in den Koalitionsaussichten für die nächste Regierungsperiode. Nachdem außer der AfD alle anderen möglichen Koalitionspartner die Ehe für alle zur Koalitionsbedingung ausgerufen hatten, sah Merkel sich politisch isoliert. Mithilfe des Gewissens anderer hat sie sich Luft verschafft. Das ist machtpolitisch vielleicht geschickt. Gesellschaftspolitisch wüsste man von der deutschen Kanzlerin immer noch gerne, wie sie selbst die Sache sieht. Das sagt sie aber nicht. Parteipolitisch sind ihr die Kosten dafür wahrscheinlich zu hoch.

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