Soldaten-Einsatz im Inland Vorbild Frankreich?

Frankreich und Belgien haben gegen die Terror-Bedrohung das Militär mobilisiert. Deutschland vertraut auf die Polizei, so will es das Grundgesetz. In der Union wird dennoch diskutiert, wie die Truppe helfen könnte.

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Soldaten der Bundeswehreinheit Kommando Spezialkräfte (KSK): Experten im Nahkampf, Sprengen, Fallschirmspringen, Abseilen aus Hubschraubern und Überleben unter Extrembedingungen. Quelle: dpa

Berlin Nach dem Anschlag auf die Satire-Zeitung „Charlie Hebdo“ ringt die EU um eine einheitliche Sicherheitsstrategie. Länder wie Frankreich und Belgien haben bereits Nägel mit Köpfen gemacht.

Die französische Regierung mobilisierte mehr als 10.000 Soldaten, um gefährdete Einrichtungen im ganzen Land vor islamistischem Terror zu schützen. Belgien setzt nach einem vereitelten Anschlag auf Polizisten ebenfalls auf das Militär. Gefährdete Orte wie das Jüdische Museum in der Brüsseler Innenstadt werden mit Soldaten geschützt. Auch das Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission im Brüsseler Europaviertel wird inzwischen von Soldaten bewacht. In dem Gebäude arbeiten Kommissionschef Jean-Claude Juncker, seine 27 Kommissare und deren engste Mitarbeiter.

Die Bundesregierung hat mehrere Gesetze in Vorbereitung, um Terrorakte von Islamisten in Deutschland und anderswo zu verhindern. Dazu zählt etwa, gewaltbereiten Extremisten länger den Personalausweis zu entziehen als bisher geplant. Auch sollen die Vorbereitungen zur Ausreise in ein Terrorcamp unter Strafe gestellt werden. Und es soll ein neuer Straftatbestand Terrorismusfinanzierung eingeführt werden. Von einem Einsatz der Bundeswehr war bisher nicht die Rede – bis heute.

In der Unions-Bundestagsfraktion wird inzwischen diskutiert, auch die Bundeswehr gegen die wachsende Gefahr durch Dschihadisten einzusetzen. „Es ist selbstverständlich, dass der Staat bei herausragenden Gefährdungen seiner Bürgerinnen und Bürger alle ihm zulässigerweise zur Verfügung stehenden Mittel nutzen muss, um diese Gefahren abzuwehren. Ob dies auch den Einsatz der Bundeswehr im Inneren umfasst, kann nur im konkreten Fall entschieden werden“, sagte der innenpolitische Sprecher der Union-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Mayer betonte, dass ein Einsatz der Bundeswehr „unter engen Voraussetzungen auch im Falle einer terroristischen Bedrohung in Betracht kommen“ könne - auf der Grundlage des Grundgesetzes und der dazu ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.


„Denkverbote sind genauso blöd wie Panik und Aktionismus“

Der Fraktionsvize der Union im Bundestag, Thomas Strobl, sieht einen möglichen Anti-Terror-Einsatz deutscher Soldaten nicht als vorrangige Maßnahme an. „Wir sollten die jetzt notwendige Diskussion um mehr innere Sicherheit nicht auf die Bundeswehr verkürzen“, sagte der CDU-Bundesvize dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Unsere Sicherheitsbehörden sind insgesamt gut aufgestellt, aber wir müssen unsere Polizei in die Lage versetzen, die Bürger in Deutschland umfassend zu schützen.“ Und wenn sich die Sicherheitslage verschärfe, müsse eben nachgelegt werden. „Denkverbote sind genauso blöd wie Panik und Aktionismus“, sagte Strobl.

Der CDU-Politiker sprach sich für eine bessere personelle Ausstattung und mehr Befugnisse für die Polizei aus. „Wir müssen herausfinden, wer die Islamisten und ihre Hintermänner sind“, sagte Strobl. „Daher brauchen wir eine intensive Überwachung solcher Milieus, und dabei kann die Speicherung von Kommunikationsdaten betreffender Personen helfen.“ Zudem werde die Bekämpfung von Terrorismus und schwersten Straftaten im Internet immer wichtiger.

Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl verwies auf den Grundgesetz-Artikel 87a. „Danach darf die Bundeswehr im Innern so gut wie nicht eingesetzt werden, jedenfalls nicht zur Terrorbekämpfung in der derzeitigen Bedrohungslage“, sagte Uhl dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

In dem Gesetzes-Passus heißt es zwar, dass zur „Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“ unter bestimmten Voraussetzungen Streitkräfte „zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer“ eingesetzt werden könne. Uhl ist dagegen der Überzeugung, dass eine solche „Gefahr“ nicht vorliege.


Einsätze zur Luftüberwachung im Inland denkbar

Experten äußerten sich ebenfalls skeptisch, schlossen aber einen Einsatz deutscher Soldaten gegen Terroristen im Inland auch nicht aus. „Derzeit sehe ich nicht die Notwendigkeit darüber nachzudenken, es sei denn, die Kapazitäten von Bundes- und Länderpolizeien wären erschöpft“, sagte der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, Joachim Krause, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Krause wies zudem darauf hin, dass im Gegensatz zu Belgien in Deutschland ein Einsatz der Armee verfassungsrechtlich geregelt sei. Danach dürfe die Bundeswehr nur dann in Marsch gesetzt werden, wenn der Bundestag mit qualifizierter Mehrheit, in diesem Fall einer Zwei-Drittel-Mehrheit, den Spannungsfall oder gar den Verteidigungsfall festgestellt habe.

Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, meint: „Die einzigen Ausnahmen - abgesehen von Ausnahmesituationen mit katastrophischem Ausmaß wie zum Beispiel der Detonation einer radioaktiv angereicherten Bombe - wären die Luftüberwachung von Objekten oder Demonstrationen, sollten konkrete Hinweise dafür vorliegen, dass solche Objekte aus der Luft angegriffen werden sollten.“

Masala nah dabei Bezug auf die letzten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dem Thema. Im Sommer 2012 hatte das Gericht erklärt, dass ein Abschuss grundsätzlich nicht erlaubt werden könne, in Fällen aber, in denen Anschläge von „katastrophischem Ausmaß“ drohten, ausnahmsweise gestattet werden könnte. Allerdings nur, wenn sich in dem gekaperten Flugzeug keine unbeteiligten Zivilisten befänden. Ansonsten sei nur gestattet, die Maschine abzudrängen oder mit Warnschüssen zur Umkehr zu bewegen.

Ein Jahr später hatten die Karlsruher Richter zudem erklärt, dass die Entscheidung über einen Abschuss nur das Bundeskabinett als Kollegialorgan treffen könne und man sie deshalb nicht an einen einzelnen Minister delegieren dürfe. Alles andere verstoße gegen den Artikel 35 des Grundgesetzes, der den Einsatz von Sicherheitsbehörden und Bundeswehr in Katastrophenfällen regelt.


Deutsche Elitesoldaten nur für Auslandseinsätze vorgesehen

Unabhängig davon ist Masala der Überzeugung, dass die Bundeswehr im Zuge von Anti-Terror-Maßnahmen im Inland nicht gebraucht werde. „Das große Spektrum von möglichen Maßnahmen, die im Anti-Terror-Kampf ergriffen werden müssen, sollte und kann von der Polizei und dem Bundesgrenzschutz abgedeckt werden“, sagte er. Für „extreme“ Situationen, etwa eine Geiselbefreiung, stünden überdies auch die Elitepolizisten der GSG 9 zur Verfügung.

Die Bundeswehr, so Masala, würde daher „keinerlei zusätzliche Kapazitäten in diesen Maßnahmen beisteuern können, die nicht von den inländischen Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt werden“.

Allerdings verfügt die Bundeswehr auch über das sogenannte Kommando Spezialkräfte (KSK). Die 1996 gegründete Elitetruppe ist jedoch auf militärische Sonderaufträge im Ausland wie die Festnahme von Kriegsverbrechern und Terroristen oder die Befreiung deutscher Staatsangehöriger aus der Geiselhaft spezialisiert.

Die Kommandosoldaten werden unter anderem im Nahkampf, Sprengen, Fallschirmspringen, Abseilen aus Hubschraubern und Überleben unter Extrembedingungen in Gebirge, Dschungel oder Wüste ausgebildet.

Für die Europäische Union steht für eine schlagkräftigere Anti-Terror-Politik das Militär ohnehin nicht im Vordergrund. Die Außenminister der 28 Mitgliedstaaten berieten am Montag in Brüssel vielmehr, wie die Zusammenarbeit mit Ländern der islamischen Welt verbessert werden kann. Beispielsweise soll es darum gehen, Terroristen dauerhaft Einnahmequellen wie Ölgeschäfte zu nehmen. An den Beratungen nahm auch ein Vertreter der Arabischen Liga teil. Die Ergebnisse werden am 12. Februar bei einem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs besprochen.

Diskutiert wurde auch, wie die EU-Staaten besser zusammenarbeiten können, etwa indem die jeweiligen Geheimdienste Informationen austauschen. Im Gespräch ist das seit Jahren wegen Datenschutzbedenken umstrittene europäische Flugpassagierregister. Damit soll die Beobachtung von Extremisten verbessert werden, die aus den Kriegsgebieten im Irak und in Syrien nach Europa zurückkehren.

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