SPD-Delegiertenkonferenz Schulz' Schattenmann

Sigmar Gabriel ist plötzlich beliebt wie nie. Mit einem sehr guten Ergebnis wird er als Bundestagskandidat aufgestellt. Doch auch in seinem Heimatwahlkreis gehört die Show Martin Schulz.

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Der scheidende SPD-Parteivorsitzende und Außenminister Sigmar Gabriel (r) und Martin Schulz, SPD-Kanzlerkandidat und künftiger Parteivorsitzender, stehen in Wolfenbüttel (Niedersachsen) bei der SPD-Delegiertenkonferenz auf der Bühne. Quelle: dpa

Berlin Am Ende des Abends knuddeln sich die beiden noch einmal kräftig. Sigmar Gabriel ist soeben mit dem sehr guten Ergebnis von 98,5 Prozent von seinem niedersächsischen Wahlkreis als Bundestagskandidat aufgestellt worden, da stürmt Martin Schulz auf ihn zu und drückt den Mann, den er in vier Tagen als SPD-Chef ablösen wird, fest an sich. Gabriel haut Schulz kräftig auf die Schulter, und beide fletschen vergnügt mit den Zähnen.

Die Wahlkreisdelegiertenkonferenz in Gabriels Heimat Wolfenbüttel war der erste gemeinsame Auftritt des Noch- und des Bald-Vorsitzenden der SPD seit dem großen Knall Ende Januar, als Gabriel ankündigte, Schulz Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz zu überlassen. Kurz vor der endgültigen Stabsübergabe auf dem SPD-Sonderparteitag am kommenden Sonntag wollten Gabriel und Schulz noch einmal Harmonie demonstrieren. Zeigen, dass sie gemeinsam in den Wahlkampf schreiten, auch wenn der eine für den anderen Platz machte.

Eine leichte Aufgabe war das für beide nicht, noch schwieriger machte es die Ortswahl, Gabriels Heimatwahlkreis. Der Spagat, den sich die beiden für diesen Abend ausgedacht haben, gelingt – allerdings unter Schmerzen. Schulz wird wie üblich von der Parteibasis gefeiert. Gabriel, der in seiner Heimat nicht nur beliebt ist, bekommt so viel Zuneigung von der Basis wie selten zuvor. Allerdings muss er auch an diesem Abend erleben: Die Show gehört jetzt einem anderen. Würselen ist überall, auch in Wolfenbüttel.

Denn dass die Lindenhalle mit 800 Besuchern bis auf den letzten Platz gefüllt ist, liegt natürlich weniger an Gabriel als an Schulz. Aus dem ganzen Harz sind Menschen nach Wolfenbüttel gekommen, um ihren neuen Hoffnungsträger zu sehen. Das heute sei die größte SPD-Veranstaltung in Wolfenbüttel seit Willy-Brandt, jubelt der Unterbezirksvorsitzende. Ein Raunen geht durch den Saal. Kurz danach schreiten Schulz und Gabriel zu einer Art Rockmusik in die Halle. Schulz voran, Gabriel hinterher. Eine Frau in der vierten Reihe gerät beinahe in Ekstase, als die beiden an ihr vorbeiziehen.

In seiner Rede unterläuft Schulz dann aber gleich ein Lapsus. Er vergisst bei der Bezeichnung des Wahlkreises zuerst Salzgitter, und als er sich korrigieren will, Goslar. Wieder geht ein Raunen durch den Saal, diesmal allerdings ein entsetztes. Schulz fängt den Fauxpas auf. „Ich war ja noch nicht fertig. Also, der Wahlkreis von Sigmar Gabriel“, führt er fort. Die erdverwachsenen Niedersachsen verzeihen ihrem Hoffnungsträger.

Danach macht Schulz das einzig Vernünftige. Er entwirft kein politisches Programm, sondern überlässt das seinem Gastgeber. Stattdessen hält er eine Rede darüber, warum sein Freund Sigmar aus seiner Sicht der richtige SPD-Bundestagskandidat für diesen Wahlkreis ist. „Wenn man ihn überzeugt hat, gewinnt man einen Freund, mit dem man die gerade vor einem liegende Welt aus den Angeln haben kann.“ Gabriel sei zudem ein Stehaufmännchen, der ins „Gelingen verliebt“ sei. Dass zeige sich auch darin, dass Gabriel in der Lage gewesen sei, sein eigenes Interesse zurückzustellen zugunsten seiner eigenen Partei. Das sei eine außergewöhnliche Charakterstärke. „Du bist ein Glücksfall für diesen Wahlkreis, für diese Partei und für die Republik“, schließt Schulz seine Rede. Gabriel geht zu ihm, die beiden fallen sich in die Arme.

Zuvor hatten schon eine 23-jährige Studentin, der Präsident der Arbeiterwohlfahrt und auch der Vorstandsvorsitzende der Salzgitter AG Loblieder auf Gabriel angestimmt. Dem Geschmeichelten war da alles fast schon zu viel. „Mensch, wenn das alles stimmen würde, was Ihr alles so erzählt habt“, sagt Gabriel. „Ich geb‘s ja zu, man hört‘s auch gerne mal.“ Er habe es seiner Partei nicht immer leicht gemacht, sie ihm aber auch nicht. Nach der sehr durchwachsenen Berlin-Wahl im September 2016 habe er kurz überlegt, ob er überhaupt erneut als Bundestagskandidat kandidieren soll, sagt Gabriel. Aber von diesem Amt des Volksvertreters, dem „stolzesten“, das die Demokratie zu vergeben habe, konnte er dann doch die Finger nicht lassen.

Von einer möglichen Kanzlerkandidatur und vom Parteivorsitz hat er sich dagegen zurückgezogen. Er fände es „jetzt komisch, wenn ich so bejubelt dafür werde, dass ich zurückgetreten bin“, sagt Gabriel. Für einen Vorsitzenden der SPD sei doch normal, das zu tun, was für die Partei und das Land am Ende das Beste sei. Er wäre „doch verrückt gewesen“, wenn er das nicht gemacht hätte. Er zweifle deshalb nicht an seiner Entscheidung, sondern sei „saufroh“, dass das alles so gelungen ist. Gabriels Stimme überschlägt sich nun fast.

Während Gabriel über den Wirtschaftsstandort Deutschland redet, sitzt Schulz daneben auf dem Podium und schreibt Autogramme. Den ersten Autogrammjäger lässt Gabriel noch wortlos über sich ergehen, beim zweiten, einem vielleicht zehnjährigen Jungen, ruft er: „Martin, gleich aufnehmen.“ Als Gabriel dann über die Bedeutung der Industrie für die Region und Deutschland redet, wirkt Schulz ein wenig wie ein Fremdkörper neben den Politikern aus der Region.

Gabriel steht wiederum kurz danach etwas verloren am Rand, als Schulz während der Stimmauszählung von Kameras umlagert wird, er selbst aber wenig Beachtung bekommt. Doch das Auszählen dauert zum Glück für den noch amtierenden SPD-Chef nicht lange. Und als das Ergebnis verkündet wird, bricht ein Jubel im Saal los, wie es ihn bei einer Wahl Sigmar Gabriels lange nicht mehr gegeben hat. Schulz gratuliert dem frisch gekürten Kandidaten für den Bundestag und verschwindet durch eine Seitentür. Für den kurzen Rest des Abends soll die Show allein Gabriel gehören.

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