Schuldenstreit Merkels teure Griechenland-Zusagen

Kanzlerin Merkel hat einst beteuert, die Griechen-Rettung werde deutsche Steuerzahler nichts kosten. Dieses Vorhaben ist nach den geplatzten Verhandlungen nur noch schwer zu halten. Auf Deutschland kommen hohe Kosten zu.

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Angela Merkel am 22.7.2011 zu den Hilfen für Griechenland: „Was wir in diesen Zeiten aufwenden, bekommen wir um ein Vielfaches zurück.“ Quelle: Reuters

Berlin Nach den gescheiterten Verhandlungen zur Lösung der griechischen Schuldenkrise könnte das Land im schlimmsten Fall in die Pleite rutschen  – und als Folge daraus sogar aus dem Euro ausscheiden. Die Hilfsmilliarden, die Athen bis dato am Leben hielten, wären damit verloren. Selbst wenn noch in letzter Minute eine Einigung zwischen Athen und den internationalen Geldgebern gefunden würde, kämen auf die Geldgeber hohe Kosten zu.

Insgesamt stehen 240 Milliarden Euro Hilfen auf dem Spiel. „Für Deutschland stehen 70 Milliarden Euro im griechischen Feuer“, sagte der Präsident des Steuerzahlerbunds, Reiner Holznagel, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Ein Umstand, der aus Holznagels Sicht eigentlich niemanden überraschen dürfte. „Es war von Anfang klar, dass mit der milliardenschweren Stützung Griechenlands Zeit gekauft wurde“, betonte er. „Dabei war bereits mit dem Bruch der No-Bailout-Klausel offensichtlich, dass das Konzept der Euro-Retter, die griechische Schuldenmisere mit noch mehr Schulden bekämpfen zu wollen, nicht aufgehen kann.“

Die Bundesregierung hatte dagegen nie ernsthaft damit gerechnet, dass sich die Dinge irgendwann so entwickeln, dass die jetzt diskutierten Horrorszenarien als Optionen in Frage kommen könnten. Im Gegenteil: Sie erklärte immer wieder, die Griechen-Rettung werde deutsche Steuerzahler nichts kosten.

Sätze wie dieser von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vom 16. Oktober 2010 kommen jetzt wie ein Bumerang zurück: „Alle Experten bestätigen“, erklärte Merkel damals, „dass Griechenland und auch Irland die Schuldenlasten, also Zins und Tilgung, auf Dauer schultern können.“ Und auch am 22. Juli 2011 versicherte die Kanzlerin in der „Bild-Zeitung“: „Was wir in diesen Zeiten aufwenden, bekommen wir um ein Vielfaches zurück.“

Als Griechenland-Optimist gab sich auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), als er am 19. Mai 2010 sagte: „Natürlich gehen wir davon aus, dass jeder seine Schulden auch zurückzahlt.“

Noch deutlicher formulierte Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU), als er am 30. April 2010 versprach: „Es wird kein Steuergeld aus dem Haushalt fließen. Im Gegenteil: Durch die Verzinsung der Darlehen entstehen sogar noch Einnahmen.“

Und der frühere CDU-Chefhaushälter Norbert Barthle glaubte schon am 13. April 2010, noch zehn Tage bevor Griechenland das erste Hilfsprogramm beantragte, dass die Hilfen „für den Bund ein gutes Geschäft“ seien - wegen der hohen Zinsen, die Athen zahlen müsse.

Dass Merkel falsch lag, habe sich „bereits mehrfach bestätigt“, sagte der Fachbereichsleiter Wirtschafts- und Fiskalpolitik am Centrum für Europäische Wirtschaftspolitik (CEP), Matthias Kullas, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). So habe es im Jahr 2012 einen Schuldenschnitt für Griechenland gegeben, da die Schuldenlast nicht mehr tragfähig gewesen sei.

Zudem seien die Laufzeiten der Kredite, die Griechenland insbesondere von den Euro-Staaten erhalten hat, verlängert und Zinsen gesenkt worden. „Dieser weitere faktische Schuldenschnitt war notwendig, da die Schuldenlast nicht mehr tragfähig war“, betonte Kullas.


DIW-Chef: „Athen will Staatsbankrott absichtlich herbeiführen“

Die Lage hat sich seitdem aber nicht grundlegend gebessert. Nach den geplatzten Verhandlungen steht es Spitz auf Knopf für die Hellenen. Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem appellierte an die griechische Regierung, doch noch einzulenken. Man hoffe, dass Athen um eine Verlängerung des Ende Februar auslaufenden Hilfsprogramms bitte, sagte Dijsselbloem in Brüssel, wo an diesem Dienstag die Finanzminister der 28 EU-Staaten tagen. Damit könnte den Euro-Partnern ein gewisser Handlungsspielraum gewährt werden.

Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis äußerte sich zurückhaltend. Er sagte lediglich, der nächste Schritt werde ein verantwortlicher sein. In Europa wisse man, wie man trotz anfänglicher Uneinigkeit zu einer Lösung komme. Die Euro-Gruppe hat Griechenland eine Frist bis Ende der Woche gesetzt, um einen Antrag auf eine sechsmonatige Verlängerung des Programms zu stellen.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat vor diesem Hintergrund nur noch wenig Hoffnung für Griechenland. „Es deutet vieles darauf hin, dass die griechische Regierung ein Scheitern der Verhandlungen und damit einen Staatsbankrott absichtlich herbeiführen will“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Ein Grexit sei zwar eine Entscheidung, die Athen alleine treffen müsse. Das Verhalten der griechischen Regierung zeige aber, „dass sie gewillt ist, einen Euro-Austritt zu akzeptieren“.

Athen signalisiert aus Fratzschers Sicht eine „klare Blockadehaltung“ in den Verhandlungen. „Entweder ist die griechische Regierung unfähig, oder extrem clever in ihrer Verhandlungsführung“, sagte der DIW-Chef.

Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, zeigte sich überzeugt, dass die EU-Partner zu einer „Zwischenlösung“ kommen werden. „Ich glaube, dass die Zeit der Realitätsverweigerung seitens der Politik nun zu Ende geht“, sagte Sinn dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Da die Staatengemeinschaft auch bei einer Einigung nicht so viel Geld zuschießen wird, wie zur Sicherung der griechischen Finanzen nötig wäre, kann ich mir als Zwischenlösung am ehesten eine Phase mit Kapitalverkehrskontrollen wie in Zypern vorstellen.“

Auf mittlere Sicht hält Sinn den Grexit für „unerlässlich, weil Griechenland auch mit Schuldenerlassen und immer wieder neuen Krediten im Euro-Raum nicht zurechtkommt“.


Wo die deutschen Hilfsmilliarden im Feuer stehen

Ein weiterer Schuldenschnitt Griechenlands würde Deutschlands Staatskasse zwar nicht akut belasten, dafür aber in einigen Jahren. Denn die Kredite sollen erst in zehn Jahren und später zurückgezahlt werden. Würde Athen eine Senkung seiner Schuldenquote von 175 auf 90 Prozent der Wirtschaftsleistung aushandeln, könnte dies Deutschland nach Berechnungen des Kieler Finanzökonomen Jens Boysen-Hogrefe bis zu 40 Milliarden Euro kosten.

Bei einem Austritt Griechenlands („Grexit“) aus der Euro-Zone und einer Staatspleite drohen weitere Verluste. Das Risiko Deutschlands beläuft sich auf 70 bis 80 Milliarden Euro. Wieviel verloren ginge, kann niemand sagen. Genauso wenig sind die Folgekosten insgesamt abzuschätzen, wenn die Euro-Zone in starke Turbulenzen geriete:

Fast alle Schulden Griechenlands entfallen inzwischen auf öffentliche Kreditgeber. Die Forderungen der deutschen Banken einschließlich der Staatsbank KfW gegenüber Griechenland beliefen sich im September 2014 noch auf 23,468 Milliarden Euro.

Von den Banken-Forderungen aus dem ersten Griechenland-Rettungsprogramm entfallen allein 15,17 Milliarden Euro auf die KfW, über die Kredite Deutschlands aus dem ersten Hilfspakets abgewickelt wurden. Aus diesen Krediten kassierte der Bund aber auch Zinsen.

Aus dem zweiten Hilfspaket, dem Rettungsfonds EFSF, wurden 144,6 Milliarden zugesagt, wovon bis Ende November 141,9 Milliarden ausgezahlt wurden. Der deutsche Anteil beträgt 36,8 Milliarden Euro. Die deutsche Haftung berechnet sich nach dem deutschen Kapitalanteil an der Europäischen Zentralbank (EZB) in Höhe von rund 26 Prozent des Gesamtkapitals.

Auch an den IWF-Hilfen für Griechenland ist Deutschland beteiligt. Laut Steuerzahlerbund beträgt der deutsche Anteil an den IWF-Krediten des ersten Hilfspakets 1,2 Milliarden Euro, an den Krediten des zweiten Pakets etwa 700 Millionen Euro.

Die EZB hat griechische Staatsanleihen erworben. Wie viele derzeit in der EZB-Bilanz stehen, ist nicht bekannt. Schätzungen gehen von insgesamt 27 Milliarden Euro aus, wovon Deutschland über die Bundesbank für rund 7 Milliarden Euro haftet. Dies würde sich sofort bemerkbar machen, da der Bund der Bundesbank trotz Risikorückstellungen wohl unter die Arme greifen müsste.

Verluste drohen auch im europäischen Zahlungsverkehrs-System „Target 2“. Die Target-Verbindlichkeiten der griechischen Zentralbank gegenüber der EZB belaufen sich auf etwa 37 Milliarden Euro. Über den deutschen Kapitalanteil bei der EZB von derzeit rund 26 Prozent bezieht sich das deutsche Haftungspotenzial somit auf 10 Milliarden Euro.

Summa summarum stehen damit nach den Berechnungen des Steuerzahlerbunds derzeit deutsche Steuergelder von bis zu 71 Milliarden Euro im Feuer. Das sind rund 850 Euro für jeden Einwohner Deutschlands. Das ist mehr als Griechenland allen seinen privaten Gläubigern weltweit schuldet (rund 65 Milliarden Euro beziehungsweise 20 Prozent aller griechischen Staatsschulden.)


Prodi: „Griechenland wird seine Schulden niemals zurückzahlen“

Griechenland hätte dieses Szenario abwenden können, wenn es die verabredeten Strukturreformen umgesetzt hätte. „Denn wer als Staat über keine funktionierende Steuerverwaltung verfügt, kann auch nicht ausreichend Geld einnehmen. Das ist eine Achillesferse der Griechen“, sagte Steuerzahlerbund-Chef Holznagel. Die Griechen, kritisiert er, hätten die teuer erkaufte Zeit nicht richtig genutzt.

Ein „Kardinalfehler“ war aus Sicht Holznagels, nicht schon bereits 2010 einen „ehrlichen und radikalen Schuldenschnitt“ anzugehen. „Damals hätte es voll die privaten Gläubiger getroffen. Aber ein Schuldenschnitt jetzt, träfe fast ausschließlich die Steuerzahler“, erklärte Holznagel. Auch wenn die Aussichten auf Rückzahlung der Kredite gegen Null tendierten, habe die Bundesregierung nun aber „die Pflicht gegenüber den deutschen Steuerzahlern, unser Geld zu retten, zumindest so viel wie möglich“.

Kein einfaches Unterfangen, wie Holznagel einräumt, zumal die Griechen offenbar Ursache und Wirkung verwechselten. „Sie sollten ehrlich zu sich selbst sein und erkennen, dass sie zu lange exzessiv auf Pump gelebt und den Staat zum Absturz gebracht haben“, sagte er. Wer dennoch der helfenden Hand, nämlich den Euro-Partnern, den schwarzen Peter zuschiebe, verkenne die Realitäten. „Fakt ist“, so Holznagel, „dass die griechischen Eliten versagt haben und jetzt die Konsequenzen tragen müssen, ob mit oder ohne Euro.“

Der frühere EU-Kommissionspräsident Romano Prodi schließt einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone unterdessen nicht aus. Der Italiener hält diese Option auch deshalb für realistisch, weil er deutlicher als viele andere EU-Politiker zugibt, dass die Hilfsmilliarden ohnehin verloren sind. „Jeder weiß doch, dass Griechenland seine Schulden niemals zurückzahlen wird“, sagte Prodi kürzlich in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“.


Schuldentragfähigkeit kaum zu erreichen

CEP-Experte Kullas pflichtet Prodi bei. Ob die Schuldenlast tragfähig ist, hänge insbesondere von zwei Faktoren ab: Dem Primärüberschuss im Haushalt und dem Wirtschaftswachstum. Er habe jedoch „große Zweifel“, ob Griechenland die Vorgaben beziehungsweise Annahmen der „Institutionen“ (ehemals Troika) tatsächlich erreichen werde, da sie doch „recht sportlich“ seien.

Ein Primärüberschuss im griechischen Haushalt über einen längeren Zeitraum könne nur dann erfolgreich erzielt werden, wenn dies von der Regierung und der Bevölkerung gewollt werde. Hiernach sehe es aber in Griechenland momentan nicht aus. „Zudem sind die Steuereinnahmen Griechenlands im Zuge der Wahl bereits gesunken, was das Erreichen des Primärüberschusses zusätzlichen erschweren wird“, erläuterte Kullas.

Eine weitere wichtige Annahme zur Schuldentragfähigkeit ist das Wirtschaftswachstum. Konkret bedeutet dies, dass die griechische Schuldenlast nur dann tragfähig ist, wenn die griechische Wirtschaft deutlich wächst. „Auch hier habe ich Zweifel, dass die griechische Wirtschaft das notwendige Wirtschaftswachstum tatsächlich erreicht“, sagte Kullas.

Erstens hemme die gegenwärtige Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung Investitionen, was sich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirke. Zweitens führe die jetzige Regierung wachstumssteigernde Reformen nicht durch. Und drittens werde aus Angst vor einem Euro-Austritt oder einer Besteuerung viel Geld ins Ausland gebracht. Die Kapitalflucht hemme das Wirtschaftswachstum.

Kullas ernüchterndes Fazit: „Ich denke nicht, dass Griechenland in der Lage oder Willens ist, seine Schulden zurückzuzahlen.“  Er denke vielmehr, dass ein weiterer Schuldenschnitt in Form von abermaligen Zinssenkungen und Laufzeitverlängerungen kommen werde. „Wahrscheinlich werden deutsche Politiker auch dann noch behaupten, dass Griechenland alles zurückzahlen wird.“

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