Sicherheit beim Gipfel Hamburger Zank um die G20-Zelte

Die Polizei in Hamburg unterbindet jeden Versuch von G20-Demonstranten, ein Nachtlager aufzubauen. Kirche und Kultur solidarisieren sich. Das wird für die Grünen zum Problem, denn sie tragen das Sicherheitskonzept mit.

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Ein Wasserwerfer der Polizei spritzt in Hamburg am Neuen Pferdemarkt im Stadtteil St. Pauli Wasser auf eine Menschenmenge. Hunderte Menschen hielten sich auf der Straße auf und behinderten den Verkehr, ehe die Polizei begann, den Neuen Pferdemarkt zu räumen. Quelle: dpa

Hamburg Die Hundertschaft Einsatzpolizei marschiert links rum, Helme in der Hand. Die Demonstranten ziehen rechts rum aus dem Altonaer Grünstreifen ab. Nach längeren Verhandlungen, eingerissenen Camping-Zelten und einigem Pfefferspray einigten sich beide Seite am Dienstagabend auf dieses Prozedere – nur um sich zwei Stunden später einige Hundert Meter weiter erneut gegenüberzustehen. Ein paar Demonstranten mehr, Wasserwerfer auf Seiten der Polizei. Nach einigen drohenden Wasserfontänen über die Köpfe hinweg räumten die Menschen die Straße.

Während die Einsatzkräfte auf der Straße durch überall in der Stadt spürbare Präsenz und frühes Eingreifen die Kontrolle behalten, entgleitet dem Hamburger Senat eine andere Diskussion. Die linken Demonstranten haben ein Thema gefunden, bei dem sie Unterstützung über das eigene Lager hinaus erhalten: die Frage nach Zeltplätzen für die Nacht. Die Polizei hat die im ganzen Stadtgebiet auf öffentlichen Flächen verboten. Entsprechend leicht lassen sich die Beamten nun vorführen: Um einen Aufmarsch von Hundertschaften zu provozieren, reichen ein paar bunte Zelte.

Das nutzen die Aktivisten genüsslich aus – ihre Forderung nach einer Wiese im zentralen Stadtpark, die sie in den Wochen vor dem Gipfel gefordert hatten, haben sie aufgegeben. Stattdessen schlugen sie an mehreren Stellen in der Stadt Zelte auf und provozierten damit unschöne Bilder von Polizisten in voller Montur im Kampf gegen leere Igluzelte. Das hat zwei Wirkungen: Einerseits bauten die entnervten Aktivisten tatsächlich ihre Zelte im Altonaer Volkspark und im Elbpark Entenwerder ab. Andererseits, und von der Polizei nicht erwünscht, solidarisieren sich nun Kirche und Schauspielhaus mit ihnen.

Das Theater habe seinen kleineren Saal für 200 bis 300 Übernachtungsgäste geöffnet, sagte der Kaufmännische Geschäftsführer Peter Raddatz in einem Videointerview mit dem Handelsblatt. „Die Polizei war zunächst verunsichert, hat dann aber ganz verständnisvoll reagiert“, sagte er. Mehrere Pröbste der Kirche unterzeichneten einen Aufruf, die Stadt müsse Übernachtungsplätze zur Verfügung stellen. Mehrere Kirchen, etwa in Altona und in der aus dem Fernsehen bekannten Hafenkirche St. Pauli, stellten ihre Grünanlagen zur Verfügung. Auf den nicht-staatlichen Flächen kann die Polizei nicht einfach räumen. Das könnte weitere Demonstranten nach Hamburg locken, die bislang keinen Schlafplatz haben.

Dabei hatten Innenminister Thomas de Maizère (CDU) und Innensenator Andy Grote (SPD) am Dienstagnachmittag noch gemeinsam gewarnt, wer Zeltplätze zulasse, handle unverantwortlich. Der Senator wies darauf hin, dass zu den Organisatoren auch vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppen gehörten. Aktivisten des linken Kulturzentrums Rote Flora und der Gruppe Aktivistische Linke lehnten in mehreren Interviews und Stellungnahmen ausdrücklich ab, sich von Gewalt beim G20-Gipfel zu distanzieren. Andererseits räumte Grote ein, auch friedliche Demonstranten wollten zelten.

Unter politischen Druck geraten vor allem die Hamburger Grünen, die drei Senatoren stellen – darunter Justizsenator Till Steffen. Der kleinere Koalitionspartner von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) trägt das Sicherheitskonzept mit – nunmehr gegen die Stimmen von örtlicher Kirche und Kulturschaffenden. Die Hamburger Parteivorsitzende Anna Galina hatte allerdings von einem „gründlich misslungenen Start“ in die G20-Woche gesprochen, nachdem die Polizei im Elbpark Entenwerder Zelte eingerissen hatte, bevor die Demonstranten von einem gerichtlich bestätigten Verbot Kenntnis hatten.

Seitdem diskutiert die Stadt, ob sich die Polizei über die Justiz hinweggesetzt hat – obwohl das Gericht das Verbot von Schlafplätzen kurze Zeit später bestätigte. „Die Polizei hat ohne Rechtsgrundlage gehandelt“, sagte der Verfassungsrechtler und ehemalige CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Ulrich Karpen in einem am Mittwoch verbreiteten Interview mit der „Zeit“. Das Camp-Verbot sei „unverhältnismäßig“. Die Polizei wolle aus Furcht vor politischen Konsequenzen im Falle einer Eskalation auf „Nummer sicher“ gehen. Die Grünen äußerten sich vorsichtiger.


Das Alternativ-Image leidet

Landeschefin Galina kritisierte, die Polizei habe den Aufbau des Camps bewusst behindert, um einen für sie positiven Gerichtsbeschluss erwirken zu können. Die Politikerin ergänzte, sie halte Übernachtungsmöglichkeiten für richtig. Auch der grüne Justizsenator Till Steffen pflichtete ihr im „Hamburger Abendblatt“ bei: „Wir drei Senatoren teilen die Einschätzung unserer Parteivorsitzenden“, sagte er.

Das Problem: Die Gerichte ermöglichen zwar das Verbot von Übernachtungsplätzen, verlangen es aber nicht. Die Polizei könnte sie durchaus erlauben – wenn sie nur wollte. Stattdessen griff sie aber zum Teil auf die Grünflächenverordnung zurück, um sie zu verbieten. Aus polizeilicher Sicht ergibt das Sinn: Unübersichtliche Lager könnten als Rückzugsort für Gewalttäter gelten, die womöglich nur mit einer spektakulären Räumung während des Gipfels zu fassen wären. Zudem passen große Zeltlager nicht zur ausgerufenen Null-Toleranz-Strategie.

Politisch sind die Verbote heikler. Schließlich soll der Gipfel in der Zweimillionenstadt Weltoffenheit ausstrahlen. Und die Grüne Partei ist gewissermaßen in Protestcamps gezeugt worden – von den Protestlagern um die Frankfurter Startbahn West über Brockdorf bis hin zu Gorleben. Die Hamburger Grünen hielten besonders lang am alternativen Image fest. Noch bis 2012 nannten sie sich „Grün-Alternative Liste“ (GAL) beziehungsweise GALier. 

Im Scholz-Senat haben sie wenig Chancen, eignes alternatives Profil symbolträchtig sichtbar zu machen. Trotz grüner Regierungsbeteiligung gilt in Hamburg keine Umweltzone, lehnt der Senat Kompromisse mit den Umweltverbänden bei der Elbvertiefung ab, bewarb sich die Stadtpolitik um Olympia.

Das ist die Fortsetzung der Politik aus den vier Jahren zuvor, in der Scholz mit absoluter SPD-Mehrheit regierte. Für die Koalition gaben die Grünen ihre weit gediegenen Pläne für die Wiedereinführung einer Straßenbahn auf. Im Gegenzug erhielten sie ein paar Millionen für Radwege – und das inzwischen löchrige Versprechen, eine neue U-Bahn-Linie beschleunigt zu bauen.

Aus grüner Sicht war die Nachgiebigkeit eine Konsequenz aus der schwarz-grünen Koalition, die vier Jahre zuvor geplatzt war. Damals setzen die Grünen viele Themen um – von der Baureife für die Straßenbahnpläne bis zur Schulreform. Das desaströs zerstrittene Ende der Koalition, die beide Parteien in die Opposition verbannte, gilt auch als Folge der grünen Träume.

Die vor zwei Jahren gebildete rot-grüne Koalition ist deutlich anders. Bürgermeister Scholz hat klar das Sagen. Er hat schon in der SPD-Alleinregierung ab 2011 das reibungslose Funktionieren der Stadt zu seinem Markenkern gemacht. Neben dem Wohnungsbau gehört die Innenpolitik dazu. Zuletzt ließ er die Polizei gegen Straßendealer auf St. Pauli vorgehen und die Polizei aufrüsten. Schließlich begann die politische Karriere des Juristen als kurzzeitiger Innensenator in Hamburg und als Gegenspieler zum Rechtspopulisten Ronald Schill. Scholz hat daraus gelernt, dass die Wähler innenpolitische Konsequenz goutieren. Entsprechend will er einen reibungslos funktionierenden Gipfel sehen. Grote, der Scholz seinen Aufstieg zum Senator vor einem Jahr zu verdanken hat, ist dem verpflichtet.

Der Einsatz der Hamburger Grünen für Camps dürfte sich so auf einige Diskussionen vor einer Senatssitzung am Dienstag beschränken. Die einst alternative Partei entfernt sich so weiter vom recht großen linken Lager in der Stadt. Kurz vor der Bundestagswahl könnte das wichtige Stimmen kosten – zumal sich die Hamburger Linkspartei als Lautsprecher der Aktivisten bestätigt.

Zum leisen Kurs der Grünen passt die offizielle Veranstaltung der Partei zum G20-Gipfel: Am vergangenen Wochenende luden die Bundestagskandidatinnen der Partei zur beschaulichen Barkassenfahrt durch den Hafen – samt Erläuterungen sowohl zu den Vor- als auch den Nachteilen der Globalisierung. Kontrovers ist anders.

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