Jamaika-Quartett startet erste gemeinsame Sondierung
Nach einem konstruktiven Auftakt der Jamaika-Sondierungen wollen CDU, CSU, FDP und Grüne nächste Woche in eine vertiefende Diskussion einsteigen. FDP-Chef Christian Lindner sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin nach den Beratungen vom Freitagabend: „Es war eine Runde mit 48 politischen Kurzreferaten. Man musste zwischen den Zeilen lesen, um für die vertieften Debatten neue Ideen zu gewinnen. Aber immerhin ist nun der Klärungsprozess in Gang gekommen, der jetzt Tempo aufnehmen darf.“
CSU-Chef Horst Seehofer sah eine Basis für weitere Gespräche. „Ich würde nicht sagen, dass wir jetzt näher gekommen sind. Aber es haben sich auch keine Hürden jetzt aufgebaut um weiterzugehen“, sagte der bayerische Ministerpräsident. Man wisse nun noch genauer, wie Positionen begründet würden. Als nächstes gehe es „Schritt für Schritt in immer tiefere Debatten“.
Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl zeigte sich ebenfalls guten Mutes, dass eine Jamaika-Koalition gelingen kann. Zwar stünden „harte und intensive“ Wochen bevor. „Aber ich habe auch einen Optimismus, dass wir zu einem Ergebnis kommen werden“, sagte Strobl der Deutschen Presse-Agentur. Es habe sich bei dem Gespräch „nichts ergeben, was ein Zusammenkommen unmöglich macht.“
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte in einem Video, das die Grünen online stellten, die Jamaika-Parteien könnten einen Schwerpunkt aufs Soziale legen. Dabei habe es „eine relativ breite Zustimmung“ gegeben. So sei klar, „die soziale Frage muss für diese Koalition im Mittelpunkt stehen“. Besonders große Probleme erwartet Göring-Eckardt in den Gesprächen beim Thema Klimaschutz.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Wilfried Kretschmann (Grüne) sagte nach dem Treffen lediglich: „Ich habe gute und interessante Schlüsse gezogen.“ Welche genau, sagte er nicht. Dennoch dürfte es auf allen Seiten Signale des Einigungswillens gegeben haben.
Wie CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nach der ersten Runde sagte, sollen kommende Woche zunächst die Schwerpunkt-Themen Haushalt, Steuern, Finanzen und Europa beraten werden. Anschließend soll es um die Themen Klima, Umwelt, Energie, Bildung, Forschung und Digitales sowie das „große Thema“ Flucht, Migration und Integration gehen.
Worüber FDP und Grüne streiten werden
Die Grünen wollen der Autoindustrie nicht nur das Ende des Diesels, sondern den kompletten Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2030 vorschreiben. Cem Özdemir hatte das vor den Wahlen als Bedingung für eine Koalition genannt.Noch deutlicher als die Unionsparteien hat sich die FDP aber gegen jegliche „staatliche Investitionslenkung“ ausgesprochen.
Die Grünen wollen erneuerbare Energien noch schneller als bislang ausbauen und zügig raus aus der Verbrennung von Kohle. Die FDP hat auch für die Energiewirtschaft die Stärkung des freien Wettbewerbs gefordert und glauben laut Wahlprogramm, "dass auf fossile Energieträger auf absehbare Zeit nicht verzichtet werden kann".
In der Steuerpolitik gibt es mehrere Gegensätze. Die FDP will deutliche Steuerentlastungen. Vor allem will sie den Solidaritätszuschlag schnell komplett abschaffen. Die Grünen wollen mit einer Steuerreform vor allem für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Die FDP will am Ehegattensplitting festhalten, die Grünen nicht.
Die Grünen wollen die von der SPD eingeführte Mietpreisbremse noch verschärfen. Die FDP dagegen will sie abschaffen, weil sie nicht die Preise, sondern vor allem die Investoren ausbremse. Sie will dagegen die Zersplitterung der bau- und wohnungspolitischen Kompetenzen in verschiedenen Ministerien beenden.
Die FDP will strengere Regeln und automatische Sanktionen für Länder der Eurozone, die die Stabilitätskriterien verletzen. jegliche Ausweitung der gemeinsamen Haftung für Schulden eines Staates lehnt sie ab. Die Grünen wollen die aktuellen Euro-Rettungsmechanismen in einen Europäischen Währungsfonds umwandeln, der durch das EU-Parlament kontrolliert wird. Die Europapolitik könnte der entscheidende Streitpunkt innerhalb der künftigen Regierung werden.
Die FDP will sich beim Zeitplan für die Jamaika-Sondierungen nicht unter Druck setzen lassen. „Wir nehmen uns so viel Zeit, wie wir benötigen“, sagte Fraktionsvize Katja Suding. „Da geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“ Die Gesprächsatmosphäre sei „gut und konstruktiv, durchaus gelöst“ gewesen.
Die Generalsekretäre der vier Parteien hatten schon vor dem Freitagstreffen zwölf Themenblöcke aufgestellt, über die in den kommenden Wochen in unterschiedlicher Zusammensetzung beraten werden soll. Es wird mit langwierigen und schwierigen Gesprächen gerechnet. Zu den kritischen Themen gehören neben der Flüchtlingspolitik der weitere Kurs in Europa, die Energie- und Klimapolitik und steuerliche Entlastungen.
CDU-Generalsekretär Peter Tauber zog nach dem Treffen eine gemischte Bilanz der ersten fünfstündigen Sondierung. Es habe Themen gegeben, wo ein großer Konsens, eine Übereinstimmung zu spüren gewesen sei, etwa bei der Entwicklungspolitik. Bei anderen Themen wie etwa bei Sicherheitsfragen sei aber noch viel zu tun.
Ähnlich äußerte sich FDP-Generalsekretärin Nicola Beer. Es seien vor allem die Vorstellungen der einzelnen Parteien vorgetragen worden, wie sie in den Wahlprogrammen stünden. Es habe keine vertiefte Diskussion gegeben. Über die Themen Finanzen und Haushalt müsse noch intensiv gesprochen werden.
Die Grünen machten erste Fortschritte aus. Der Austausch sei eine „Generaldebatte“ gewesen „mit einigen Geistesblitzen, mit ein paar dunklen Wolken, aber der Donner ist ausgeblieben“, sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner.
Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht warnte Union, FDP und Grüne, durch zähe Sondierungsgespräche und Missachtung sozialer Missstände die Demokratieverdrossenheit vieler Bürger zu schüren. Es zeichneten sich schon jetzt schleppende Verhandlungen ab, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Samstag). „Einig sind sich die Jamaika-Koalitionäre aber fatalerweise darin, die bisherige Politik der sozialen Spaltung der Gesellschaft fortzusetzen.“ Das sei politisch fahrlässig.
Die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grüne wollen sich am 24., 26. und 30. Oktober treffen sowie am 1. und 2. November. Nach Erwartung von CDU-Vize Julia Klöckner werden Union, FDP und Grüne bis zum 17. oder 18. November ein sogenanntes Sondierungspapier mit ersten Ergebnissen erstellen.