Schottdorf-Abschlussbericht Untersuchungskommission sieht „schweres Justizversagen“

In ihrem Abschlussbericht zu der Affäre um den Ex-Labormagnaten Bernd Schottdorf kritisieren Grüne und Freie Wähler eine Einflussnahme der Justiz – und fordern den Rücktritt der bayrischen Europaministerin Beate Merk.

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Nach Einschätzung von Freien Wählern und Grünen ließ die Generalstaatsanwaltschaft in München einen Großteil der Verfahren bewusst unter den Tisch fallen. Quelle: dpa

Düsseldorf Ein Generalstaatsanwalt schaltet sich in Ermittlungen ein. Er verändert die Zuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft. Am Ende lässt die neue Behörde tausende betrugsverdächtige Ärzte und ihren Laborbetreiber laufen. Verfahren werden eingestellt oder einfach liegen gelassen, bis sie verjährt sind.

Der Fall um den Ex-Labormagnaten und Multi-Millionäre Bernd Schottdorf und seine Kunden, den das Handelsblatt 2014 aufdeckte, hat hohe Wellen geschlagen. In Bayern wurde ein Untersuchungsausschuss eingerichtet. Am Dienstag nun legten Grüne und Freie Wähler ihren Abschlussbericht vor. Und der hat ein eindeutiges Ergebnis: Von einem „schwerwiegenden Versagen der bayerischen Justiz, der damals zuständigen Justizministerin und auch des derzeitigen Justizministers“, spricht Sepp Dürr, Ausschussmitglied der Grünen. „Für uns steht fest, dass die Ermittlungen stark beeinflusst wurden – auch wenn es dafür keine schriftlichen Anweisungen gibt“, sagte Florian Streibl von den Freien Wählern.

Für die beiden Oppositionsparteien ist der Fall klar: Jahrelang ermittelte eine Sonderkommission Labor beim Landeskriminalamt gegen Schottdorf und 10.000 Ärzte wegen möglichen Abrechnungsbetrugs. Dann verschob die Münchner Generalstaatsanwaltschaft 2009 das Großermittlungsverfahren einfach von München nach Augsburg. Und dort wurden 151 bereits weit ermittelte Fälle innerhalb nur eines Monats sang- und klanglos eingestellt. Den Rest der Fälle ließen die Augsburger Ankläger einfach verjähren.

Lediglich ein Fall blieb als Pilotverfahren in München und wurde vor das Landgericht gebracht. Und der dortige Arzt wurde prompt zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof bestätigte später das Urteil. „Im Ergebnis gab es zweierlei Recht: Einer wurde verurteilt, die vielen ließ man ungeschoren davonkommen“, so Dürr am Dienstag bei Vorstellung des Abschlussberichts.

Ein bewusstes Justizversagen sei die Affäre Schottdorf, denn die Generalstaatsanwaltschaft habe gewusst, was sie tat und warum, schlussfolgern Grüne und Freie Wähler. Für das Beerdigen der Verfahren habe es keiner expliziten Intervention von oben bedurft. „Das hat die Generalstaatsanwaltschaft München in quasi vorauseilendem Gehorsam allein zu verantworten“. Ihr sei auch so klar gewesen, dass es im Wahljahr 2008 nicht opportun war, Tausende von Ärzten zu „inkriminieren“, betonte Dürr.

Die Opposition rügt zudem den völlig unverhältnismäßigen Umgang mit Kritikern. Ob die beiden LKA-Beamten Robert Mahler und Stephan Sattler, die sich gegen das „Totmachen“ der Ärzteverfahren wehrten, oder der stets gut informierte Journalist Hubert Denk: Alle Disziplinarmaßnahmen und Ermittlungsverfahren gegen die drei verliefen ergebnislos im Sande – zogen sich aber über Jahre hin. Zugleich wurde jener Münchner Staatsanwalt, der das Pilotverfahren äußerst engagiert und korrekt führte, von seinen Vorgesetzten durch zahlreiche Anweisungen drangsaliert.

Besonders heftig fällt deshalb auch die Kritik an der damaligen Justizministerin Beate Merk (CSU) aus, die jetzige Europaministerin von Ministerpräsident Horst Seehofer. Sie habe ein erschreckendes Beispiel von Führungs- und Verantwortungslosigkeit gezeigt. Die Vorgänge in der Schottdorf-Affäre hätten belegt, dass Merk ihre Strafverfolgungsbehörden weder kontrolliert habe noch sich regelmäßig von Ihnen unterrichten ließ. Das erst habe das Agieren der Staatsanwaltschaften im rechtsfreien Raum ermöglicht.

Grüne und Freie Wähler kritisierten aber nicht nur, sie fordern auch: so müsse Merk zurücktreten, sie sei als Ministerin nicht mehr tragbar. Zudem müsse ärztlicher Abrechnungsbetrug konsequenter verfolgt werden, „Staatsanwaltschaften und Polizei müssen entsprechend eingewiesen und personell ausreichend dafür ausgestattet werden.“

Die privaten Krankenversicherungen und die staatlichen Beihilfestellen müssten zudem Arztrechnungen stärker überprüfen. Hier hatte sich im Untersuchungsausschuss gezeigt, dass eine solche Kontrolle nicht stattfindet – und bei den Beihilfestellen technisch noch immer nicht möglich ist. Der bayerische Oberste Rechnungshof (ORH) habe schon 2008 festgestellt, dass durch eine computergestützte Abrechnungsprüfung jährlich 20 bis 50 Millionen Euro bei der Beihilfe eingespart werden könnten, so Dürr. „Trotzdem hat Finanzminister Söder nichts veranlasst, um diese Missstände abzustellen und Qualifikationsnachweise einzufordern.“

Die CSU-Regierung, schlussfolgern die Oppositionsparteien, trage deshalb eine Mitverantwortung für einen Justiz- und gesundheitspolitischen Skandal: Jahrzehntelang seien trotz erkennbarer Gesetzeslücken zu Lasten der Beitrags- und Steuerzahler keine Änderungen im Gesundheitssystem auf Bundesebene angeregt worden. „Die derzeitige Gesundheitspolitik sorgt zum einen für eine große Rechtsunsicherheit und ermöglicht es zum anderen gewieften Experten, auf Kosten der Beitrags- und Steuerzahler viel Geld zu verdienen“, kritisierte Dürr.

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