Sichere Herkunftsländern Die neue Macht der Grünen

Im Bundestag stellen die Grünen die kleinste Fraktion, im Bundesrat dagegen demonstrieren sie gerade ihre Macht. Ohne sie geht bei der geplanten Asylrechtsverschärfung nichts. Was jetzt ansteht: Hart verhandeln.

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Der grüne Hulk ist stark und mächtig – auch die Grünen haben Macht. Denn sie ist an zehn Landesregierungen beteiligt.

Stuttgart Die Grünen sind sichtlich zufrieden mit sich. Sie haben erreicht, dass der Bundesrat über Gaffer spricht und die Beleidigung von Staatsoberhäuptern, nicht aber darüber, ob Marokko, Tunesien und Algerien „sicher“ sind. Voraussichtlich landet das Thema sichere Herkunftsstaaten für Flüchtlinge am 8. Juli wieder auf der Tagesordnung der Länderkammer. Damit es vorangeht, muss die große Koalition den Grünen etwas bieten. Keine schlechte Lage für eine Partei, die im Bund auf der Oppositionsbank sitzt. An zehn Landesregierungen beteiligt zu sein, bedeutet Macht.

Wie weit der Bund den Ländern entgegenkommen muss, ist kaum absehbar, rote Linien will noch niemand ziehen. Immer wieder genannt werden schnellere Asylverfahren, in denen aber das Recht des Einzelnen weiterhin geschützt wird - man kann darüber streiten, ob das Konzept „sichere Herkunftsstaaten“ nicht genau das meint. Dazu kommt die Forderung nach Rücknahme-Abkommen mit den Herkunftsländern und Informationskampagnen für diejenigen, die sowieso keine Chance auf Asyl haben.

Auf dem Tisch liegen bisher Protokollerklärungen, in denen zugesagt wird, dass etwa Homosexuelle und Oppositionelle weiter Schutz bekommen sollen. Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsident Robert Habeck (Grüne) reicht das nicht: „Durch vage Protokollerklärungen auf den letzten Metern kann der Gesetzentwurf nicht geheilt werden.“ In Hessen sieht man das ähnlich und bezweifelt zudem, dass es verfassungsrechtlich überhaupt möglich wäre, einzelne Bevölkerungsgruppen auszunehmen. Nordrhein-Westfalen bringt finanzielle Rückkehr-Anreize ins Gespräch.

Grünen-Chefin Simone Peter verlangt für die Maghreb-Staaten einen „Aktionsplan, Masterplan, Marshallplan vielleicht“, um vor Ort zu helfen und zu informieren. Auf keinen Fall werde man sich das Ja abkaufen lassen über einen Kompromiss bei den Integrationskosten, über die Bund und Länder derzeit streiten. Und ihr Kollege an der Parteispitze, Cem Özdemir, erklärt: „Wir gehen in diese Gespräche mit der Haltung, dass das Konstrukt der sicheren Herkunftsstaaten nicht das richtige ist, um die Probleme zu lösen.“


Dafür bekam er ordentlich eins auf die Mütze

Dass die Grünen von dem Konzept wenig halten, ist bekannt. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) konnte sich wie alle anderen ausrechnen, dass mindestens drei der zehn grün mitregierten Bundesländer der Asylrechtsverschärfung zustimmen müssten, damit das Gesetz den Bundesrat passieren kann. Trotzdem gab es lange keine Gespräche. Sollten die Grünen als Blockierer dastehen? Oder sich parteiintern in die Wolle kriegen, wie 2014?

Damals stimmte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu, drei Balkanstaaten als „sicher“ einzustufen. Und bekam dafür ordentlich was auf die Mütze in seiner Partei. Auch jetzt will der Ministerpräsident zustimmen, gewisse Zugeständnisse vorausgesetzt. Diesmal bekommt er aber keinen Ärger. Zwei entscheidende Dinge sind anders:

1. Die Wirkung. Kretschmann konnte gefahrlos kundtun, dass er Ja sagen würde – denn das bedeutet nicht, dass das Gesetz durchgeht. Ihre Macht konnten die Grünen auch ohne den Schwaben zeigen, weil sie inzwischen in zehn Landesregierungen sitzen.

2. Die Lage im Ländle. Die grün-schwarze Koalition war keine Liebesheirat, aber sie soll halten. Neuwahlen im Südwesten will in der Partei derzeit niemand riskieren. Tenor: Wer weiß, wie das ausginge. Immerhin kam die AfD bei den Landtagswahlen auf 15 Prozent.

Kein Streit also, dafür die Möglichkeit, die Bundesregierung über die Länderkammer zu Kompromissen zu zwingen. Sicher auch mit Blick auf die Bundestagswahl ist es Cem Özdemir wichtig, die Grünen als verantwortungsvolle neue Macht im Bundesrat zu präsentieren, nicht als Querulanten. Klar habe man eigene Interessen, aber man entscheide von Fall zu Fall. „Wir gehen mit der Rolle, die wir da haben, sehr verantwortungsvoll um.“

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