Serdar Somuncu

Deutschland ist humorfreie Zone

In Deutschland mutieren Witze zu Zoten – wir sind einfach nicht für das Lachen gemacht. Und das liegt noch nicht mal an den Deutschen. Es liegt an Deutschland.

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Serdar Somuncu ist Kabarettist und Buchautor. Er tourte fast zwei Jahrzehnte mit einer kommentierten Lesung von „Mein Kampf“. Quelle: Laif

Lachen geht in Deutschland immer schief. Hierzulande lacht man entweder über die anderen – oder die anderen lachen über uns. Aber über sich selbst lacht man selten. Und wenn dann wirklich mal herzhaft über etwas gelacht wird, dann passiert gleich eine Katastrophe. Irgendjemand fühlt sich immer angegriffen oder verunglimpft.

Vor allem kenne ich kein Land, in dem mehr über das Lachen diskutiert wird, als einfach nur zu lachen. Und das liegt noch nicht mal an den Deutschen. Es liegt an Deutschland.

Dieses Land ist einfach nicht dafür gemacht. Es ist einerseits zu plump für krachende Pointen, andererseits zu dumpf für feinen Esprit. Es hat nicht genügend Selbstbewusstsein, um sich über etwas lustig machen zu können, ohne sich dabei schlecht zu fühlen.

Es hat aber auch nicht ausreichend Feingefühl, um zu entscheiden, welches Lachen angebracht ist, um damit den passenden Gedanken zu füttern. Meist mutiert in unseren Breitengraden der Witz zur Zote. Und dann wird er empfindlich, aggressiv und unberechenbar.

Der Witz als Widerstand

Noch ehe seine Wirkung unser intellektuelles Immunsystem erreicht, wird er von einem vorauseilenden Gehorsam über seine möglichen Folgen zensiert und schließlich moralisch aufgefressen. Der Witz als Widerstand zur Diktatur hat vielleicht gerade deshalb keine Heimat in Deutschland.

Reaktionen auf den Entscheid der Regierung im Fall Böhmermann

Ohnehin ist die Ausbeute an heiklen Anlässen zu groß, um sie wirklich humoristisch verarbeiten zu können. Von Holocaust bis Mohammed, von Hitler bis Erdoğan: An jeder Ecke lauert ein Fettnäpfchen. Schon ist das Lachen schnell in einen absurden Diskurs über richtig und falsch verwickelt.

Eigentlich funktioniert ein Witz nur, wenn man kein schlechtes Gewissen hat. Ein schlechtes Gewissen hat man meistens, wenn man Angst vor etwas hat. Dann hängt der Witz schon am Galgen der Moral, dann entscheidet nicht der Bauch darüber, ob etwas lustig ist, sondern der Verstand. Und bis der Verstand sich mal entschieden hat, vergeht so viel Zeit, dass man den Witz schon nicht mehr lustig findet.

Diktaturen kommen, und Demokratien verschwinden. Was bleibt, ist die deutsche Unfähigkeit, die geeignete Antwort darauf zu finden. Der Deutsche delegiert die Entscheidung darüber lieber an eine höhere Instanz, die dann im Namen des Volkes darüber entscheidet, ob es zulässig war, dass man sich amüsiert – so als gäbe es einen Weg, die Überrumplung des Zwerchfells durch nachträgliche Reue wieder gutzumachen.

Lassen wir also weder der Kanzlerin mit den chronisch heruntergezogenen Mundwinkeln noch den Gerichten die Macht, darüber zu entscheiden, ob, wann und wie wir dem Eingriff in unser Verständnis von Humor Asyl gewähren. Bringen wir unseren Witz endlich selbst zur Strecke.

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