Die Lent-Kaserne liegt an der „B 71“, ein paar Kilometer außerhalb der niedersächsischen Kreisstadt Rotenburg. Auf der Bundesstraße sind viele Traktoren und Mähdrescher unterwegs. Felder, Äcker und der Luhner Forst umrahmen das Militärgelände, alte Eichen säumen die kurze Auffahrt zum Kasernentor. Dahinter tun rund 1000 Soldaten ihren Dienst. Und die wollen, dass ihre Kaserne weiter den Namen Lent trägt. Das finden auch der Rotenburger Stadtrat, der Bürgermeister und der Landrat. Das Problem: Helmut Lent (1918-1944) war ein hochdekorierter Weltkriegsflieger, ein gefeierter Held der Wehrmacht und eine Propagandafigur des NS-Regimes. Ob er im Sinne des Traditionsverständnisses der Bundeswehr sinnstiftend wirken kann, da haben einige erhebliche Zweifel.
Allen voran Marc Andreßen, der eine Initiative gründete zur Umbenennung der Kaserne. „Helmut-Schmidt-Kaserne“ könnte er sich gut vorstellen oder „Wümme-Kaserne“ als Verweis auf den unweit durch Rotenburg fließenden Fluß. „Zur Identitäts- und Sinnstiftung oder als Wertelieferant ist Helmut Lent ungeeignet“, sagt Andreßen, der Sprecher des Grünen-Ortsverbandes in Rotenburg ist. Für ihn ist klar, dass der 1944 bei einem Flugunfall bei Paderborn ums Leben gekommene Lent, einer der „privilegiertesten Soldaten der Wehrmacht“ war. Mehr noch: Er habe bis zuletzt den „Endsieg“ gepriesen, wie aus dem Erinnerungsbuch Lents hervorgehe. 1944 hielt Reichsmarschall Hermann Göring selbst die Trauerrede. Andreßen bereitet derzeit eine neue Online-Petition vor, um die Umbenennung zu erreichen.
Die Debatte um Kasernennamen hat im Fahrwasser der Turbulenzen um Wehrmachtsdevotionalen bei der Bundeswehr, rechtsextreme Umtriebe und den Fall des terrorverdächtigen Oberleutnants Franco A. an Fahrt gewonnen. „Im Zuge der gegenwärtigen Diskussionen zum Traditionsverständnis der Bundeswehr wurde entschieden, diesen Prozess dort erneut anzustoßen, wo Kasernen mit Bezug zu Wehrmachtsangehörigen benannt sind, die nicht im Einklang mit dem heutigen Traditionsverständnis der Bundeswehr stehen könnten“, ließ das Ministerium diese Woche wissen. Im Klartext: Die Namen stehen auf dem Prüfstand.
Bundeswehr-Kasernen mit Namen von Wehrmachtsangehörigen
Rommel-Kaserne (Dornstadt), militärischer Widerstand
Generalfeldmarschall Erwin Rommel (1891-1944) war wegen seiner Kriegsführung in Afrika als „Wüstenfuchs“ bekannt. Seine Rolle im militärischen Widerstand ist umstritten. Er sympathisierte mit der Bewegung, war aber nicht am Attentatsversuch auf Hitler beteiligt.
General-Dr.-Speidel-Kaserne (Bruchsal)
General Hans Speidel (1897-1984) war im Zweiten Weltkrieg Stabschef der Heeresgruppe B (N-Frankreich) unter Rommel. Er kam 1944/45 als Angehöriger der militärischen Widerstandsbewegung in Haft.
General-Fellgiebel-Kaserne (Poecking), militärischer Widerstand
Erich Fellgiebel (1886-1944) war als Chef des Heeresnachrichtenwesens an der „Operation Walküre“ beteiligt. Er wurde anschließend zum Tode verurteilt und ermordet.
Generaloberst-Beck-Kaserne (Sondthofen), militärischer Widerstand
Der ehemalige Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck (1880-1944), war im Mittelpunkt der militärisch-bürgerlichen Opposition. Beck war ebenfalls am Attentatsversuch beteiligt. Nach dem Scheitern des Anschlags wurde er erschossen.
Franz-Josef-Strauß-Kaserne (Altenstadt)
Der ehemalige CSU-Verteidigungs- und Finanzminister Franz-Josef Strauß (1915-1988) war im Zweiten Weltkrieg Soldat. 1944 wurde er Oberleutnant. Er wurde später als politisch unbelastet eingestuft.
General-Heusinger-Kaserne (Hammelburg)
General Adolf Heusinger (1897-1982) wusste vom Unternehmen Walküre, war aber nicht beteiligt. Nach dem misslungenen Attentat wurde er verhaftet, aber wieder entlassen.
General-Steinhoff-Kaserne
Luftwaffengeneral Johannes Steinhoff (1913-1994) galt im Zweiten Weltkrieg als erfolgreicher Jagdflieger. Später wurde er Inspekteur der Luftwaffen und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses.
Henning-von-Tresckow-Kaserne (Schwielowsee), militärischer Widerstand
Henning von Tresckow (1901-1944) entwickelte mehrere Attentatspläne auf Hitler mit; darunter der Anschlagsversuch vom 20. Juli 1944. Er gilt als eine der Figuren im militärischen Widerstand gegen Hitler.
Generalleutnant-Graf-Baudissin-Kaserne
Wolf Graf Baudissin (1907-1993) diente im Zweiten Weltkrieg zuletzt im Stab von Rommel. Später machte er Karriere in der NATO und als Bundeswehr-Reformer: Sein Name ist mit dem Begriff „Staatsbürger in Uniform“ verbunden.
Major-Karl-Plagge-Kaserne (Pfungstadt), militärischer Widerstand
Wehrmachtsoffizier Karl Plagge (1897-1957) bewahrte im Zweiten Weltkriegs etwa 250 ihm zugewiesene jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordung in Vernichtungslagern.
Freiherr-von-Boeselager-Kaserne (Munster), militärischer Widerstand
Philipp Freiherr von Boeselager (1917-2008) und sein älterer Bruder Georg (1915-1944) werden dem militärischen Widerstand zugerechnet. Sie planten ein Pistolenattentat, Philipp beschaffte den Sprengstoff für das geplante Attentat am 20. Juli 1944.
Henning-von-Tresckow-Kaserne (Oldenburg), militärischer Widerstand
Henning von Tresckow (1901-1944) entwickelte mehrere Attentatspläne auf Hitler mit; darunter der Anschlagsversuch vom 20. Juli 1944. Er gilt als eine der Figuren im militärischen Widerstand gegen Hitler.
Feldwebel-Lilienthal-Kaserne (Delmenhorst)
Diedrich Lilienthal (1921-1944) gehörte zu einer Panzerjäger-Abteilung, mit der er mehrere russische Panzer zerstörte.
Peter-Bamm-Kaserne (Munster)
Der Schriftsteller und Chirurg Peter Bamm (1897-1975) arbeitete im Zweiten Weltkrieg als Stabsarzt im Felde.
Schulz-Lutz-Kaserne (Munster)
Adelbert Schulz (1903-1944) war Hauptmann einer Panzer-Division.
Lent-Kaserne (Rotenburg/Wümme)
Luftwaffenoffizier Helmut Lent (1918-1944) galt im Zweiten Weltkrieg als erfolgreicher Nachtjäger-Pilot.
Admiral-Armin-Zimmermann-Kaserne (Wilhelmshaven)
Armin Zimmermann (1917-1976) machte im Zweiten Weltkrieg Karriere bei der Kriegsmarine, später wurde er Admiralstabsoffizier bei der NATO und Generalinspekteur der Bundeswehr.
GM-Freiherr-von-Gersdorff-Kaserne (Euskirchen), militärischer Widerstand
General Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff (1905-1980) gehörte zum Widerstandskreis von Stauffenberg. Ein Sprengstoffattentat auf Hitler, das Gersdorff 1943 durchführen sollte, scheiterte.
Theodor-Blank-Kaserne (Rheine)
Der ehemalige CDU-Verteidigungs- und Arbeitsminister Theodor Blank (1905-1972) wurde 1939 zur Wehrmacht einberufen und kehrte 1945 als Oberleutnant aus der Gefangenschaft zurück.
Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne (Augustdorf), militärischer Widerstand
Generalfeldmarschall Erwin Rommel (1891-1944) war wegen seiner Kriegsführung in Afrika als „Wüstenfuchs“ bekannt. Seine Rolle im militärischen Widerstand ist umstritten. Er sympathisierte mit der Bewegung, war aber nicht am Attentatsversuch auf Hitler beteiligt.
Philipp-Freiherr-von-Boeselager-Kaserne (Grafschaft-Gelsdorf), militärischer Widerstand
Philipp Freiherr von Boeselager (1917-2008) und sein älterer Bruder Georg (1915-1944) werden dem militärischen Widerstand zugerechnet. Philipp beschaffte den Sprengstoff für das geplante Attentat am 20. Juli 1944.
Feldwebel-Anton-Schmid-Kaserne (Blankenburg)
Anton Schmid (1900-1942) half als Feldwebel im besetzten Litauen Juden des Wilnaer Ghettos. Der Staat Israel hat ihm den Titel „Gerechter unter den Völkern“ verliehen, weil er als Nichtjude während des Holocaust sein Leben zur Rettung von Juden riskierte.
Graf-Stauffenberg-Kaserne (Dresden), militärischer Widerstand
Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907-1944) plante den Anschlagsversuch am 20. Juli 1944 mit und führte ihn aus. Er wurde in der Nacht danach mit seinen Mitverschwörern erschossen.
General-Olbricht-Kaserne (Leipzig), militärischer Widerstand
Friedrich Olbricht (1888-1944) gehörte zu den Mitverschwörern um Stauffenberg und war direkt am Attentat auf Hitler beteiligt. Auch er wurde erschossen.
Marseille-Kaserne (Appen)
Der Jagdflieger Hans-Joachim Marseille (1919-1942) wurde im Zweiten Weltkrieg seiner vielen Abschüsse wegen als „Stern von Afrika“ glorifiziert.
Kai-Uwe-von-Hassel-Kaserne (Kropp)
Der ehemalige CDU-Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel (1913-1997) leistete als Leutnant der Reserve bis 1945 Kriegsdienst.
Damit dürften wohl rund ein Dutzend Kasernen gemeint sein, darunter sicher die Lent-Kaserne und wohl auch die Delmenhorster Feldwebel- Lilienthal-Kaserne, die nach dem Panzerjäger und Träger des Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes Diedrich Lilienthal (1921-1944) benannt ist. Der Name werde derzeit nicht in Frage gestellt, hieß in der Kaserne. Sollte Berlin das anders sehen, dann würden Gespräche mit der Kommune geführt und beraten. Namensgebungen erfolgen stets nach dem Ansatz „von unten“, das heißt, der Impuls soll von den Kasernenangehörigen und den Kommunen vor Ort kommen. Aus Rotenburg ist das Signal klar. Der Stadtrat fasste am 29. September 2016 einen Beschluss, die Soldaten entschieden am 28. April 2017 über ihre gewählten Vertrauenspersonen: Die Kaserne soll ihren Namen behalten.
Auch Rotenburgs SPD-Bürgermeister Andreas Weber ist dafür, macht aber gleich seine Position klar: „Kein Heldenkult, kein Glorifizieren“. Er will den Namen und die Lebensumstände Lents für eine kritische Auseinandersetzung nutzen und zeigen, was in der NS-Zeit mit Menschen passieren konnte. Mit Informationstafeln vor dem Kaserneneingang soll thematisiert werden, in welcher Situation sich Soldaten damals im NS-Regime befunden hätten. „Und wie sie propagandamäßig genutzt worden sind von der Maschinerie“, so Weber.
Für die Beibehaltung plädiert auch Hermann Luttmann (CDU), Landrat im Landkreis Rotenburg, der auf ein Gutachten des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr von 2016 verweist. „Der Gutachter hat keinerlei belastbare Beweise gefunden, dass der seit 1941 mit einer Russin verheiratete Helmut Lent eine nationalsozialistische Gesinnung hatte“, argumentiert Luttmann. „Mit einigem Wohlwollen wird man durchaus bejahen können, dass die Namensgebung der Rotenburger Lent-Kaserne auch den heutigen Richtlinien der Bundeswehr entspricht.“
Eine entscheidende Richtlinie, der Traditionserlass von 1982, soll bis Ende des Jahres überarbeitet werden. Sollte die Lent-Kaserne dann doch irgendwann umbenannt werden, müssten viele Schilder geändert werden, auch das der Bushaltestelle „Lent-Kaserne“, wo die 800er und die 801er Linie eher spärlich verkehren, so dass autolose Besucher ein Taxi rufen sollten. Dem freundlichen Taxifahrer ist der Name der Kaserne nicht so wichtig. „Kaserne ist Kaserne“, sagt der Mann, der vor vielen Jahren selbst in der Lent-Kaserne diente. Wer Helmut Lent war, weiß er bis heute nicht.