"Wer heute den Euro rettet, schlachtet morgen Ihr Sparschwein", "Die Rente war sicher. Zur D-Mark Zeit" – oder "Systemrelevant sind nur die Bürger. Sonst niemand" – mit diesen Slogans auf ihren Wahlplakaten will die "Alternative für Deutschland" (AfD) bundesweit um Stimmen werben. Auch wenn es Plakate zur Inneren Sicherheit und zur Energiewende gibt: Drei Viertel aller öffentlichen Botschaften drehen sich um die Gemeinschaftswährung und die Rettungspolitik der Bundesregierung. Die politischen Gegner schließen daraus: Die AfD ist eine Ein-Themen-Partei. Außer ihrer Euro-Kritik habe sie wenig zu bieten. Stimmt das?
Auf Facebook und Twitter wird im Zusammenhang mit den Euro-Gegnern viel über den Euro, Griechenland und die Europäische Union diskutiert. In den vergangenen 30 Tagen haben wir – mit dem Tool "So-wählt-das-Netz" wertet die WirtschaftsWoche gemeinsam mit dem Datenanalysespezialisten Attensity während des Bundestagswahlkampfs die Social Media Plattformen aus – 2830 Tweets und Facebook-Posts mit den Schlagwörtern "Euro", "Europapolitik", "Griechenland" und "Europäische Union" im Zusammenhang mit den Parteineulingen registriert. Alle vier Begriffe befinden sich in den Top 10 der meistdiskutierten AfD-Themen, ganz vorne liegt – natürlich – der Euro.
Gut die Hälfte der allein 1147 Beiträge zum Euro wurden wohlwollend für die AfD verfasst. Sprich: Die Haltung der "Alternative für Deutschland" in diesem Zusammenhang wurde gelobt. Ähnliches gilt für die Griechenland- und EU-Kommentare auf Twitter und Facebook. Eine Ein-Themen-Partei ist die AfD im Web 2.0 allerdings nicht. Auch über die Lage der Partei in den Wahlumfragen (knapp 300 Beiträge), die Späh-Affäre durch den amerikanischen Geheimdienst (über 250 Beiträge), die Innere Sicherheit (100 Kommentare) und die Wahlplakate wird im Zusammenhang mit den Euro-Kritikern gesprochen.
In den vergangenen sieben Tagen waren die Wahlplakate der "Alternative" sogar der meistdiskutierte Begriff, noch vor dem Euro. 395 Beiträge haben wir rund um die vorgestellten Slogans der Partei registriert. 110 Tweets und Kommentare lobten die Parteiwerbung, 164 Beiträge fielen negativ aus.
Vor allem ein Plakat von Michaela Merz, Bundesbeauftragte für Netzpolitik und Mitglied im Bundesvorstand der AfD, geriet in den Blickpunkt. Sie wechselte vor Kurzem von der FDP zu den Parteineulingen und nennt sich auf einem Werbebanner "Mitgründerin des deutschen Internet" - eine unglückliche Formulierung, die seit Anfang August im Netz heftig diskutiert wurde. Merz, eine Software-Entwicklerin, hat zusammen mit einem Kollegen zwar Mitte der 1990er den Onlinedienst germany.net gegründet. Das aber ist keine deutsche Version des Internets gewesen, sondern ein Angebot zum kostenlosen Surfen im deutschen Teil des Internets.
Die AfD kommt im Netz gut davon
Das sorgte für Kritik ("albern") und Häme ("Hahaha. Pruuust") bei den Usern. Auch bei den Themen Migration und Jugend kommt die Partei schlecht weg.
Insgesamt wurde über die AfD in der vergangenen Woche am sechsmeisten diskutiert (alle im Bundestag vertretenen Parteien plus die Piraten liegen vor der "Alternative für Deutschland"). Immerhin: Der Anteil der positiven Tweets und Kommentare an der Summe der Beiträge ist höher als bei vielen politischen Gegnern. Auf einen positiven Beitrag kommen im Durchschnitt 2,19 negative Posts. Nur bei der FDP (1 : 1,98) und der Piratenpartei (1 : 0,8; die Piraten werden als einzige Partei öfter positiv als negativ kommentiert) ist die Quote besser. Am schlechtesten kommt die SPD weg. Auf einen positiven Beitrag kommen im Schnitt 2,45 negative Kommentare.
Die Anti-Euro-Thesen der „Alternative für Deutschland“
Wir fordern eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes. Deutschland braucht den Euro nicht. Anderen Ländern schadet der Euro. (Quelle: Parteiprogramm)
Wir fordern die Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde. Die Wiedereinführung der DM darf kein Tabu sein.
Wir fordern eine Änderung der Europäischen Verträge, um jedem Staat ein Ausscheiden aus dem Euro zu ermöglichen. Jedes Volk muss demokratisch über seine Währung entscheiden dürfen.
Wir fordern, dass Deutschland dieses Austrittsrecht aus dem Euro erzwingt, indem es weitere Hilfskredite des ESM mit seinem Veto blockiert.
Wir fordern, dass die Kosten der sogenannten Rettungspolitik nicht vom Steuerzahler getragen werden. Banken, Hedge-Fonds und private Großanleger sind die Nutznießer dieser Politik. Sie müssen zuerst dafür geradestehen.
Wir fordern, dass hoffnungslos überschuldete Staaten wie Griechenland durch einen Schuldenschnitt entschuldet werden. Banken müssen ihre Verluste selbst tragen oder zu Lasten ihrer privaten Großgläubiger stabilisiert werden.
Wir fordern ein sofortiges Verbot des Ankaufs von Schrottpapieren durch die Europäische Zentralbank. Inflation darf nicht die Ersparnisse der Bürger aufzehren.
Zwar ist die Tonalität bei den Piraten gut – anders als die AfD kann sie im Web 2.0 aber nicht den Vorwurf einer Ein-Themen-Partei entkräften. Die internet-affinen Themen dominieren die Diskussionen deutlich. Beiträge zu "Prism" (über 5600 Beiträge), "NSA" (knapp 2100 Beiträge) und "Überwachung" (3019 Posts) sind unangefochten die meistdiskutierten Themen. Außer Debatten über die Wahlplakate der Piraten (2028 Vermerke) sticht kein weiteres Thema hervor und wird über 1000 Mal diskutiert. Zum Vergleich: Der Euro wird im Zusammenhang mit den Piraten nur 202 Mal diskutiert, über Griechenland wird gar nur 19 Mal gesprochen.
Auch bei der SPD ist die Schuldenkrise durch die Späh-Affäre in der öffentlichen Diskussion verdrängt worden. Der meistdiskutierte Begriff hier ist "Prism" (2646 Tweets und Posts), vor "Wahlkampf" und "USA". Bei der Union und der FDP hingegen spielt die Euro-Diskussion eine zentrale Rolle.
Die wichtigsten Köpfe in der AfD
Professor, Gründer des Plenums der Ökonomen
Der 51-Jährige wurde bei Gründung der AfD ihr Sprecher. Der Vater von fünf Kindern lehrt Makroökonomie an der Universität Hamburg. Über 300 Wissenschaftler schlossen sich seinem „Plenum der Ökonomen“ an, das als Netzplattform Wirtschaft erklärt. Nach 33 Jahren trat Lucke Ende 2011 aus der CDU aus. Er trat als Spitzendkandidat der AfD für die Europawahlen an und wechselte im Sommer 2014 nach Brüssel.
Anwältin, Gründerin der Zivilen Koalition
Die Juristin, die zunächst 2012 Mitglied der FDP war, ist seit 2013 Mitglied der AfD. Sie wird dem rechtskonservativen Flügel der Partei zugerechnet. Sie engagiert sich neben der Euro-Rettung vor allem für eine christlich-konservative Familienpolitik. Am 25. Januar 2014 wurde von Storch vom Bundesparteitag der AfD in Aschaffenburg mit 142 von 282 Stimmen auf Platz vier der Liste zur Europawahl gewählt - und zog anschließend ins Europaparlament ein.
Emeritierter Professor für Volkswirtschaft
Im Kampf gegen den Euro hat er die größte Erfahrung: 1998 klagte er gegen dessen Einführung vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011 gegen die Rettungsmaßnahmen. Der 72-Jährige, einst Assistent von Alfred Müller-Armack, führt den wissenschaftlichen Beirat der AfD – so etwas hat keine andere Partei.
Promovierte Chemikerin und Unternehmerin
Nach dem Studium gründete die Mutter von vier Kindern 2007 ihr eigenes Chemieunternehmen Purinvent in Leipzig – mit dem Patent auf ein umweltfreundliches Dichtmittel für Reifen. Sie fürchtet, ihre demokratischen Ideale würden „auf einem ideologisierten EU-Altar geopfert“. Seit 2013 ist sie eine von drei Parteisprechern und Vorsitzende der AfD Sachsen
Journalist, Publizist, Altsprachler und Historiker
Bei den bürgerlichen Blättern – 21 Jahre im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen“, sieben Jahre als politischer Chefkorrespondent der „Welt“ – erwarb er sich den Ruf als konservativer Vordenker. Sozial-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind auch im Sprecheramt der AfD seine Schwerpunkte.
Beamter, Politiker, Herausgeber, Publizist
Der promovierte Jurist leitete die hessische Staatskanzlei unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann. Dann Geschäftsführer und Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ in Potsdam. Führte die brandenburgische AfD bei den Landtagswahlen zu einem überraschend starken Ergebnis und führt nun die Fraktion im Landtag an.
Wirtschaftliche Themen spielen in den Debatten im Internet kaum eine Rolle. Über den Solidaritätszuschlag diskutieren die User am häufigsten im Zusammenhang mit der FDP (552 Nennungen) und der Union (501 Beiträge). Für Linke und Piraten spielt das Thema gar keine nennenswerte Rolle. Bei der AfD (53 Beiträge) ist der Soli ein Randthema.
Was heißt die Auswertung für die Wahlchancen der AfD? Die Schuldenkrise, keine Frage, ist das Hauptthema der neuen Partei. Mit ihren Lösungsansätzen kann die "Alternative" im Netz punkten. Doch je mehr die Krise aus dem Bewusstsein der Bürger verschwindet (die sinkende Anzahl der Tweets und Posts zu diesem Thema zeigt, das dies der Fall ist), desto wichtiger ist es für die AfD auch auf anderen Feldern Kompetenz zu beweisen. Nur wenn die Partei auch in der Energie- und Arbeitsmarktpolitik, der Inneren Sicherheit oder auch in Fragen zur Stärkung der Mitbestimmung der Bürger in politischen Fragen ein Angebot an die Wähler hat, hat sie Chancen, in den Bundestag einzuziehen.
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