Schulz-Rede zur Integration Gerechtigkeit für alle

Eigentlich soll Martin Schulz in Berlin über Integrationspolitik reden. Doch was der SPD-Kanzlerkandidat dann abspult, ist seine altbekannte Rede von Gerechtigkeit. Hinter dem Auftritt im Wohlfühl-Modus steckt Kalkül.

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„Vor Kohle sind wir alle schwarz.“ Quelle: dpa

Berlin Wenn es ein Thema gibt, bei dem die Bundeskanzlerin wirklich angreifbar ist, dann ist es die Flüchtlingspolitik. Die lange offenen Grenzen, die weitgehend unkontrollierte Einreise Hunderttausender Asylsuchender, wachsende Zweifel am „Wir schaffen das“ – all das hätte Angela Merkel leicht den Job kosten können.

Wenn also ihr Herausforderer punkten will, dann muss er es zuvorderst auf diesem Feld versuchen. Dementsprechend sind viele Erwartungen an Martin Schulz gerichtet, als der SPD-Chef am Dienstagabend in Berlin eine Grundsatzrede zur Integrationspolitik hält.

Doch was der Kanzlerkandidat, der einer Einladung des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) folgt, dann in rund einer Stunde abspult, ist seine altbekannte Rede von der Gerechtigkeit. Gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur Uni, Grenzen für schlechte Arbeit und prekäre Beschäftigung, Teilhabe für alle.

Dahinter steckt Kalkül. Denn während konservative Politiker immer noch von „uns“ und „den anderen“ sprächen, wolle er faire und gerechte Chancen für alle in der Gesellschaft. „Ich will ein Deutschland, in dem die Herkunft kein Schicksal mehr ist und die Herkunft nicht über die Zukunft entscheidet.“ Gerechtigkeit für alle, Schulz pur.

Der SPD-Chef selbst hatte hohe Erwartungen an seine Rede geweckt, als er der Kanzlerin indirekt vorwarf, das Thema Flüchtlinge im Wahlkampf am liebsten auszusparen. „Wer auf Zeit spielt und versucht, das Thema bis zur Bundestagswahl zu ignorieren, verhält sich zynisch“, sagte er in einem Interview.

Doch die Angriffe auf die Regierungschefin, die er doch so gerne ablösen will, und ihre Partei – sie bleiben verhalten. Wenn man „Wir schaffen das“ sage, dann dürfe man sich nicht dafür feiern lassen und anschließend die anderen mit der Arbeit alleine lassen. Die erste Amtshandlung des einstigen Integrationsministers Armin Laschet, der jetzt die schwarz-gelbe Regierung in Nordrhein-Westfalen anführt, sei die Einführung von Studiengebühren für Ausländer gewesen. Eine „Intelligenz-Maut“, schimpft Schulz. Bundesinnenminister Thomas de Maizière von der CDU habe die Zuwanderungsdebatte auf unverantwortliche Weise mit der Sicherheitsdebatte vermengt. Aber mit Angst und Angstschüren komme man nicht weiter.

Kein Wort verliert Schulz über Parallelgesellschaften, über die Kölner Silvesternacht, über kriminelle Ausländer. Auch das strittige Thema Abschiebungen streift er in seiner Rede nur kurz, als es um die Dauer der Asylverfahren geht. Natürlich könnten nicht alle Flüchtlinge bleiben. Aber dann hätten sie wenigstens ein Anrecht, darüber eine schnelle Entscheidung zu bekommen. Der oberste Genosse will lieber alltägliche Tabubrüche bekämpfen. Wenn das Kind auf dem Schulhof wegen seiner Religion angepöbelt wird. Oder wenn die Gaulands dieser Welt zu wissen glaubten, dass die Deutschen nicht einen Fußball-Nationalspieler wie Jérôme Boateng zum Nachbarn haben wollten. Wohin diese vermeintlich „alternative“ Gesinnung führe, habe man gerade im US-Städtchen Charlottesville beobachten können.

Das Thema Flüchtlinge und Integration ist durchaus heikel für Schulz. Die Union hat gelernt, dass sich Zustände wie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 nicht wiederholen dürfen, wenn sie nicht das Vertrauen als Partei der Inneren Sicherheit verspielen will. So steht es deshalb jetzt auch in ihrem Wahlprogramm. Die CDU/CSU will das „Fördern und Fordern“ in der Einwanderungsgesellschaft etablieren und strebt verbindliche Integrationsvereinbarungen an. Wer sich verweigert, muss mit Konsequenzen rechnen, bis hin zum Verlust der Aufenthaltsberechtigung. Multikulti und Parallelgesellschaften soll es nicht geben. Klare Kante, zumindest rhetorisch, denn inhaltlich lässt das Wahlprogramm vieles im Ungefähren.


Die Bad Bank des Unions-Wahlprogramms

Martin Schulz hat es da schwerer. Internationalität, Offenheit und Solidarität sind die Markenzeichen seiner mehr als 125 Jahre alten Partei. Seine Wohlfühlwelt sind die Zechen der 60er- und 70er-Jahre rund um seine rheinische Heimat Würselen. „Vor Kohle sind wir alle schwarz“ hätten die Kumpels damals gesagt – egal, welche Hautfarbe oder Religion sie hatten.

In diese Welt möchte der oberste Genosse gerne zurück. Das aber sei nicht so einfach, weil die Solidarität in der Gesellschaft nachgelassen habe. Hausaufgabenhilfe für das ausländische Nachbarkind nebenan sei früher die Regel gewesen, heute ist es eher die Ausnahme. Deshalb die Bildungsoffensive, er wolle, „dass auch Einwandererkinder an das Aufstiegsversprechen glauben können“. Es dürfe nicht sein, dass die Bildungschancen für Jugendliche mit dem Ende der Schulpflicht zu Ende gehen, wie das heute in vielen Bundesländern der Fall war.

Natürlich habe es auch Fehlentwicklungen und Fehlschläge bei der Integration gegeben, unter denen die Bürger heute manchmal zu leiden hätten. Aber die seien nur ein Ausfluss mangelnder Chancengerechtigkeit über Generationen. Weil die Konservativen stets behauptet hätten, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei – und bis heute an diesem „fatalen Fehler“ festhielten, schimpft Schulz. Natürlich müsse unsere Gesellschaftsordnung geschützt werden. „Aber nicht vor Menschen mit Migrationshintergrund, sondern vor Feinden aller Art.“

Deutschland habe Polen im Ruhrgebiet aufgenommen, Gastarbeiter aus Anatolien, Spätaussiedler. In Anspielung auf de Maizières Namen bemüht Scholz sogar noch die Hugenotten, französische Religionsflüchtlinge, die damals in Preußen nach ihrer façon hätten selig werden dürfen. Seht her, soll das heißen, es geht doch, das haben Generationen bewiesen. Man muss nur wollen.

In die Mühen der Ebene begibt sich Schulz nicht. Er dankt zwar den Kommunen überschwänglich für ihr Flüchtlingsengagement, sagt aber nichts zur dauerhaften Sicherung der Finanzhilfen des Bundes. Welche Flüchtlinge sollen von Integrationsangeboten profitieren? Auch die mit nur geringer Bleibeperspektive, damit sie nicht völlig chancenlos bleiben, wenn sie dann über Jahre doch geduldet werden? Hier könnte sich Schulz deutlich von der Union abheben, doch er spricht das Thema nicht an. Weil er sich hier leicht angreifbar machen würde.

Genau wie bei den legalen Zuwanderungswegen, die er für Flüchtlinge fordert. Dass die meisten Menschen, die sich jetzt auf die gefährliche Mittelmeer-Überfahrt machen, beim von der SPD vorgeschlagenen Punktesystem wohl durchfallen würden, verschweigt er lieber. Chancen für alle – auch für die, die keine haben. Ach ja, denen soll geholfen werden, indem man die Fluchtursachen bekämpft. Da ist Schulz dann doch wieder ganz nah bei der Kanzlerin.

Überhaupt – so unterschiedlich sind die Positionen von Union und SPD in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik nicht – sieht man einmal davon ab, dass die CDU/CSU den dauerhaften Doppelpass abschaffen will. Schulz schleppt als ständigen Ballast mit sich herum, dass seine Partei ja alle diesbezüglichen Entscheidungen der vergangenen vier Jahre mitgetragen hat. Deshalb bleibt ihm nur der Verweis auf den „Bayernplan“ der CSU, in dem die Christsozialen alles festgehalten haben, was es nicht ins gemeinsame Wahlprogramm geschafft hat. Darin steckten die wahren Sprengsätze, wie die Obergrenze für Flüchtlinge. „Der Bayernplan“, gibt der Merkel-Herausforderer seinen Zuhörern noch mit auf den Weg, „das ist die Bad Bank des Unions-Wahlprogramms.“       

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