SPD-Chef Sigmar Gabriel "Diesem Steuer-Irrsinn werden wir nicht zustimmen"

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Liberal heißt also: Macht es mit jedem?

Liberal zu sein heißt, offen und neugierig zu sein, nicht ideologisch fixiert. Das trifft für die FDP leider schon lange nicht mehr zu. Die Grünen profitieren natürlich auch von einem gewissen postindustriellen Bewusstsein. Darin sehe ich aber auch die Gefahren einer schwarz-grünen Koalition. Das wäre eine Koalition der Satten, die sich keine Gedanken mehr darüber machen, wie Wohlstand entsteht. Die Vorstellung, wir könnten auf Wachstum verzichten, kann man nur dann haben, wenn man selber ein ziemlich großes Stück vom Kuchen abbekommen hat.

Eine schwarz-grüne Koalition halten Sie für wachstumsfeindlich?

Das haben CDU und Grüne in Hamburg ja unter Beweis gestellt. Industrie und die gewerbliche Produktion sind immer noch der Kern unseres Wohlstandes. Angela Merkel hat völlig vergessen, dass eine erfolgreiche Volkswirtschaft Verlässlichkeit in den industriellen Rahmenbedingungen braucht. Sie hat diese Bedingungen mit ihrer Atomkehrtwende innerhalb weniger Monate umgestürzt – und zwar nur, damit sie koalitionsfähig für die Grünen bleibt.

Stänkern Sie gegen den Atomausstieg, den Sie selbst mitbeschlossen haben?

Der Beschluss zum Atomausstieg war ein großer Tag für die Sozialdemokratie. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass jetzt alles läuft. Merkels dramatische Kehrtwenden führen dazu, dass alles viel schneller, viel hektischer und viel teurer wird als nach dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss. Der Staat muss dafür sorgen, dass die Belastung für die industrielle Wertschöpfung nicht zu groß wird. Wir müssen mit einem industriepolitischen Monitoring beobachten, wie sich die Energiepreise für das produzierende Gewerbe entwickeln. Im Zweifel müssen wir gegensteuern.

Wer soll diese neue Subvention bezahlen?

Auch deshalb rate ich ja dringend von Steuersenkungen ab. Wir wissen nicht, ob wir die Ausnahmetatbestände bei der Stromsteuer für die Unternehmen irgendwann erweitern müssen. Daher müssen wir Risikovorsorge treffen.

Die Performance der Bundesregierung ist mager, trotzdem bleiben die Zustimmungswerte für die SPD weit unter der 30-Prozent-Marke. Wie kommt das?

 Die Leute kommen nicht automatisch zu uns zurück, nur weil die anderen so schlecht sind. Frau Merkels Politik ist ein Turbolader für Politikverachtung. Die Leute halten nicht nur CDU, CSU oder FDP für überfordert, sondern leider fast alle Politiker und Parteien.

Dann müssen Sie jetzt Personal aufbieten, das Zutrauen gewinnt.

Personen und politische Inhalte hängen eng zusammen. Möglicherweise wirken wir in der SPD manchmal etwas langweilig, weil wir keine illusionären Versprechen machen. Aber das ist besser, als Versprechen zu machen, die man nicht halten kann.

Ist der Verweis auf Solidität bis zur Langeweile der Hinweis, dass der nächste Kanzlerkandidat wieder Frank-Walter Steinmeier heißen müsste?

Frank-Walter Steinmeier ist alles andere als langweilig. Es geht aber nicht um Personen, sondern darum, dass das Verantwortungsbewusstsein in den Parteien steigen muss.

Und wann will die SPD die Kandidaten-frage klären? Peer Steinbrück hat sich ja schon ins Rennen gebracht...

Ich sehe das eigentlich mit einem gewissen Amüsement. Wenn wir vor etwa eineinhalb Jahren als SPD über Kanzlerkandidaten im Jahr 2013 gesprochen hätten, wären wir von den Medien ausgelacht worden. Jetzt scheint es die Medien sehr zu interessieren, wer da von uns ins Kanzleramt einziehen wird. Ich finde das eine schöne Entwicklung.

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