Sigmar Gabriel Der Unbeugsame

Nach einem turbulenten Wochenende für die SPD tritt Sigmar Gabriel am Montag ans Mikrofon. Die Botschaft des Parteichefs: Hier bin ich und hier bleibe ich. Doch hinter den Kulissen wird heftig spekuliert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
„Focus“-Herausgeber Markwort hatte am Sonntag über Gabriels Rücktritt spekuliert. Quelle: AP

Der Parteichef zeichnet das ganz große Bild. „Der Hunger nach Gerechtigkeit treibt die Menschen an“, er hebe ganze Regime aus den Angeln, ruft Sigmar Gabriel in den Saal. Später nähert er sich den Niederungen des politischen Tagesgeschäftes, den drängenden Fragen in der Renten- und Steuerpolitik. Ein gute halbe Stunde nimmt sich der SPD-Vorsitzende an diesem Vormittag Zeit. Er redet unaufgeregt und konzentriert. Die Frage allerdings, die die Sozialdemokraten in diesen Tagen besonders umtreibt, spricht er nicht an: Bleibt Gabriel SPD-Chef?

Alle Sozialdemokraten von Rang und Namen sind gekommen, um dem Vorsitzenden zuzuhören: Hannelore Kraft, Ralf Stegner, Olaf Scholz, Thorsten Schäfer-Gümbel, Manuela Schwesig, Hubertus Heil, Wolfgang Thierse und Gesine Schwan haben sich im Atrium des Willy-Brandt-Hauses ganz nach vorne gesetzt, es geht schließlich um eine ur-sozialdemokratisches Thema: Die Partei hat für diesen Montagmorgen zur „Wertekonferenz Gerechtigkeit“ eingeladen. Es sollen die inhaltlichen Weichen gestellt werden für den Bundestagswahlkampf.

Doch mit ihrem geballten Auftreten will die Parteispitze auch signalisieren: Sigmar, wir stehen hinter Dir! Diese demonstrative Geschlossenheit ist auch bitter nötig: Am Sonntag hatte eine Bemerkung aus Bayern über einen angeblich unmittelbar bevorstehenden Rücktritt Gabriels die Partei tief verunsichert. Nun also wollen die Sozialdemokraten zum Tagesgeschäft übergehen, so als sei nie etwas gewesen.

„Es ist ein Alarm-Signal“

Noch wenige Minuten vor Beginn der Veranstaltung bemühen sich führende Genossen, die Debatte über den Vorsitzenden tot zu treten. Das sei alles „dummes Zeug“, was da aus Bayern nach Berlin gedrungen sei, sagt Hannelore Kraft. Der Parteivorstand stehe geschlossen hinter Gabriel, ergänzt die NRW-Landeschefin.

Auslöser der Debatte um Gabriel war „Focus“-Herausgeber Helmut Markwort. Er habe aus „zuverlässiger Quelle“ gehört, dass Gabriel am Montag zurücktreten wolle, hatte Markwort am Sonntag in einer TV-Sendung des Bayerischen Rundfunks gesagt. Auch die Nachfolge sei bereits geklärt: „Olaf Scholz wird der neue Vorsitzende der SPD, der Hamburger Bürgermeister, und als Spitzenkandidat, als Kanzlerkandidat, ist der Schulz im Gespräch, Martin Schulz vom Europaparlament. Also Schulz und Scholz statt Gabriel.“

Die Konkurrenz für Gabriel ist gering

Am Rande der Veranstaltung dreht sich alles um die von Markwort losgetretene Personaldebatte. Es seien da „Bluthunde“ unterwegs, die in den Medien eine Stimmung schürten, die mit der Realität nichts zu tun habe, sagt ein alter Genosse. Doch ist das wirklich so einfach? Spiegelt die Personaldebatte nicht vielmehr die tiefe Verunsicherung wider, die die Partei belastet? Tatsächlich steckt die SPD in ihrer tiefsten Krise. Meinungsforscher sehen die Partei nur noch bei Werten um die 20 Prozent. So schlecht sah es noch nie aus. Erst Mitte März endeten zwei von drei Landtagswahlen für die SPD im Desaster. Da liegen Spekulationen über einen Rücktritt des Parteichefs nicht fern.

Gabriel selbst hat das Thema intern bereits mehrfach offen angesprochen. Der Parteichef zieht dann gerne Parallelen zur Welt des Fußballs: Wenn die Ergebnisse miserabel seien, stelle sich natürlich die Frage, ob der Trainer ausgetauscht werden müsse.

Allerdings ist ein neuer Trainer schwer zu finden, das ist Gabriels großer Vorteil. Die wenigen Spitzengenossen, die überhaupt in Betracht kommen, haben kein Interesse daran, von der Position des SPD-Chefs aus in eine aktuell aussichtslose Kanzlerkandidatur gedrängt zu werden. Sie laufen sich lieber für 2021 warm, statt sich im Wahlkampf für die Bundestagswahl 2017 verschleißen zu lassen.

Daher läuft im Moment noch alles darauf hinaus, dass Gabriel Parteichef bleibt und die Kanzlerkandidatur übernimmt. Seinen Anspruch auf die Kandidatur hat er bereits angemeldet. Berichte, denen zufolge über den Kandidaten erst nach den NRW-Wahlen im Frühjahr 2017 entschieden werden soll, wurden in Gabriels Umfeld nicht bestätigt. Und auch in dieser Frage wurde er am Montag von der Parteispitze aufgemuntert: Sie würde schon gerne etwas früher wissen, wer sie im Wahlkampf unterstützen werde, sagte NRW-Ministerpräsident Kraft. Soll heißen: Sigmar, ich setze auf Deine Hilfe.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%