Schuldenkrise Wolfgang Schäuble lernt aus dem falschen Geschichtsbuch

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Die amerikanische "Schuldenmachmaschine"

Fragwürdig ist auch die Verbindung, die Sinn zwischen angeblicher fiskalischer Disziplin und starkem Wachstum in den USA herstellt. Denn die amerikanische Bundesregierung ist nicht nur eine riesige „Transfermaschine“, sondern auch eine „Schuldenmachmaschine“. Amerikanische Präsidenten aller politischer Couleur von Roosevelt bis Reagan haben in einem enormen Umfang Schulden gemacht. Dem stehen Perioden nahezu ausgeglichener Haushalte in anderen Zeiten gegenüber.

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Offensichtlich hat diese zyklische Ausdehnung der Schuldenlast der langfristigen ökonomischen Entwicklung der USA nicht geschadet. Im Gegenteil: Sinn weist ja gerade auf die Stärke des amerikanischen Wachstums hin. Offensichtlich führt eine defizitfinanzierte Ausweitung der Staatsausgaben eben nicht zu einer Fehlallokation von ökonomischen Ressourcen und damit zu einem Abfall von Wachstum und Produktivität. Stattdessen trägt die Stützung der Nachfrage in Krisenzeiten zu einer stärkeren ökonomischen Performance bei, ohne die Stabilität der Währung oder der Staatsfinanzen zu schwächen.

Die heutige Situation Europas zeigt deutlich, dass eine stärkere Zentralregierung mit eigenem Budget dringend notwendig ist. Diejenigen europäischen Staaten, die Konjunkturprogramme am dringendsten benötigen, können diese wegen fiskalischer Zwänge nicht einleiten. Im Übrigen würden solche Programme in den Krisenstaaten es auch noch schwieriger machen, die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den europäischen Staaten einzuebnen, weil die Löhne in den Krisenstaaten durch die konjunkturelle Erholung wieder anziehen würden.

Stattdessen müsste man gerade in den Teilen Europas, die nicht in der Krise stecken, die Konjunktur mit Defizitausgaben weiter anheizen, am besten etwas überheizen. Damit gäbe es Wachstum überall in Europa und Kostensteigerungen in den Nicht-Krisenregionen, die es den krisengeplagten Regionen erlauben würde, die Kostenlücke ohne interne Deflation zu schließen.

Man kann aus der Wirtschaftsgeschichte viel über die aktuelle Krise lernen, aber Sinns Darstellung der amerikanischen Gegebenheiten ist zu selektiv, um informativ zu sein. Idealisierende Darstellungen der historischen Realität Amerikas haben in Deutschland eine große literarische Tradition. Doch wenn es nicht um den Schatz im Silbersee geht, sondern um die ökonomische Zukunft Europas, sollte man sich vor „deutschen“ Versionen der amerikanischen Vergangenheit hüten. Es bleibt zu hoffen, dass sich Wolfgang Schäuble im letzten Moment doch noch auf die Lektürevorschläge aus Amerika besinnt. Die Zeit drängt.

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