Sozialbeiträge Kein Platz für teure Wahlgeschenke

Steigende Sozialversicherungsbeiträge reißen tiefe Löcher in die Haushaltskassen von Familien, zeigt eine neue IW-Studie. Alles nur Schwarzmalerei, wie das Arbeitsministerium sagt?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Künftig weniger auf dem Konto? Quelle: dpa

Berlin Die kritische Schwelle bei den Sozialversicherungsbeiträgen liegt bei 40 Prozent. Ein Anstieg über diese Marke hinaus würde Beschäftigung und Wachstum stark gefährden, warnt der Arbeitgeberverband BDA. Ein Anstieg würde sich aber auch ganz deutlich im Portemonnaie der Beschäftigten niederschlagen. Das hat jetzt das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Studie für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ausgerechnet.

Weil Anfang des nächsten Jahrzehnts die Babyboomer nach und nach in den Ruhestand wechseln, werden die Sozialversicherungsbeiträge für die junge Generation steigen. Klettert die Gesamtbelastung aus Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung von heute 39,95 Prozent bis 2030 auf 43 Prozent, müssten Durchschnittsverdiener empfindliche Einkommenseinbußen hinnehmen. Nach den IW-Berechnungen hätte ein Doppelverdiener-Paar mit zwei Kindern und Durchschnittsverdienst dann 1881 Euro weniger zur Verfügung. Ist nur einer der Partner sozialversicherungspflichtig beschäftigt, sinkt das durchschnittliche Nettoeinkommen um 1213 Euro. Bei einem Single ohne Kinder schlagen die höheren Beiträge mit 962 Euro zu Buche.

Dabei sei ein Gesamtbeitragssatz von 43 Prozent im Jahr 2030 noch vorsichtig gerechnet, sagte IW-Forscher und Studienautor Jochen Pimpertz. Am stärksten belastet würde in diesem Szenario ein Doppelverdiener-Paar ohne Kinder, das dann wegen der höheren Beitragsbelastung 1967 Euro weniger zur Verfügung hätte. „Es ist höchste Zeit, das Bewusstsein in Politik und Bevölkerung dafür zu schärfen, welche Kostenbelastungen auf uns zukommen“, betonte INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr.

Stiege der Beitragssatz bis 2040 auf 45,5 Prozent, wären Einkommenseinbußen zwischen 1328 Euro für eine Alleinerziehende mit zwei Kindern und 3.509 Euro für ein kinderloses Doppelverdiener-Paar die Folge. Auch IW-Forscher Pimpertz sieht die Ergebnisse deshalb als Orientierung für die Bewertung künftiger Wirtschafts- und Sozialpolitik: „Zusätzliche Leistungsversprechen führen unmittelbar zu steigenden Finanzierungserfordernissen, die den ohnehin stark geforderten Altersgruppen aufgebürdet werden.“

So hat das IW in einem Szenario auch berechnet, wie sich eine „expansive Ausgabenpolitik“ auswirken würde, etwa die von der Politik diskutierte Fixierung des gesetzlichen Rentenniveaus bei 46 Prozent. In diesem Fall gehen die Forscher für 2030 bereits von einem Gesamtsozialversicherungsbeitrag von 44,5 Prozent aus. In diesem Szenario steigen die Nettoeinkommensverluste für Durchschnittsverdiener auf bis zu 2.981 Euro im Jahr 2030. Auch hier wäre das Doppelverdiener-Paar ohne Kinder am stärksten betroffen.


Demografischen Wandel abfedern, nicht verstärken

Die IW-Analyse zeigt auch, dass sich der Einkommenseffekt durch steigende Sozialbeiträge bei den Geringverdienern stärker niederschlägt als bei den Besserverdienern. So kommt ein kinderloses Doppelverdiener-Paar aus der oberen Hälfte der Einkommenspyramide heute auf ein Durchschnittseinkommen von 68.204 Euro. Ein Sozialversicherungsbeitrag von 43 Prozent würde ihr Einkommen um 2.486 Euro oder 3,6 Prozent schmälern. Das gleiche Paar in der unteren Hälfte der Einkommenspyramide verdient im Durchschnitt 37.514 Euro. Die Zusatzbelastung macht hier 1459 Euro oder 3,9 Prozent aus. Das liegt daran, dass Besserverdiener von Beitragsbemessungsgrenzen profitieren.

Für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird, zeigen die Berechnungen ganz klar, dass es neue teure Wahlversprechen nicht geben darf. „Wir brauchen jetzt eine Politik, die den demografischen Wandel abfedert und ihn nicht verstärkt“, forderte Pellengahr. Statt wie die CSU eine Ausweitung der Mütterrente zu versprechen, solle die Politik lieber die Rente mit 63 rückgängig machen und die Ausgaben der Kranken- und Pflegeversicherung bremsen. Langfristig werde man aber auch nicht darum herumkommen, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln, sagte der INSM-Geschäftsführer.

Kritik an der IW-Untersuchung übte das Bundesarbeitsministerium: „Die heute vorgestellte Studie fokussiert einseitig auf die Kosten der Sozialversicherung und ignoriert, dass wir in Deutschland verlässliche Renten und eine gute Versorgung bei Krankheit und Pflege brauchen“, teilte das von Andrea Nahles (SPD) geführte Ressort mit. Die Simulation der künftigen Haushaltseinkommen ignoriere zudem, dass auch künftig die Löhne und andere Einkommen steigen werden. „Steigende Beitragssätze führen daher in der Simulation unmittelbar zu sinkenden Nettoeinkommen, was aber keineswegs so sein muss.“

Richtig sei aber, dass der demografische Wandel die sozialen Sicherungssysteme vor erhebliche Herausforderungen stellt. Deshalb sei in der Rentenversicherung eine doppelte Haltelinie erforderlich, beim Rentenniveau und beim Beitragssatz. Das von Nahles vorgelegte Gesamtkonzept zur Alterssicherung beinhalte zudem einen Demografiezuschuss aus Steuermitteln. Angesichts des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen müsse auch über eine Rückkehr zur Beitragsparität nachgedacht werden, um die Belastung nicht einseitig den Arbeitnehmern aufzubürden, schreibt das Ministerium.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%