Sigmar Gabriel verzichtet auf SPD-Kanzlerkandidatur
SPD-Chef Sigmar Gabriel verzichtet überraschend auf den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur - nun soll der bisherige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Kanzlerin Angela Merkel herausfordern. Das SPD-Präsidium hat Schulz mittlerweile auch als Kanzlerkandidaten und Nachfolger von Gabriel an der Spitze der Partei nominiert. „Das ist unser einstimmiger Präsidiumsbeschluss als Vorschlag für den Parteivorstand“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel nach einer Präsidiumssitzung.
„Wenn ich jetzt anträte, würde ich scheitern - und mit mir die SPD“, begründete Gabriel zuvor im „Stern“ seinen Rückzug. Der 61-jährige Schulz habe „die eindeutig besseren Wahlchancen“. Der bisherige Vizekanzler und Wirtschaftsminister Gabriel will Außenminister werden.
In einer ersten Stellungnahme erklärte Gabriel, die Politik Merkels und von Finanzminister Wolfgang Schäuble habe „entscheidend zu den immer tieferen Krisen in der EU seit 2008, zur Isolierung einer dominanten deutschen Außenpolitik und ... zur hohen Arbeitslosigkeit außerhalb von Deutschland beigetragen“. Eine Folge dessen sei „die Stärkung antieuropäischer populistischer Parteien“ gewesen. „Kein deutscher Bundeskanzler vor ihr hätte eine so große wirtschaftliche, soziale und politische Spaltung riskiert“, schrieb Gabriel weiter.
Führende Parteifreunde äußerten Respekt für Gabriels Verzicht. Der linke SPD-Flügel signalisierte Schulz volle Unterstützung. Kritik am Rückzug Gabriels kam von FDP-Chef Christian Lindner, Skepsis gegenüber Schulz von der Linkspartei. Am Abend wollte Gabriel das SPD-Präsidium über seine Zukunft informieren.
Die Wechsel an der SPD-Spitze
Der Saarländer entreißt im November 1995 dem glücklosen Rudolf Scharping den Vorsitz in einer Kampfabstimmung. Nach dem SPD-Sieg bei der Bundestagswahl 1998 verschärfen sich die Gegensätze zu Bundeskanzler Gerhard Schröder, dem Lafontaine als Kanzlerkandidat weichen musste. Außerdem ist von Differenzen in der Steuerpolitik die Rede. 2005 tritt Lafontaine aus der SPD aus. Heute ist er bei der Konkurrenz-Partei Die Linke.
Der SPD-Kanzler übernimmt im März 1999 von Lafontaine den Parteivorsitz. Schröders einschneidende Sozial- und Wirtschaftsreformen („Agenda 2010“) stoßen insbesondere beim linken Flügel und den Gewerkschaften auf Kritik. Unter ihm verliert die Partei mehr als 140.000 Mitglieder, mehrfach gibt es zweistellige Verluste bei Landtagswahlen.
Auf Schröder folgt im März 2004 der damalige Fraktionsvorsitzende Müntefering. Doch auch er kann weder Mitgliederschwund noch Wahlniederlagen stoppen. Als die Parteilinken seinen Vorschlag für den Posten des Generalsekretärs verwerfen, gibt er auf.
Der Ministerpräsident von Brandenburg setzt ab November 2005 auf klassische SPD-Positionen. Bei seinem Start gilt der Müntefering-Nachfolger als Hoffnungsträger. Bevor Platzeck Wegmarken setzen kann, tritt er völlig überraschend nach 146 Tagen aus gesundheitlichen Gründen zurück.
Im Mai 2006 übernimmt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident. Beck will mit der Abkehr von Teilen der Agenda-Politik das Profil der Partei wieder schärfen. Das ungeklärte Verhältnis zur Linkspartei und sein Zögern in der Frage der Kanzlerkandidatur beschleunigen seinen Abgang. Beck begründet seinen Rückzug mit internen Intrigen. Sein Nachfolger wird im Oktober 2008 Müntefering - zum zweiten Mal.
Nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 2009 und dem schlechtesten SPD-Ergebnis seit 1949 übernimmt der Umweltminister im November 2009 den Parteivorsitz. Zur Bundestagswahl 2013 lässt Gabriel dem ehemaligen Finanzminister Peer Steinbrück die Kanzlerkandidatur. Trotz des zweitschlechtesten Wahlergebnisses wackelt Gabriels Stuhl nicht.
Als neue Wirtschaftsministerin wurde Gabriels bisherige Staatssekretärin Brigitte Zypries in einer Sondersitzung der Bundestagsfraktion vorgestellt. Die 63-jährige Zypries war von 2002 bis 2009 Bundesjustizministerin.
Der 57 Jahre alte Gabriel ist seit 2009 Chef der SPD. Er hatte den überraschenden Wechsel an der Parteispitze nach Teilnehmerangaben in der Sitzung der Bundestagsfraktion erklärt und Schulz als SPD-Chef vorgeschlagen.
Schulz war seit 1994 im Europaparlament und zuletzt dessen Präsident. Er schied Ende 2016 aus diesem Amt aus. In der Bundespolitik ist er ein Neuling. Die Bundestagswahl findet am 24. September statt.
Der bisherige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) tritt am 12. Februar bei der Bundespräsidentenwahl als Kandidat der großen Koalition an - an seiner Wahl gibt es keinen Zweifel.