Schwieriges Erbe Wenn Kasernen nach Wehrmachtshelden benannt sind

Dürfen Kasernen nach Wehrmachtshelden benannt werden, auch wenn diese nicht im Widerstand waren? In Rotenburg wurde die schwierige Frage mit „Ja“ beantwortet. Ob die Antwort trägt, bleibt abzuwarten.

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Seit mehr als 60 Jahren sind noch immer zahlreiche Kasernen nach militärischen Größen aus der Wehrmachtszeit benannt. Quelle: dpa

Die Lent-Kaserne liegt an der „B 71“, ein paar Kilometer außerhalb der niedersächsischen Kreisstadt Rotenburg. Auf der Bundesstraße sind viele Traktoren und Mähdrescher unterwegs. Felder, Äcker und der Luhner Forst umrahmen das Militärgelände, alte Eichen säumen die kurze Auffahrt zum Kasernentor. Dahinter tun rund 1000 Soldaten ihren Dienst. Und die wollen, dass ihre Kaserne weiter den Namen Lent trägt. Das finden auch der Rotenburger Stadtrat, der Bürgermeister und der Landrat. Das Problem: Helmut Lent (1918-1944) war ein hochdekorierter Weltkriegsflieger, ein gefeierter Held der Wehrmacht und eine Propagandafigur des NS-Regimes. Ob er im Sinne des Traditionsverständnisses der Bundeswehr sinnstiftend wirken kann, da haben einige erhebliche Zweifel.

Allen voran Marc Andreßen, der eine Initiative gründete zur Umbenennung der Kaserne. „Helmut-Schmidt-Kaserne“ könnte er sich gut vorstellen oder „Wümme-Kaserne“ als Verweis auf den unweit durch Rotenburg fließenden Fluß. „Zur Identitäts- und Sinnstiftung oder als Wertelieferant ist Helmut Lent ungeeignet“, sagt Andreßen, der Sprecher des Grünen-Ortsverbandes in Rotenburg ist. Für ihn ist klar, dass der 1944 bei einem Flugunfall bei Paderborn ums Leben gekommene Lent, einer der „privilegiertesten Soldaten der Wehrmacht“ war. Mehr noch: Er habe bis zuletzt den „Endsieg“ gepriesen, wie aus dem Erinnerungsbuch Lents hervorgehe. 1944 hielt Reichsmarschall Hermann Göring selbst die Trauerrede. Andreßen bereitet derzeit eine neue Online-Petition vor, um die Umbenennung zu erreichen.

Die Debatte um Kasernennamen hat im Fahrwasser der Turbulenzen um Wehrmachtsdevotionalen bei der Bundeswehr, rechtsextreme Umtriebe und den Fall des terrorverdächtigen Oberleutnants Franco A. an Fahrt gewonnen. „Im Zuge der gegenwärtigen Diskussionen zum Traditionsverständnis der Bundeswehr wurde entschieden, diesen Prozess dort erneut anzustoßen, wo Kasernen mit Bezug zu Wehrmachtsangehörigen benannt sind, die nicht im Einklang mit dem heutigen Traditionsverständnis der Bundeswehr stehen könnten“, ließ das Ministerium diese Woche wissen. Im Klartext: Die Namen stehen auf dem Prüfstand.

Bundeswehr-Kasernen mit Namen von Wehrmachtsangehörigen

Damit dürften wohl rund ein Dutzend Kasernen gemeint sein, darunter sicher die Lent-Kaserne und wohl auch die Delmenhorster Feldwebel- Lilienthal-Kaserne, die nach dem Panzerjäger und Träger des Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes Diedrich Lilienthal (1921-1944) benannt ist. Der Name werde derzeit nicht in Frage gestellt, hieß in der Kaserne. Sollte Berlin das anders sehen, dann würden Gespräche mit der Kommune geführt und beraten. Namensgebungen erfolgen stets nach dem Ansatz „von unten“, das heißt, der Impuls soll von den Kasernenangehörigen und den Kommunen vor Ort kommen. Aus Rotenburg ist das Signal klar. Der Stadtrat fasste am 29. September 2016 einen Beschluss, die Soldaten entschieden am 28. April 2017 über ihre gewählten Vertrauenspersonen: Die Kaserne soll ihren Namen behalten.

Auch Rotenburgs SPD-Bürgermeister Andreas Weber ist dafür, macht aber gleich seine Position klar: „Kein Heldenkult, kein Glorifizieren“. Er will den Namen und die Lebensumstände Lents für eine kritische Auseinandersetzung nutzen und zeigen, was in der NS-Zeit mit Menschen passieren konnte. Mit Informationstafeln vor dem Kaserneneingang soll thematisiert werden, in welcher Situation sich Soldaten damals im NS-Regime befunden hätten. „Und wie sie propagandamäßig genutzt worden sind von der Maschinerie“, so Weber.

Für die Beibehaltung plädiert auch Hermann Luttmann (CDU), Landrat im Landkreis Rotenburg, der auf ein Gutachten des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr von 2016 verweist. „Der Gutachter hat keinerlei belastbare Beweise gefunden, dass der seit 1941 mit einer Russin verheiratete Helmut Lent eine nationalsozialistische Gesinnung hatte“, argumentiert Luttmann. „Mit einigem Wohlwollen wird man durchaus bejahen können, dass die Namensgebung der Rotenburger Lent-Kaserne auch den heutigen Richtlinien der Bundeswehr entspricht.“

Eine entscheidende Richtlinie, der Traditionserlass von 1982, soll bis Ende des Jahres überarbeitet werden. Sollte die Lent-Kaserne dann doch irgendwann umbenannt werden, müssten viele Schilder geändert werden, auch das der Bushaltestelle „Lent-Kaserne“, wo die 800er und die 801er Linie eher spärlich verkehren, so dass autolose Besucher ein Taxi rufen sollten. Dem freundlichen Taxifahrer ist der Name der Kaserne nicht so wichtig. „Kaserne ist Kaserne“, sagt der Mann, der vor vielen Jahren selbst in der Lent-Kaserne diente. Wer Helmut Lent war, weiß er bis heute nicht.

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