Soziale Mobilität Vom Aufstieg und Fall der deutschen Millionäre

Deutschlands Reiche bilden keinen geschlossenen Club – doch die Aufsteiger kommen selten von ganz unten und meistens aus eher durchschnittlichen Unternehmerfamilien.

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Karl-Erivan Haub Quelle: AP

Dieter Schwarz steht heute, mit 73 Jahren, auf Platz zwei der Liste der reichsten Deutschen. Arm war der Besitzer der Discounter-Kette Lidl wahrscheinlich nie, aber von traumhaftem Reichtum war die längste Zeit seines Lebens auch keine Rede. 1977 übernahm er nach dem Tod des Vaters die alleinige Führung einer regionalen Supermarktkette mit 30 Filialen. In ihrer aktuellen Rangliste aller Milliardäre der Welt präsentiert die amerikanische Wirtschaftszeitschrift "Forbes" den Lebensmittelhändler aus Heilbronn mit einem Vermögen von 15 Milliarden Euro auf Platz 29 – und unter den 58 Deutschen auf der Liste rangierte nur der heute 93-jährige Karl Albrecht mit 20 Milliarden Euro vor dem schwäbischen Konkurrenten.

Auch wenn die Zahlen mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sind, ist der Vergleich über die Jahrzehnte durchaus erhellend – zumal das 1990 vom amerikanischen Nachrichtenmagazin "Fortune" erstellte Ranking in Methodik und Präsentation der aktuellen "Forbes"-Liste entspricht. Und der Vergleich zwischen 1990 und 2013 lehrt einiges über die Frage, ob Reiche immer reich bleiben, ob Arme oder mittelmäßig Reiche aufsteigen können – und umgekehrt.

Der Reichtum bleibt nicht immer

Von den sechs deutschen Spitzenreitern des Jahres 1990 sind vier verschwunden. Nach dem Tod des Waschmittelindustriellen Konrad Henkel 1999 wurde sein Vermögen von drei Milliarden Dollar so unter den Erben verteilt, dass keiner der Erben mehr zu den Milliardären zählt. Der Milliardenerbe Karl Friedrich Flick vermachte das Vermögen seiner österreichischen Familie.

Noch 1990 gehörte Grete Schickedanz, die Witwe des Gründers des Quelle-Versandhandels, laut "Fortune" mit einem Vermögen von zwei Milliarden Dollar zu den 100 reichsten Menschen der Welt. Doch von diesem Reichtum ist kaum etwas übrig geblieben. Gretes Tochter und Alleinerbin Madeleine bewies wenig Geschick im Umgang mit ihrem Vermögen. Sie brachte den kriselnden Versandhandel 1999 in den Karstadt- und späteren Arcandor-Konzern ein. Nach dessen Pleite behauptet Madeleine, nunmehr völlig vermögenslos ihr Dasein fristen zu müssen.

Nicht jede vermögende Familie ist gleich

Die bitteren Tränen der Madeleine Schickedanz sind jedoch nicht der Branche geschuldet, in der ihre Familie reich geworden ist. Die Konkurrenz aus Hamburg, die Versandhändler der Familie Otto, besaßen 1990 mit 1,3 Milliarden Dollar sogar 700 Millionen weniger als die alte Frau Schickedanz. Heute dagegen stehen Michael Otto und seine Familie mit 14,2 Milliarden Dollar auf Platz fünf der deutschen Milliardärs-Charts.

Nicht jede vermögende Familie entspricht dem Bild vom mittelständischen Unternehmer, der mit einer Mischung aus Wagemut, Fleiß und einem Quäntchen Glück reich geworden ist. Die erfolgreichste deutsche Milliardärsfamilie, mit Beteiligungen an BMW, in der Pharmabranche und früher auch in ganz anderen Unternehmen, die Familie Quandt, hält ihren Reichtum in Form von Aktien.

Die Milliarden der Familien

Deutschlands mächtigste Clans
Platz 16: SchleckerBranche: Drogerie Umsatz: 6,6 Mrd. Euro Mitarbeiter: 47.000 Quelle: AP
Platz 15: Würth GruppeBranche: Befestigungs- und Montagetechnik Umsatz: 8,6 Mrd. Euro Mitarbeiter: 65.000 Quelle: AP
Platz 14: Rethmann-GruppeBranche: Wasser- und Kreislaufwirtschaft, Logistik, Bioindustrie Umsatz: 9,1 Mrd. Euro Mitarbeiter: 42.000 Quelle: dpa/dpaweb
Platz 13: OetkerBranche: Lebensmittel, Finanzwesen, Schifffahrt Umsatz: 9,5 Mrd. Euro Mitarbeiter: 25.000 Quelle: dpa
Platz 12: INA-Schaeffler (Continental)Branche: Autozulieferer Umsatz: 9,5 Mrd. Euro Mitarbeiter: 68.000 Die Übernahme des deutlich größeren Konkurrenten stürzte das Unternehmen aus Herzogenaurach 2009 in eine existenzielle Krise. Ein Kompromiss mit den kreditgebenden Banken sicherte das Überleben. Trotz des operativ gut laufenden Geschäfts bleiben Unsicherheiten wegen der nach wie vor hohen Verschuldung. Quelle: AP
Platz 11: Maxingvest (Tchibo)Branche: Konsumgüter Umsatz: 9,6 Mrd. Euro Mitarbeiter: 32.000 Quelle: dpa/dpaweb
Platz 10: TengelmannBranche: Einzelhandel Umsatz: 11,3 Mrd. Euro Mitarbeiter: 80.000 Quelle: AP

Johanna Quandt galt schon 1990 mit einem Vermögen von vier Milliarden Dollar als reichste Frau in Deutschland. Heute verteilt sich das beeindruckend angewachsene Vermögen auf drei Familienmitglieder: Johanna mit 8,2 Milliarden Euro belegt Platz sieben in Deutschland, ihr Sohn Stefan Quandt liegt mit 9,2 Milliarden Euro einen Platz vor ihr und dessen Schwester Susanne Klatten mit 11,1 Milliarden Euro auf Platz vier.

Zusammengerechnet bringen es diese Quandts mit knapp 29 Milliarden Euro auf Platz zwei der deutschen Familien hinter den beiden Zweigen des Aldi-Imperiums, die gemeinsam 34,7 Milliarden Euro besitzen. Dabei hatten die Albrechts 1990 gemeinsam mit vergleichsweise bescheidenen 1,2 Milliarden Dollar noch auf Platz neun gelegen.

Vermögensanstiege sind kaum nachvollziehbar

Kann der normal verdienende Anleger aus dem relativen Erfolg oder Misserfolg der Superreichen etwas lernen? Das ist schwer, schon weil fast keiner weiß, was die meisten Reichen mit dem Geld gemacht haben, das nicht in ihre Firmen geflossen ist – ausgegeben, gestiftet, in andere Anlageformen investiert? Kaum eine Angabe ist da vollständig. Die Quandts zum Beispiel haben ihr Vermögen, in Dollar gerechnet, in den 23 Jahren, Kaufkraftverlust berücksichtigt, mehr als verfünffacht. Aufs Jahr gerechnet, ergibt das eine ansehnliche Steigerung.

Ein toller Erfolg, es sei denn, man vergleicht Familie BMW mit dem gigantischen Vermögenszuwachs der Lebensmittelhändler Albrecht und Schwarz. Liegt das an deren notorischer Sparsamkeit, an Investitionen außerhalb des Kerngeschäfts oder ganz einfach an Glück und unternehmerischer Tüchtigkeit?

Der Aufstieg von Dieter Schwarz

Es gibt kaum seriöse Forschung über Familien, die es in diesem Land zu besonderem Reichtum gebracht haben. "Wir wissen viel mehr über Armut in Deutschland als über Reichtum", gibt der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann zu, der seit Jahren über die soziale Mobilität der Deutschen forscht. Bei den Superreichen müssen einzelne Fallgeschichten die statistischen Analysen ersetzen. Sie haben allerdings auch den Vorzug größerer Anschaulichkeit.

Das Lidl-Imperium in Zahlen

Wie im Fall von Dieter Schwarz: Der ist nicht vom Tellerwäscher, Obstkistenstapler oder auch Diplomkaufmann zum zweitreichsten Deutschen aufgestiegen, sondern startete seine Karriere als Erbe eines mittelständischen Unternehmens, wie es Zehntausende in Deutschland gibt: Der Vater Josef Schwarz trat 1930 als Komplementär in eine Südfrüchte Großhandlung Lidl & Co. in Heilbronn ein und eröffnete 1968 seinen ersten Supermarkt. Nach dem Tod des Vaters übernahm der heutige Milliardär das überschaubare Erbe, gründete ein SB-Warenhaus nach dem anderen und expandierte nach dem Mauerfall 1990 in raschem Tempo erst an vielen ostdeutschen Standorten, anschließend in zahlreichen Ländern Ost- und Südosteuropas.

Die meisten Reichen halten sich

Die Branche allein ist natürlich keine Garantie für stetig anschwellenden Reichtum. Dass viele Leute beim Einkaufen vor allem auf günstige Preise achten wollen oder müssen, hat Schwarz geholfen. Für Karl-Erivan Haub aber ist genau dieser Trend wohl eher ein Problem. Der Besitzer der Supermarktketten Tengelmann und Kaiser’s galt 1990 als drittreichster Deutscher mit einem Familienvermögen von 2,9 Milliarden Dollar und Platz 43 auf der Weltrangliste. Inzwischen sind die Haubs mit 4,4 Milliarden Dollar auf Platz 21 in Deutschland und auf Platz 286 in der Welt zurückgefallen. Kaufkraftbereinigt hat sich ihr Vermögen kaum verändert.

Immerhin muss man suchen, um einen Superreichen aus der Zeit vor zwei Jahrzehnten zu finden, der aus der aktuellen Liste spurlos verschwunden ist. Und stößt dann entweder auf Auswanderer wie Flick, Erblasser mit mehreren Kindern wie Henkel – oder Verlierer spektakulärer Entwicklungen.

Das kann Spekulanten treffen, aber auch extrem seriös wirkende, höchst konservative Anleger. 1990, kurz vor seinem Tod, brachte es der Prinz Johannes von Thurn und Taxis mit seinem gewaltigen Waldbesitz in Bayern, mit südamerikanischen Immobilien und heimischen Bierbrauereien auf Platz sieben der deutschen Liste. Sein Sohn und Erbe rangiert heute mit nominal genau so viel Geld (1,5 Milliarden Dollar) auf Listenplatz 54: Auch scheinbar krisensichere Investitionen können am Anfang eines Abstiegs stehen.

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