Nach Ansicht vieler Ökonomen könnte sich diese Entwicklung sogar noch verschärfen. So gehen die Analysten von der Raiffeisen-Bank davon aus, dass die Folgen des Frankenschocks erst 2016 vollends zutage treten werden. Derzeit agiere die Wirtschaft in einem „Improvisationsmodus“, in dem die Unternehmen trotz sinkender Erträge zunächst auf Entlassungen verzichteten, da sie noch darauf hoffen, dass sich die Wechselkurse wieder verbessern. Sollte das aber nicht kurzfristig passieren, werden Stellenstreichungen „im fünfstelligen Bereich“ schon bald unvermeidlich, glauben die Analysten. Es drohe sogar die Gefahr, dass die Schweiz „einen Teil ihrer industriellen Basis endgültig verliert“.
Zwar ist die Schweizer Wirtschaft Aufwertungen ihrer Währung durchaus gewöhnt. Der Frankenschock 2015 kam jedoch plötzlicher als alle Aufwertungsrunden zuvor. Um als Innovationspeitsche zu fungieren, fehle anders als in der Vergangenheit vielen Unternehmen diesmal schlicht die Zeit. So haben die Maschinenbauunternehmen einer Branchenbefragung zufolge zum überwiegenden Teil ihre Preise gesenkt, um die Kosten der Aufwertung abzufangen. Genutzt aber hat das nur wenig: Ein Drittel der Branchenunternehmen schlossen das Jahr 2015 mit einem Verlust ab. Ein Jahr nach dem Währungsschock spricht vieles dafür, dass diese Aufwertung nicht spurlos an der Volkswirtschaft vorbeigeht. Die Schweizer Konsumenten stürzt der Frankenschock in eine zwiespältige Situation. Auf der einen Seite müssen sie zunehmend um ihre Jobs fürchten, gerade wenn sie im Tourismus oder Handel arbeiten. Solange der Job aber sicher ist, profitieren sie von der aufgewerteten Währung. Da die Importe dadurch günstiger werden, sind auch die Schweizer Händler gezwungen, ihre Preise zu senken. Das kostete den größten Einzelhändler Coop zwar fast fünf Prozent seines Umsatzes, für die Konsumenten sanken die Preise im Jahr 2015 aber um 1,3 Prozent. Zudem können sie so günstig wie nie im benachbarten Ausland einkaufen. Mehr als 11 Milliarden Franken gaben die Schweizer Konsumenten 2015 in deutschen Geschäften aus, das entspricht 10 Prozent der gesamten Ausgaben.
Wirtschaftliche Beziehungen der Schweiz zu Deutschland und der EU
Zwischen der Schweiz und der EU besteht ein reger Warenaustausch. Die Schweiz exportierte 2013 nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWI) Waren im Wert von rund 90 Milliarden Euro (54,9 Prozent der Ausfuhren) in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Importiert wurden aus den Mitgliedstaaten der EU Waren im Wert von rund 108 Milliarden Euro (74,4 Prozent der gesamten Einfuhren).
Die Schweiz ist viertwichtigster Handelspartner der EU nach USA, China und Russland. Exportiert werden Pharmazeutika, Industriemaschinen, Präzisionsinstrumente, Uhren.
Deutschland ist laut BMWI Zielland für rund ein Drittel der schweizerischen Exporte. Knapp ein Fünftel der schweizerischen Importe stammen aus Deutschland. Deutschland ist somit der mit Abstand wichtigste Wirtschaftspartner der Schweiz.
Aber auch für Deutschland sind die Handelsbeziehungen zur Schweiz von „enormer“ Bedeutung, schreibt das BMWI auf seiner Webseite. Die Schweiz nimmt demnach in der Rangliste der wichtigsten deutschen Handelspartner den 8. Rang sowohl bei den Exporten als auch bei den Importen ein.
2012 hatte die vergleichsweise kleine Schweiz (acht Millionen Einwohner) wertmäßig mehr deutsche Produkte eingeführt als beispielsweise Russland (142 Millionen Einwohner), Japan (127 Millionen Einwohner) oder Polen (38 Millionen Einwohner).
290.000 Deutsche leben und arbeiten laut BMWI in der Schweiz. Deutsche bilden damit nur noch knapp nach Italienern (15,9 Prozent) die zweitstärkste Ausländergruppe (15,2 Prozent).
Das Shopping-Zentrum „Lago“ in der Konstanzer Innenstadt ist inzwischen das umsatzstärkste in ganz Deutschland. „Einkaufstourist“ wurde jüngst zum Schweizer Wort des Jahres 2015 gekürt. Doch die Schweizer haben beim shoppen immer das schlechte Gewissen im Gepäck, könnte doch jeder Einkaufstrip zum Bodensee daheim einen Job kosten. Im Herbst versuchten gar die Einzelhändler in St. Gallen, eine Schnellzugverbindung nach Konstanz zu verhindern, um die Konsumenten im Land zu halten. Hinter der Grenze ist der Frankenschock derweil ein Frankenboom. Es entstehen dutzende neue Geschäfte, wer in der Schweiz arbeitet und in Deutschland lebt, hat sogar mehr Geld zur Verfügung als je zuvor. Es leiden nur die Zollbeamten: Sie müssen jeden Einkauf bescheinigen, damit sich die Schweizer Kunden die Mehrwertsteuer erstatten lassen können. Seit Anfang Dezember ist aber auch das vorbei: Um die Sehnenscheidenentzündungen zu verhindern, hat das Hauptzollamt Singen inzwischen eine Stempelmaschine angeschafft.