Wollen wir, dass die Eingewanderten zu Objekten von Programmen der Ministerialapparate und Sozialbehörden „gegen Armut und Ausgrenzung“ werden? Wollen wir, dass ihr erster Eindruck von Deutschland der ist, dass man hier von staatlichen Nannys an die Hand genommen wird, die dafür sorgen, dass man keinen Schritt ohne die Hilfe eines verbeamteten Vormunds tun muss?
Das Ergebnis einer solchen Politik dürfte das Gegenteil geglückter Integration sein.
Für eine akute Nothilfe ist man dankbar. Aber dauerhaft von fremder Hilfe abhängige Menschen sind in der Regel nicht besonders dankbar, sondern eher frustriert bis wütend. Dies ist in allen Sozialstaaten zu beobachten. Es wird jedoch von den meisten Sozialpolitikern standhaft ignoriert. Vielleicht, weil Helfen ein Gefühl der Überlegenheit über den Hilfsbedürftigen erzeugt.
Flüchtlinge: Das ist der Integrationskatalog der CDU
Für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sollen Praktika mit Abweichungen vom Mindestlohn auf mindestens sechs Monate verlängert werden, um einen Berufseinstieg zu erleichtern. Schon heute sind Abstriche von den 8,50 Euro Mindestlohn pro Stunde bei betrieblichen Einstiegsqualifizierungen von bis zu zwölf Monaten möglich. Die CDU-Spitze verzichtete nach Protest der SPD und des Arbeitnehmerflügels der Union darauf, anerkannte Flüchtlinge mit Langzeitarbeitslosen gleichzustellen. Auch dann wäre eine Abweichung vom Mindestlohn von bis zu sechs Monaten möglich gewesen.
Quelle: CDU-Bundesvorstand / Reuters, Stand: 15.02.2016
Eine Anstellung in der Leiharbeitsbranche soll nach drei statt derzeit erst 15 Monaten möglich sein. Bei gemeinnützigen Organisationen soll stärker dafür geworben werden, Flüchtlinge in den von den Jobcentern geförderten Ein-Euro-Jobs zu beschäftigen.
Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge und sogenannte subsidiär Schutzberechtigte sollen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht nur erhalten, wenn sie über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung nachweisen, keine Straftaten begangen haben und ihren Lebensunterhalt sichern können. Auch der Familiennachzug soll von der erfolgreichen Teilnahme an Integrationskursen abhängig gemacht werden.
Die Hürde für eine frühe Teilnahme an Integrationskursen oder Förderprogrammen der Arbeitsagenturen noch vor Abschluss des Asylverfahrens soll höhergelegt werden. Laut dem im Oktober beschlossenen Asylpaket I reicht dafür bisher eine "gute Bleibeperspektive" aus. Diese wird bei Asylsuchenden aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von über 50 Prozent angenommen. Laut CDU-Papier soll "künftig eine 'sehr gute Bleibeperspektive' entscheidend sein, weil wir insbesondere Syrern und Irakern helfen wollen".
Die CDU strebt Gesetze von Bund und Ländern an, in denen verbindliche Integrationsvereinbarungen festgelegt werden sollen. In den Aufnahmeeinrichtungen sollen ein Basissprachkurs und ein Kurs zu Grundregeln des Zusammenlebens Pflicht sein und mit einem Abschlusstest versehen werden.
Asylberechtigten, anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten soll ihr Wohnsitz zugewiesen werden, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft sichern können. Ausnahmen sollen möglich sein, wenn die Betroffenen am Wohnort ihrer Wahl einen Arbeitsplatz und eine eigene Wohnung nachweisen können.
Die CDU will prüfen lassen, ob die Schulpflicht für Flüchtlinge ohne Schulabschluss über das bisher geltende Alter von 18 Jahren hinausgehen soll. Im Entwurf stand noch eine angestrebte Altersgrenze von 25 Jahren.
Erfolgreiche Einwanderungsländer helfen weniger
Erfolgreiche englischsprachige Einwanderungsländer haben in der Regel sehr viel schwächer ausgebaute Sozialsysteme und sehr viel höhere Grenzzäune als die Vollkasko-Einwanderungsländer in Mitteleuropa. Sie helfen nicht allen, die kommen, sondern wählen sich diejenigen aus, die nicht viel Hilfe beanspruchen. Das Ergebnis sind dann im Idealfall Einwanderer als freie, selbstverantwortliche Bürger und nicht als fordernde Bittsteller.
Die kontinentaleuropäische Sozialdemokratie hat damit offensichtlich ein Problem. Das kann man historisch nachvollziehen. Ihr Werk, also die klassische kontinentaleuropäische Sozialpolitik, entstand auf der Basis starker, ethnisch weitgehend homogener Nichteinwanderungsstaaten. Die Solidargemeinschaft war auf den Nationalstaat zugeschnitten. Eine europäische Alternative dazu ist bis heute nicht in Sicht.
Die von Sozialdemokraten und radikaleren Linken hochgehaltene Parole der Internationalität blieb, sofern es um konkrete Sozialpolitik geht, letztlich Folklore. Gelebte Solidarität war nie, wie Che Guevara fantasierte, „die Zärtlichkeit der Völker“. Die tatsächliche Internationalisierung und Globalisierung ging von der Wirtschaft aus. Es gibt einen Weltmarkt, aber kein Weltsozialsystem.
Dennoch: Das internationalistische Ideal offener Grenzen nicht nur für Güter und Touristen, sondern auch für Einwanderungswillige hat sich in der Sozialdemokratie – und nicht nur dort – als moralischer Imperativ durchgesetzt. Sozialdemokratische Politik steht damit, wie Gabriels Vorstoß besonders deutlich zeigt, vor einem vermutlich unauflösbaren Widerspruch: zwischen der Sozialstaatspolitik, die sie für ihre verbliebenen einheimischen Wähler machen muss, und dem Ideal der offenen Grenzen, das in ihrem Funktionärsmilieu gesinnungsethisch fest verankert ist.
Die Unvereinbarkeit der beiden Ziele betrifft natürlich alle etablierten Parteien, insofern sie seit Jahrzehnten sozialdemokratisiert sind. Doch die SPD eben ganz besonders, da sowohl Solidarität als auch Internationalität ihre historischen Markenkerne sind.
Allen mehr oder weniger sozialdemokratisierten Parteien steht das für sie ausgesprochen unbequeme Eingeständnis bevor: Ein Sozialstaat ist in einer Welt des eklatanten Wohlstandsgefälles nur im Schutzraum eines restriktiven Einwanderungsregimes möglich, das die Zusammensetzung der Solidargemeinschaft effektiv kontrolliert.
Sich für den Erhalt eines angemessenen Systems der sozialen Sicherung bei Akzeptanz der Realitäten der Einwanderung und Verzicht auf althergebrachte Ideologie stark zu machen, wäre ein lohnendes Ziel für verantwortungsbewusste Sozialdemokraten. Diejenigen, die derzeit in der Bundesregierung sitzen, scheinen die Demonstration reiner Gesinnungsethik vorzuziehen.