Die massenhaften Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht verlangen nach Überzeugung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière nach einer harten Antwort des Rechtsstaates. Derart abscheuliche Taten dürften sich nicht wiederholen, sagte der CDU-Politiker am Montag als Zeuge im Untersuchungsausschuss Silvesternacht des Düsseldorfer Landtags.
Das Gremium arbeitet seit acht Monaten die zahlreichen Übergriffe auf Frauen auf, die Silvester am Kölner Hauptbahnhof ausgeraubt, sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt worden waren. Tatverdächtig sind vor allem Männer aus dem nordafrikanisch-arabischen Raum.
Vor dem Hintergrund sei es unverständlich, dass der Bundesrat bislang nicht zugestimmt habe, Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, kritisierte de Maizière. So könnten mutmaßliche Täter ihre Asylverfahren weitertreiben, um ihren Aufenthalt zu verlängern.
Flüchtlinge dürften keinesfalls unter Generalverdacht gestellt werden. „Gleichwohl können wir nicht tolerieren, dass junge Männer, die mit einer völlig anderen Sozialisierung aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen, die Regeln in unserem Land nicht akzeptieren“, bekräftigte der Minister. „Sie müssen strafrechtlich verfolgt werden und - wenn immer möglich - Deutschland verlassen.“
De Maizière wurde zur Rolle der Bundespolizei vernommen, die für das Bahnhofsgelände zuständig ist. Zahlreiche Zeugenaussagen der vergangenen Monate hatten ein Zuständigkeitswirrwarr und Kommunikationspannen zwischen Landes- und Bundespolizei, städtischen Behörden und Bahn-Verantwortlichen offenbart.
Hintergründe zu den Übergriffen in Köln
Bisher erstaunlich wenig. Zeugen und Opfer berichten - laut Polizei übereinstimmend - von Männern, die „dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum“ stammen. So hat es der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers auf der Pressekonferenz am Montag formuliert. Demnach soll eine Gruppe von 1000 Männern auf dem Domplatz gewesen sein, die meisten von ihnen zwischen 15 und 35. In kleineren Gruppen sollen sie Frauen umzingelt, sexuell belästigt und ausgeraubt haben, in einem Fall auch vergewaltigt. 90 Anzeigen gibt es bis Dienstagmittag. „Wir haben noch keine konkreten Täterhinweise“, sagt Heidemarie Wiehler von der Direktion Kriminalität.
Von den sexuellen Übergriffen und Diebstählen erfuhr die Polizei Wurm zufolge größtenteils im Laufe der Silvesternacht durch die wachsende Zahl von Anzeigen. Die Taten selbst hätten die anwesenden Polizeibeamten nicht beobachtet, weil diese sich in einer riesigen und unübersichtlichen Menschenmenge abgespielt hätten. Festnahmen habe es keine gegeben, weil Zeugen und Opfer die Täter im Getümmel nicht wiedererkannt hätten.
Die Bundespolizei, die für den Bahnhof zuständig ist, war nach Angaben von Wolfgang Wurm, Präsident der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin, mit 70 Kräften vor Ort. Die Kölner Polizei hatte im Bereich Hauptbahnhof und Dom rund 140 Beamte im Einsatz. Einige davon wurden aus anderen Teilen der Innenstadt zum Bahnhof geschickt, als dort die Lage eskalierte. „Für den Einsatz, den wir voraussehen konnten, waren wir sehr gut aufgestellt“, sagt Wurm. Wie sich der Einsatz dann tatsächlich entwickelt habe, sei eine „völlig neue Erfahrung“ und „für uns nicht absehbar“ gewesen: „Dafür hätten wir sicherlich ein wenig mehr Kräfte benötigt.“
Viele Menschen melden sich zu Wort, die der Polizei vorwerfen, mit der Situation überfordert gewesen zu sein und die Lage falsch eingeschätzt zu haben. Der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet kritisiert auf Twitter: „Erneut unglaubliche Fehleinschätzung der Kölner Polizei.“ Dabei bezieht er sich auf die Einsatzbilanz am Neujahrsmorgen, in der von „ausgelassener Stimmung“, „weitgehend friedlichen Feiern“ und einer „entspannten Einsatzlage“ die Rede war.
Polizeipräsident Albers räumte bei der Pressekonferenz am Dienstag Fehler ein: „Diese erste Auskunft war falsch.“ Sven Lehmann, Vorsitzender der NRW-Grünen, fordert: „Aufgeklärt werden muss auch, warum die Polizei in Köln erneut von einer aggressiv auftretenden Menschenmenge derart überrascht wurde.“ Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer fragt in der Zeitschrift „Emma“: „Wie ist es erklärbar, dass Hunderte von Frauen unter den Augen eines so massiven Polizeiaufgebotes sexuell belästigt werden?“
Augenzeugen und Opfer berichten in mehreren Medien von ihren Erlebnissen. „Ich hatte das Gefühl, die Polizei und die Sicherheitsleute der Bahn waren nicht nur überfordert, sondern hatten auch Angst, die Lage könnte eskalieren.“ (zitiert der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Frau aus Overath, die mit ihrer Freundin in der Umgebung des Doms gleich mehrfach von vier bis sechs jungen Männern umkreist worden sein soll).
„Die Stimmung war aggressiv. Plötzlich wurde ich von hinten - ohne dass mein Freund es sah - von mehreren Männern angegrapscht. Ich kann sagen, dass es mehrere waren, da zeitgleich Hände an meinen Brüsten und an meinem Po waren.“(Berichtet eine 40-Jährige dem WDR, die in der Silvesternacht mit ihrem Freund auf dem Weg nach Troisdorf gewesen sein soll)
Vor allem im Hinblick auf den bevorstehenden Karneval kündigt die Polizei an, die Einsatzkräfte bei Großveranstaltungen weiter aufzustocken, auch mit Zivilbeamten. Polizeipräsident Albers zufolge soll auch geprüft werden, ob bestimmte Bereiche stärker mit Videokameras überwacht werden. Über weitere Maßnahmen wollen Polizei und Stadt gemeinsam nachdenken.
Als 156. Zeuge bestätigte der Bundesinnenminister, was nahezu alle anderen Zeugen in den bisherigen 50 Sitzungen ähnlich formuliert haben: „Die Ereignisse waren nicht vorhersehbar. Derartige sexuelle Übergriffe gab es in der Vergangenheit in Deutschland in dieser Form nicht.“ Aus den ersten drei Meldungen, die am Neujahrstag von der Polizei in NRW kamen, habe das Bundesinnenministerium nicht annähernd die Brisanz der Ereignisse herauslesen können, die schließlich von nationaler Bedeutung gewesen seien, kritisierte er.
In Übereinstimmung mit dem zuvor vernommenen Bundespolizeichef Dieter Romann wies de Maizière darauf hin, dass mit 67 Bundespolizisten bereits weit mehr Beamte für die Kölner Silvesternacht abgestellt worden waren als in den Vorjahren. „Im Nachhinein ist nicht zu bestreiten, dass der Kräfte-Einsatz nicht ausreichend war“, sagte der Minister. „Die Dimension war aber nicht vorhersehbar.“
Bislang liegen zu Straftaten in der Kölner Silvesternacht rund 1200 Anzeigen liegen vor, davon etwa 500 wegen Sexualdelikten. Laut einer Zwischenbilanz des Amtsgerichts Köln sei bislang in 19 Verfahren gegen 22 Angeklagte verhandelt worden, berichtete de Maizière. „Elf Verfahren laufen noch.“ Künftig könnten mehr Videokameras und mehr Licht im öffentlichen Raum ebenso wie Schulterkameras für Polizisten helfen, die Beweislage zu verbessern, schlug er vor.
Die Bund-Länder-Projektgruppe „Silvester“ habe ihren Abschlussbericht bereits fertiggestellt, teilte der Minister mit. Details würden allerdings erst berichtet, nachdem sich die Innenministerkonferenz damit befasst habe. Im Untersuchungsausschuss war de Maizière der letzte prominente Zeuge bevor die Beweisaufnahme im Dezember abgeschlossen wird. Der Bericht soll im April präsentiert werden.