WirtschaftsWoche: Herr Bühler, überrascht Sie der Skandal um den BND?
Bernd Oliver Bühler: Das ist eine schwierige Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Spionage hat es immer gegeben. Spionage wird es immer geben. Sie ist und bleibt ein notwendiges Mittel. Auch die Spionage unter Freunden und gegen Freunde. Der BND ist ein notwendiger Bestandteil der Sicherheitspolitik und der Sicherheitsarchitektur dieses Landes, er ist aber nur so gut, wie die Regierung, die ihn führt. Es verlangt sehr viel Überzeugung, um sein Leben in den Dienst seines Landes zu stellen. Ich denke, dass der BND und seine Mitarbeiter gerade jetzt unsere Unterstützung brauchen und unseren Respekt verdienen. Viele der Mitarbeiter in den Diensten sind hochqualifiziert und motiviert von ihrer Aufgabe. Gleichzeitig ist es so, dass sie in der freien Wirtschaft weit höhere Gehälter und auch mehr Anerkennung erlangen könnten. Erfolge werden bei den Diensten nur selten nach außen kommuniziert, was gleichzeitig dazu führt, dass Einzelerfolge, wie die Verhaftung der Sauerland-Gruppe, oft bis zum Erbrechen massiv nach außen kommuniziert werden. Im Wort Geheimdienst steckt nun mal das Wort „Geheim“.
Zur Person
Bernd Oliver Bühler ist Dipl.-Wirtschaftswissenschafter der Universität Poitiers sowie Absolvent der Ecole de Guerre Econonomique, der Schule für Wirtschaftskrieg, einer französischen Elite-Ausbildung für Sicherheitsspezialisten mit Sitz in Paris. Er ist Dozent für „sicheres Managment“ sowie geschäftsführender Gesellschafter der JANUS Consulting GmbH.
Bühler war geladener Spezialist des NSA-Untersuchungsausschusses im NRW-Landtag.
Jetzt brechen Sie aber eine Lanze für den BND. Also doch kein Skandal?
Doch! Aber nicht da, wo Sie vielleicht vermuten. Der Skandal ist doch, dass die letzten Bundesregierungen, egal welcher Partei sie angehören, das Thema Wirtschaftsschutz sträflich vernachlässigt haben. Frei nach dem Motto: die Wirtschaft schützt sich in erster Linie selbst. Das war lange das Credo, das der BND sowie die Ämter für Verfassungsschutz wie eine Monstranz vor sich hertragen mussten. Firmen wie Menschen haben das gleiche Recht auf Sicherheit.
Und wie bewerten Sie den Interessenwunsch der Amerikaner?
Als nicht überraschend. Die angelsächsischen Staaten waren schon gut darin, mittels Geheimdiplomatie, zu der auch die Spionage gehört, ihre Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Und spätestens seit dem Echelon-Bericht des Europa-Parlamentes unter der Federführung des SPD-Politikers und damaligem Vize-Präsidenten Gerhard Karl Schmid kann und sollte niemand mehr aus der politischen Führungsriege behaupten dürfen, dass er von nichts gewusst habe!
Der neue Skandal um BND und NSA
Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA jahrelang geholfen haben, Ziele auch in Europa auszuforschen. Es geht dabei um große Datenmengen, die der BND an seiner Abhörstation in Bad Aibling abgreift und die die NSA nach europäischen Unternehmen und Politikern durchforstet haben soll. In Bad Aibling belauscht der BND internationale Satellitenkommunikation, angeblich vor allem aus Krisenregionen wie Afghanistan oder Somalia. Es ist aber nicht ganz klar, was dort tatsächlich alles abgefischt wird.
BND und NSA vereinbarten vor Jahren, dass die Amerikaner nach bestimmten Suchmerkmalen (Selektoren) Zugriff auf diese Daten bekommen - zur Terrorbekämpfung und unter Einhaltung deutscher Interessen. Die Amerikaner hielten sich aber wohl nicht an diese Vereinbarung, sondern nutzten die Daten keineswegs nur für den Kampf gegen den Terror, sondern möglicherweise auch zur Wirtschaftsspionage und für andere Zwecke, die deutschen und europäischen Interessen zuwiderlaufen.
Um aus den großen Datenmengen relevante Informationen herauszusuchen und die Kommunikation von Verdächtigen aufzuspüren, filtern sie diese nach bestimmten Suchmerkmalen - zum Beispiel E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern. Die NSA hat dem BND massenhaft solche Suchkriterien übermittelt, damit dieser die Daten aus Bad Aibling danach maschinell durchkämmt und anschließend an die USA weitergibt. Wie viele Selektoren die Amerikaner geliefert haben, ist unklar. Die Rede ist von mehreren Hunderttausend oder mehr als einer Million. Sie werden ständig überarbeitet und ergänzt.
Der BND prüft nach eigenen Angaben durchaus, was die NSA an Daten anfragt und welche Suchkriterien sie übermittelt. Und der Geheimdienst beteuert, dass er Selektoren, die deutschen Interessen widersprechen, aussortiert und keine Daten dazu liefert. Angesichts der riesigen Mengen an Daten und Selektoren sind die Prozesse aber computerbasiert. Der Grünen-Obmann im NSA-Ausschuss, Konstantin von Notz, geht deshalb davon aus, dass alles grundsätzlich automatisiert und ohne Prüfung der einzelnen Suchmerkmale abläuft. „Dieses System ist unkontrollierbar“, sagt er. „Und der BND wusste das auch.“
Der BND bemerkte schon 2005, dass die NSA in dem Wust an abgehörten Daten auch nach europäischen Zielen suchte - nach den Firmen EADS und Eurocopter und nach französischen Behörden. Nach den Enthüllungen der NSA-Affäre 2013 schaute sich der BND die Suchanfragen noch genauer an und stieß auf rund 2000 kritische Selektoren der NSA. Insgesamt hat der BND über die Jahre rund 40 000 solcher Suchkriterien der USA abgelehnt. Nach eigenen Angaben fischten die BND-Mitarbeiter diese heraus, gaben den Amerikanern dazu also keine Daten.
Doch die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner, glaubt nicht an diese Version. „Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Selektoren auch eingesetzt wurde.“ Wen genau die Amerikaner alles ausforschen wollten und bei welchen Stellen ihnen das in welchem Umfang gelang, ist noch unklar. Das Kanzleramt erfuhr angeblich erst vor ein paar Wochen von der ganzen Sache - nachdem der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte.
Aus meiner Sicht wurde in vielen Punkten, was die Wahrung deutscher Interessen angeht, schamvoll in Berlin auf Regierungs- und Oppositionsbank zur Seite geschaut. Und für die Dienste, insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz, war am Ende des Tages nun mal am leichtesten, immer zuerst auf Russen und Chinesen einzuprügeln. Nicht aus reiner Überzeugung, sondern auf Grund politischer Vorgaben und gleichzeitig mangelnder Rückendeckung.
Den Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ist die Problematik des notwendigen 360-Grad-Blickes bestens bekannt. Bis in die Politik und in die Führungsebene des Amtes scheint dies aber noch nicht durchgedrungen zu sein. Ich bin somit gespannt auf den nächsten öffentlichen Auftritt vom Präsidenten des BfVs, Hans-Georg Maaßen. Schließlich hat er in der Vergangenheit gerne verkündet, dass ihm keinerlei Erkenntnisse vorliegen, die die These einer Wirtschaftsspionage aus dem Westen stützen könnten. Tatsächlich sei bis zum heutigen Tage in ganz Europa kein einziger Fall amerikanischer oder britischer Wirtschaftsspionage nachgewiesen. Nun, kein Wunder, wenn man nur auf den Osten schaut!
"Die Sicherheit eines Unternehmens fängt in den eigenen vier Wänden an"
Also geben Sie der Bundesregierung in Berlin die Schuld?
Nun, auf jeden Fall liegt dort die politische Verantwortung für den Scherbenhaufen. Dieser spielt sich auf drei Ebenen ab.
Erstens auf der transatlantischen und auch deutsch-britischen Achse. Auf die Reaktionen bin ich jetzt schon gespannt. Schließlich soll auch schon der britische Geheimdienst dieses Frühjahr gedroht haben, alle Kontakte zu seinen deutschen Partnern abzubrechen.
Zweitens auf der europäischen Ebene: Sollten wirklich Regierungsvertreter und auch Unternehmen aus Nachbarländern wie Frankreich und Österreich ausspioniert worden sein, so ist dies unabhängig von der Frage ein eklatanter Missbrauch an Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
Drittens auf der innerdeutschen Ebene. Bevölkerung und Wirtschaft stellen sich zu Recht die Frage, wie handlungsfähig Berlin überhaupt noch ist. Schließlich wäre spätestens mit der Snowden-Affäre eine gute Gelegenheit gewesen, endlich einmal auch „reinen Tisch“ zu machen. Auch, was die Nachrichtendienste angeht. Erinnert man sich daran, wie heftig damals Kanzleramtsminister Pofalla (CDU) das Ende der NSA-Affäre verkündete und auch der damalige Innenminister Friedrich (CSU) erzählte, dass seiner Ansicht nach das Ausmaß der NSA-Spähaffäre übertrieben werde, müssen sich beide doch die Frage gefallen lassen, auf welcher Grundlage sie gemeinsam ihre Weisheiten verkündeten.
Was werden Ihrer Meinung nach die nächsten Schritte sein?
Da muss ich differenzieren zwischen dem, was ich erwarte, und dem, was ich mir erhoffe. Was ich erwarte, ist, dass Berlin nicht zur Aufklärung dieser Angelegenheit beitragen wird, und es im Gegenzug ein paar gut abgefundene Bauernopfer geben wird. Das heißt dann aber konkret, dass wir in spätestens zwei Jahren erneut über einen weiteren Skandal reden werden.
Eine weitere Schulddebatte ist weder hilfreich noch zielführend! Deswegen erhoffe ich mir, dass diese Affäre schnell und transparent ohne Rücksicht auf irgendwelche personellen Konsequenzen zu Ende gebracht wird. Das wird aber nur gelingen, wenn schnellstmöglich ein neuer Masterplan mit neuen Strukturen, Aufgaben, Kompetenzen, Rechten, Mitteln und Befugnissen für die Dienste ausgearbeitet und umgesetzt wird. Die Sicherheitsarchitektur ist seit dem Kalten Krieg nicht mehr modifiziert worden und entspricht auch nicht mehr den Sicherheitsanforderungen unserer modernen, globalisierten Gesellschaft.
Was heißt das konkret für die Unternehmen?
Dass die Unternehmen und die Spitzenverbände der Industrie weiterhin gut beraten sind, auf eine Zusammenarbeit zu pochen, aktuell aber weder darauf zu zählen, noch zu hoffen. Die Sicherheit eines Unternehmens fängt auch weiterhin mit der Verantwortung in den eigenen vier Wänden an. Sicherheit muss so gestaltet sein, dass sie die Mitarbeiter einbindet, Werte und Geschäftsprozesse schützt und sich betriebswirtschaftlich rechnet! Unabhängig davon, welche Angreifer aus Ost oder West von außen oder innen drohen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert aktuell Aufklärung aus Berlin.
Das ist auch ein richtiger Schritt! Aber der BDI, der sehr für das TIPP-Abkommen mit den USA wirbt, sollte die gleiche Offenheit auch von amerikanischer Seite einfordern. Beide, Washington und Berlin sind hier in der Pflicht. Es kann keine wirkliche Aufklärung geben, wenn beide Seiten nicht offen und ehrlich bemüht sind, Vertrauen wieder herzustellen.
Deutschland schützen oder Deutschland überwachen?
Sie sind Absolvent der Schule für Wirtschaftskrieg in Paris. Was lernten Sie dort?
Nun, in Frankreich und auch in den USA ist die Erkenntnis schon seit langem gereift, dass es weder immer fair noch friedlich in der Wirtschaft zugeht. Erfolg muss geschützt werden. Das bedarf manchmal eben besonderer Anstrengungen. Und Feinde gibt es nun mal auch in der Wirtschaft und im Geschäftsleben. Denken Sie doch nur an den Begriff der „feindlichen Übernahme“.
Airbus plant angeblich die Erstattung einer Anzeige wegen Industriespionage.
Soweit muss man gar nicht gehen. Ich kann Tom Enders, den CEO von AIRBUS aber sehr gut verstehen, wenn er verärgert sein sollte. Er hat den Konzern weit nach vorne gebracht, jahrelang für Bonn und Berlin gearbeitet und für die transatlantische Achse im Rahmen seiner Tätigkeit als Präsident der Atlantik-Brücke geworben. Es wäre nur natürlich, wenn er sich jetzt von falschen Freunden umzingelt sieht. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine solche Anzeige Aussicht auf Erfolg hätte. Der Schaden ist eh schon passiert und ich sehe nicht, dass hier irgendjemand vor Gericht gezerrt werden wird. Ohne politische Unterstützung aus Berlin oder von seinen Freunden aus der Atlantik-Brücke hätte eine solche Vorgehensweise alle Anzeichen eines Kampfes gegen Windmühlen.
Wie beurteilen Sie Herrn Snowden?
Ich bin ihm noch nie persönlich begegnet, deswegen tue ich mir mit einer Bewertung schwer. Für die einen ist er nur ein Held, für die anderen nur ein Verräter. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischenliegen und die Geschichte wird darüber befinden. Fakt ist, dass dank seiner Enthüllungen eine lange auch von der Öffentlichkeit nicht beachtete notwendige Debatte losgetreten wurde.
Die Frage ist nicht, ob wir den transatlantischen Dialog, auch in Geheimdienstfragen brauchen. Wir dürfen jetzt nicht auf die Idee kommen, das Kind mit dem Bade ausschütten zu wollen, sondern müssen uns fragen, wie dieser rechts- und auftragssicher im gegenseitigen Interesse und Nutzen gestaltet werden kann.
Die Frage ist auch nicht, ob wir die Verfassungsschutzbehörden und den BND brauchen, sondern was deren konkrete Aufgabe ist: Deutschland zu schützen oder Deutschland zu überwachen.
Aber geht nicht eine stärkere Überwachung mit der Einschränkung von Freiheitsrechten einher?
Es gibt inzwischen erste politische Vertreter, die ernsthaft meinen, dass wir anfangen müssten, temporär Freiheiten einzuschränken, oder auf diese zu verzichten. In diesem Fall wende ich mich wieder dem „Land der Freiheit“ zu. Deren Gründungsvater Benjamin Franklin vertrat die Meinung, dass Menschen, die Freiheit aufgeben, um Sicherheit zu gewinnen, am Ende beides verlieren werden. Freiheit verteidigt man nicht, indem man sie reduziert. Der Freiheitsgedanke kann somit zwangsläufig nur ein absoluter sein.