Sozialkassen 2030 Hoffnung für die Rente, Kollaps bei der Gesundheit

Regierungsgutachter halten die aktuelle Politik der schwarz-roten Koalition bei den Sozialkassen für ungerecht und nicht finanzierbar.

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Die 10 schlimmsten Fehler bei der Vorsorge
Schlecht informiertDie Deutschen kaufen Autos, Computer, Küchengeräte und gehen auf Reisen. Vor dem Kauf werden oft zahlreiche Testberichte gelesen. Geht es allerdings um Versicherungen und die eigene Vorsorge, sieht dies anders aus. Dabei sind ausreichende Informationen wichtig, um teure Fehlabschlüsse zu vermeiden. Quelle: Institut GenerationenBeratung IGB Quelle: Fotolia
Lückenhafte VorsorgeOft werden einzelne, wichtige Teile der Altersvorsorge vergessen. Dazu gehören: 1) individuelle Vorsorgevollmacht 2) Patientenverfügung 3) Klärung der Finanzen im Pflegefall 4) Testament Quelle: Fotolia
Die falschen Berater„Freunde, Familie und Bekannte in alle Vorsorgefragen einzubeziehen, ist wichtig und stärkt die Bindung zueinander. Doch sich allein auf ihren Rat zu verlassen, wäre fatal“, sagt Margit Winkler vom Institut GenerationenBeratung. Denn nur ausgebildete Finanzberater könnten auch in Haftung genommen werden. Sie sind verpflichtet, alle besprochenen Versicherungen und Vorsorgeprodukte zu dokumentieren. Quelle: Fotolia
Vorsorge ist nicht gleich VorsorgeJeder sollte seine Altersvorsorge an seine eigenen Bedürfnisse anpassen, pauschale Tipps von Beratern oder Freunden taugen in der Regel wenig. Je nach Familiensituation können andere Versicherung und Vorsorgeleistungen wichtig sein. „Vor allem in Patchwork-Situationen oder bei angeheirateten Ehepartnern gelten andere Spielregeln in der Vorsorge", sagt Winkler. Quelle: Fotolia
Schwarze Schafe Deshalb ist bei der Auswahl des Beraters Vorsicht geboten, in der Branche sind schwarze Schafe unterwegs. Geht ein Berater nicht auf die persönliche Situation ein oder preist ein bestimmtes Produkt besonders an, sollten die Kunden hellhörig werden.
Informiert ins GesprächWer Fehlern im Zuge von Falschberatung entgehen will, der muss sich vorher selber informieren. Je besser der Kunde im Beratungsgespräch selber informiert ist, desto eher kann er schlechte Berater enttarnen. Quelle: Fotolia
Vorsorge-FlickenteppichBeraterin Winkler warnt davor, zu viele Verträge bei vielen verschiedenen Beratern abzuschließen. Am Ende drohten Versicherte, den Überblick zu verlieren, besser sei eine ganzheitliche Lösung, die auf die individuelle Situation abgestimmt ist. Quelle: Fotolia

Läuft gut zurzeit. Mehr als 31 Millionen Menschen in Deutschland mit festem Job zahlen in die Sozialkassen. Die Bundesregierung gönnt den Wählern die Rente mit 63, Mütterrente, mehr Leistungen für Kranke, Geld für Gesundheitsprofis und mehr für Pflegebedürftige.

Doch so schön wird es nicht bleiben. Egal wie gut die Wirtschaft läuft – die Zahl der Jüngeren schrumpft, die Älteren werden mehr und länger leben. Das passt nicht in Wahlkampfzeiten, die ein Jahr vor der Bundestagswahl angebrochen sind. Union und SPD versuchen sich bei Versprechen für Rentner zu überbieten.

Hier grätscht nun der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums hinein und legt Zahlen vor, wie es in rund 15 Jahren, also 2030, und sogar in knapp 30 Jahren, also 2045, um die soziale Sicherung bestellt sein dürfte. Die Ökonomen mit Regierungsauftrag haben eine eher gute Nachricht und eine, die die Deutschen vor schwere Entscheidungen stellen wird: Sie machen Hoffnung bei der Rente und warnen vor dem Kollaps bei Krankenkassen.

Altersvorsorge: So viel Rente darf der Standardrentner erwarten

Ihre Vorhersage deckt sich mit dem, was am Mittwoch von Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) bekannt wurde. Wenn niemand bei der Rente etwas ändert, zahlen gesetzlich Versicherte 2030 rund 22 Prozent ihres Lohnes dafür ein, Ruheständler bekommen etwa 44,5 Prozent ihrer vorigen Bezüge heraus. Gerechnet wird hier mit einem „Eckrentner“, jemand der 45 Jahre durchschnittliche Beiträge zahlte. 2045, wenn die Zahl der älteren noch gestiegen sein wird, zahlen die Jüngeren aber schon etwa 23,5 Prozent des Einkommens in die Rente, die Senioren schaffen nur noch 42,5 Prozent Rentenniveau. Mit solchen Zahlen wird schon mal Angst geschürt, vor allem unter Älteren, die fürchten, kein auskömmliches Leben mehr führen zu können.

Doch der Beirat von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) gibt Entwarnung. Die meisten würden nicht von Armut getroffen, wenn die Politik etwas umsteuere. Nur bei Langzeitarbeitslosen, bei Menschen, die wegen einer Krankheit oder Behinderung nur eingeschränkt arbeiten könnten sowie bei kleinen Selbstständigen müsse die Regierung für mehr Absicherung sorgen.

Die Ökonomen geben einen einfachen Rat für die Rente: Alle 15 Jahre steige die Lebenserwartung um drei Jahre, rechnet Rentenexperte Axel Börsch-Supan vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik vor. Zwei Jahre davon sollten die Menschen länger arbeiten, ein Jahr hätten sie dann länger Rente. „Da wird niemand etwas weggenommen“, argumentiert Börsch-Supan. Er weiß, dass sich kein Politiker mit Forderungen nach einer Rente mit 68, 69 oder 70 beliebt macht, und betont lieber die länger gezahlte Pension.

Die Rentenversprechen - Was die Parteien vorhaben

Börsch-Supan will noch eine zweite Änderung: „Wir empfehlen eine automatische  Anpassung.“ Die Schweden machten erfolgreich vor, wie das Rentenalter automatisch an die steigende Lebenserwartung angepasst werde. Nach dem Modell der Ratgeber im Wirtschaftsministerium würde das Rentenniveau so nur gering auf 46 Prozent sinken und ab 2036 sogar steigen, wenn geburtenschwache Jahrgänge in Ruhestand gehen.

Nicht so gute Botschaften hat der Wissenschaftliche Beirat für die gesetzliche Krankenversicherung, bei der immerhin knapp neun von zehn Deutschen versichert sind. Die Kassen verlangen zurzeit im Schnitt 15,7 Prozent des Bruttolohns. 2040 könnte der Anteil auf happige 24,5 Prozent steigen. Das ist die mittlere Annahme, die die Wissenschaftler für realistisch halten, wenn die Politik nichts ändert.

Zu wenig Wettbewerb zwischen den Kassen, zu viele Krankenhäuser, zu viele Leistungen und wenig Effizienz, meckern die Gutachter übers Gesundheitswesen. Vor allem neue wie sehr teure Krebstherapien dürften zudem bald die Kosten nach oben treiben, ist Gesundheitsexperte Friedrich Breyer von der Uni Konstanz sicher.

So viel Rente bekommen Sie
DurchschnittsrentenLaut den aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung bezogen Männer Ende 2014 eine Durchschnittsrente von 1013 Euro. Frauen müssen inklusive Hinterbliebenenrente mit durchschnittlich 762 Euro pro Monat auskommen. Quellen: Deutsche Rentenversicherung; dbb, Stand: April 2016 Quelle: dpa
Ost-Berlin mit den höchsten, West-Berlin mit den niedrigsten RentenDie Höhe der Rente schwankt zwischen den Bundesländern. Männer in Ostberlin können sich mit 1147 Euro Euro über die höchste Durchschnittsrente freuen. In Westberlin liegt sie dagegen mit 980 Euro am niedrigsten. Aktuell bekommen männliche Rentner: in Baden-Württemberg durchschnittlich 1107 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 1031 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 980 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1147 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 1078 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 1040 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 1071 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 1084 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 1027 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 1127 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 1115 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 1069 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 1098 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 1061 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 1064 Euro pro Monat Quelle: AP
Frauen mit deutlich weniger RenteFrauen im Ruhestand bekommen gut ein Drittel weniger als Männer. Auch sie bekommen in Ostberlin mit durchschnittlich 1051 Euro die höchsten Bezüge. Am wenigsten bekommen sie mit 696 Euro in Rheinland-Pfalz. Laut Deutscher Rentenversicherungen beziehen Frauen inklusive Hinterbliebenenrente: in Baden-Württemberg durchschnittlich 772 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 736 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 861 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 975 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 771 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 848 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 760 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 950 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 727 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 749 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 699 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 964 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 983 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 744 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 968 Euro pro Monat Quelle: dpa
Beamtenpensionen deutlich höherStaatsdienern geht es im Alter deutlich besser. Sie erhalten in Deutschland aktuell eine Pension von durchschnittlich 2730 Euro brutto. Im Vergleich zum Jahr 2000 ist das ein Zuwachs von knapp 27 Prozent. Zwischen den Bundesländern schwankt die Pensionshöhe allerdings. Während 2015 ein hessischer Staatsdiener im Ruhestand im Durchschnitt 3150 Euro ausgezahlt bekam, waren es in Sachsen-Anhalt lediglich 1940 Euro. Im Vergleich zu Bundesbeamten geht es den Landesdienern dennoch gut. Im Durchschnitt kommen sie aktuell auf eine Pension von 2970 Euro. Im Bund sind es nur 2340 Euro. Quelle: dpa
RentenerhöhungIm Vergleich zu den Pensionen stiegen die normalen Renten zwischen 2000 und 2014 deutlich geringer an. Sie wuchsen lediglich um 15,3 Prozent. Quelle: dpa
Reserven der RentenkasseDabei verfügt die deutsche Rentenversicherung über ein sattes Finanzpolster. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung betrug die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage Ende 2014 genau 35 Milliarden Euro. Das sind rund drei Milliarden Euro mehr als ein Jahr zuvor. Rechnerisch reicht das Finanzpolster aus, um fast zwei Monatsausgaben zu bezahlen. Nachfolgend ein Überblick, mit welcher Rente die Deutschen im aktuell im Durchschnitt rechnen können: Quelle: dpa
Abweichungen vom StandardrentnerWer 45 Jahre in den alten Bundesländern gearbeitet hat und dabei den Durchschnittslohn verdiente, bekommt pro Monat 1314 Euro ausgezahlt. Bei 40 Arbeitsjahren verringert sich die monatliche Auszahlung auf 1168 Euro. Wer nur 35 Jahre im Job war, bekommt 1022 Euro. Quelle: Fotolia

Der Rat, damit die Krankenversicherung bezahlbar bleibt: „Wir dürfen nicht mehr jede neue Therapie als Kassenleistung übernehmen“, sagt Breyer. Bisher müssten neue Medikamente und Behandlungen nur belegen, dass sie einen Zusatznutzen zum Bisherigen hätten. „Den Nutzen werden wir aber künftig ins Verhältnis zu den zusätzlichen Kosten setzen müssen.“ Nicht mehr alles sei bezahlbar – vor allem neuartige Krebstherapien seien sehr teuer. „Wir sollten als Gesellschaft lieber schon jetzt mit einer Diskussion beginnen, was uns Gesundheit wert ist und was die Allgemeinheit noch bezahlen soll.“ Das geschehe in Ländern wie Großbritannien längst. Dort werde festgelegt, wie teuer eine Therapie sein darf, die Beschwerden lindert oder gar das Leben rettet.

Soweit sind viele Menschen in Deutschland eher noch nicht. Ökonom Börsch-Supan appelliert derweil an Politiker, in der Zwischenzeit nichts zu tun, was die Jüngeren noch mehr belastet. Sein Appell an die Wahlkämpfer von Union und SPD: „Keine teuren Dummheiten machen! Die lassen sich vor Wahlen gut verkaufen, aber sie werden langfristig sehr, sehr teuer.“

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